Neue drängen ins Rampenlicht der Tenniswelt

Die Hierarchie im Tennis hat sich aufgelöst. Von den «Big Four» fehlen zwei Stars in London bei den ATP Finals. Platz und Chance für neue Tennis-Heroen. Nur eine Frage bleibt: Was macht Vorjahressieger Novak Djokovic?

Tennis - Swiss Indoors ATP men's final - Basel, Switzerland - 30/10/2016 - Marin Cilic of Croatia celebrates with the trophy after defeating Kei Nishikori of Japan. REUTERS/Arnd Wiegmann

(Bild: REUTERS/Arnd Wiegmann)

Die Hierarchie im Tennis hat sich aufgelöst. Von den «Big Four» fehlen zwei Stars in London bei den ATP Finals. Platz und Chance für neue Tennis-Heroen. Nur eine Frage bleibt: Was macht Vorjahressieger Novak Djokovic?

Seit knapp einem Jahrzehnt hat sich der Begriff fest eingeprägt – als Gütesiegel für ein Quartett ausserordentlicher Tennis-Gentlemen: Big Four wurden sie genannt. Oder eben auf Deutsch: die grossen Vier. Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray.

Grand-Slam-Titel machten sie in ihrem kleinen Elitezirkel genauso souverän unter sich aus wie Masters-Erfolge, olympische Goldmedaillen oder Platz 1 der Weltrangliste. Kürzlich, beim Pariser Hallenspektakel, eroberte auch der Letzte aus dem erlesenen Grüppchen den Tennisthron für sich – Murray, der Unverdrossene, der Marathon-Mann, der besessene Workaholic aus Schottland.

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Als Nummer 1-Spieler und Favorit geht der «Mann der Stunde» auch in das rauschende WM-Spektakel, das ab Sonntag wieder einmal im Hallenpalast der 02-Arena im Londoner Osten über die Bühne geht. Doch anders als in den Jahren zuvor dürfte der Titelkampf nicht bloss zum üblichen Schaulaufen der Superhelden werden.

Die Sicherung der gewohnten Hierarchie im Welttennis wackelt – und das hat allein schon einen simplen, aber aufschlussreichen Grund. Mit Federer und Nadal fehlen gleich zwei der jahrelangen Stammgäste und Titelaspiranten.

Charismatiker Gael Monfils debütiert in London. Seine Chancen stehen deswegen aber nicht schlecht.


Die alten Grossmeister, die einst eine Ära freundschaftlicher Rivalität prägten, kämpfen mit den Nachwehen von Verletzungen in einer unfreundlichen Saison: Federer, inzwischen nur noch die Nummer 16 der Welt, ist bereits seit Juli ausser Tourdiensten. Nadal verzichtet auf einen Start in London, er will sich lieber schon auf die nächste Spielserie und ein energisches Comeback konzentrieren.

Neue Gesichter bei dieser WM illustrieren daher auch die leicht veränderte Machtbalance im Wanderzirkus – mit dem 23-jährigen österreichischen Shootingstar Dominic Thiem und dem französischen Charismatiker Gael Monfils (30) schlagen sogar zwei Debütanten in der britischen Kapitale auf.

Gleich am Sonntag, dem Auftakttag, sind beide auf dem Centre Court in der 02-Arena beschäftigt, wie immer auch vor ausverkauftem Haus mit über 20’000 Fans: Thiem darf sich dann der Bewährungsprobe gegen den abgelösten Übermann Novak Djokovic stellen. Trickspieler Monfils bekommt es mit dem kanadischen Tennis-Technokraten und Hammeraufschläger Milos Raonic zu tun.

ABD0077_20161027 - WIEN - �STERREICH: Dominic Thiem (AUT) w�hrend seines Spiels gegen Viktor Troicki (SRB) am Donnerstag, 27. Oktober 2016, im Rahmen des Erste Bank Open Tennis Turniers in der Wiener Stadthalle. - FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

Thiem, zweifellos der Mann mit dem substantiell wertvollsten Aufstieg in dieser Saison, wird bei seinem ersten Auftritt auch gleich unweigerlich die Frage beantworten, ob seine Nerven und Kräfte noch ausreichen für einen besonderen WM-Coup.

«Es ist unfassbar, dass ich es hierher geschafft habe», sagt Thiem, der Schützling des ehemaligen Becker-Trainers Günter Bresnik, «jetzt muss ich nochmal alle Kräfte mobilisieren.» Nach einer fantastischen ersten Halbserie hatte dem jungen Wiener, dem Vorzeigespieler der Generation Next, zuletzt oft die nötige Puste und Power für Centre-Court-Zauber gefehlt.

Die WM-Rennen des Jahres 2016 erscheint so bunt, unübersichtlich und unwägbar wie selten zuvor – nicht nur wegen der beiden Neulinge, sondern auch wegen formstarker Topleute wie Stan Wawrinka, Milos Raonic und Marin Cilic.

«Dieses Turnier birgt grosses Überraschungspotenzial», sagt der ehemalige Weltranglisten-Erste Mats Wilander.

Der erfolgreiche US Open-Gladiator Wawrinka (Weltrangliste: 3), Wimbledon-Finalist Raonic (4) und der zupackende Cilic (7) sind inzwischen selbst drauf und dran, Teil des Establishments knapp unterhalb des Gipfels zu werden.

Kampflos werden sie allesamt nicht ihre Plätze für die in die Jahre gekommenen Heroen Federer oder Nadal räumen. Einem wie Wawrinka werden inzwischen sowieso an jedem Einsatzort, zu jeder Tag- und Nachtzeit und in jedem Klima die unmöglichsten Dinge zugetraut.

Wen wundert da, dass gerade er wieder als gar nicht so geheimer Anwärter auf den Pokalgewinn von London gehandelt wird. «Ich glaube nicht, dass ein grosser Zweikampf zwischen Murray und Djokovic das grosse Thema sein wird», sagt der ehemalige Weltranglisten-Erste Mats Wilander, «dieses Turnier birgt grosses Überraschungspotenzial in sich.»

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