Zu viel Risiko? Fragwürdiges Vorgehen der FIS? Nach den schweren Stürzen auf der Kitzbüheler Streif gehen die Wellen hoch. In Garmisch kommt jetzt mehr Markierungsfarbe ins Spiel. Hannes Reichelt, einer der Gestürzten, fährt dort schon wieder Trainingsbestzeit – und fordert eine Airbag-Pflicht.
Es gibt Krankengeschichten, die selbst Ärzten mit langjähriger Erfahrung noch nie untergekommen sind. Die prominenten Patienten Georg Streitberger und Aksel Lund Svindal lagen nebeneinander im Untersuchungsraum der Privatklinik Hochrum, Bett an Bett. Beide waren bei der Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel schwer zu Fall gekommen, beide hatten sich dabei ein Kreuzband gerissen. Und was fällt ihnen in diesem Augenblick voller Schmerzen und Enttäuschungen ein? Sie knobeln doch tatsächlich mit einem Schere-Stein-Papier-Spiel aus, wer denn nun zuerst auf den Operationstisch kommt.
(Galgen-)Humor ist auch eine Methode, mit der man sich dem Thema nähern kann, das seit den vielen Stürzen von Kitzbühel am vergangenen Wochenende den Skisport bewegt und entzweit. Es ist jedenfalls schon erstaunlich, dass die Sturzopfer, welche die Streif in diesem Jahr in hoher Zahl gefordert hat, weit gelassener und professioneller auf das Abfahrtsrennen und seine Verletzungsfolgen reagieren, als es in den vergangenen Tagen so manche Experten, Funktionäre und Journalisten gemacht haben.
Die helle Aufregung über eine «Skandalabfahrt»
Von einer «Sturzorgie» war zu lesen, von einer «Skandalabfahrt» wurde gesprochen, nachdem Weltcupleader Aksel Lund Svindal (Norwegen), der österreichische Super-G-Weltmeister Hannes Reichelt und dessen Landsmann Georg Streitberger an der gleichen Schlüsselstelle der Streif, der berüchtigten Traverse am Hausberg, im Fangnetz gelandet waren.
Die Abfahrt auf der Streif zum Mitfahren in einer Aufnahme in 360-Grad-Technik – mit der Navigation oben links im Video kann man die Ansicht steuern:
Die Stürze schafften es Samstagabend sogar ins ZDF-Sportstudio und in der Zentrale der «Bild»-Zeitung herrschte überhaupt hellste Aufregung. Warum denn jetzt der Slalom am Sonntag nicht abgesagt werde, musste sich der Reporter vor Ort in Kitzbühel fragen lassen.
Denn der 35-Jährige hat seinen Start für die Abfahrt am Samstag angekündigt und am Donnerstag die schnellste Trainingszeit geliefert. Nach dem Sturz auf der Streif haben Auswertungen seiner Sicherheits-Airbag-Weste ergeben, dass Reichelt mit 97 Kilometern pro Stunde im Netz aufprallte und einer Belastung von 9G ausgesetzt war.
Für den Österreicher Grund genug, eine generelle Airbag-Pflicht einzufordern. «So hätten alle wieder die gleichen Karten», spielt der Abfahrer auf die möglicherweise schlechtere Aerodynamik durch das Tragen der aufblasbaren Sicherheitsweste an.
FIS will mehr Farbe auf die Piste bringen
Die Airbag-Pflicht ist vorerst noch Zukunftsmusik, einige Änderungen sind aber bereits für die Garmischer Abfahrt geplant. Die FIS will ab sofort mehr Markierungsfarbe ins Spiel bringen und gefährliche Stellen zusätzlich hervorheben.
«Bereits in Garmisch werden wir den tiefsten Punkt der Kompression mit einer anderen Farbe markieren, wir denken an grellere Farben», erklärt Hannes Trinkl. Dem Abfahrtsweltmeister von 2001 schwebt noch eine weitere Sicherheitsmassnahme vor: «Vielleicht kann man ab der nächsten Saison finstere Stellen ja auch beleuchten.»
Aksel Lund Svindal hat übrigens das Wettrennen um den Operationstermin gegen Georg Streitberger verloren. Die Laune scheint bei den beiden Zimmerkollegen im Krankenhaus Hochrum, wo auch Max Franz und Florian Scheiber operiert wurden, nicht die schlechteste zu sein. Wie postete doch der Österreicher auf Facebook: «Gleiche Kurve, gleiche Verletzung, gleiches Zimmer, gleiche Krankenschwester. Aber wir habens lustig.»