New Yorker Debütantenball: Ein Sieger jenseits des Goldenen Quartetts

Die Resultate des Halbfinales am Samstag könnten signalisieren, dass sich die Herrschaftsverhältnisse beim Tennis verschieben: Unter den Gewinnern war keiner des «Goldenen Quartetts», sondern junge, aufstrebende Männer. Federer und Djokovic kamen nicht weiter.

Marin Cilic in Feierlaune nach seinem Match gegen Roger Federer. (Bild: Keystone, JOHN G. MABANGLO)

Die Resultate des Halbfinales am Samstag könnten signalisieren, dass sich die Herrschaftsverhältnisse beim Tennis verschieben: Unter den Gewinnern war keiner des «Goldenen Quartetts», sondern junge, aufstrebende Männer. Federer und Djokovic kamen nicht weiter.

Genau 103 Minuten und 30 Sekunden waren im Arthur Ashe-Stadion gespielt, da schritt Marin Cilic zum bisher wichtigsten Aufschlagspiel seines Lebens auf den Centre Court zurück. Er führte im Halbfinale der US Open mit 6:3, 6:4 und 5:4 gegen den langjährigen Meister aller Klassen, gegen den Grand Slam-Rekordchampion Roger Federer.

Vier Punkte also noch zum Triumph, vier Punkte, die so nahe und doch auch Lichtjahre weg sein können. Doch was dann passierte, war dies: Ass Cilic zum 15:0, Ass zum 30:0, Ass zum 40:0. Und ein Rückhand-Siegschlag zum Triumph gegen den Maestro, der in den letzten 90 Sekunden nur noch ein einziges und letztes Mal den Ball auf den Schläger bekam, ehe er verlor und New York gescheitert verlassen musste.

Nishikori: Erster Asiate im Grand Slam-Finale

Es war der letzte denkwürdige Höhepunkt an einem Super Saturday, von dem man noch länger sprechen wird. Denn Federer war längst nicht der einzige Geschlagene aus dem Elitetrupp der Fabelhaften Vier, jener Gruppe aussergewöhnlicher Gentlemen, die seit einer Dekade die Macht im Tennisrevier fest und unerbittlich in ihrem eisernen Zugriff halten.

Bevor er, der Mann mit 17 Grand Slam-Titeln, trocken und chancenlos von Cilic abserviert wurde, erhielt auch Branchenführer Novak Djokovic den Abreisebefehl aus dem Big Apple – ausgestellt vom wuseligen Konterkünstler Kei Nishikori, der als erster Asiate in der Geschichte dieses Sports ein Grand Slam-Finale erreichte. Und zwar höchst verdient mit dem 6:4, 1:6, 7:6 (7:4), 6:3-Erfolg über den lethargisch, konfus wirkenden Nummer 1-Mann.

Die Saison der vier Majors wird enden

Von wegen Wimbledon-Neuauflage Becker kontra Djokovic, von wegen Pokalkampf des alten Establishments: New York erlebte am Montagabend den Debütantenball zweier hochgehandelter Spieler, die Mitte Zwanzig reif und willens sind, nicht nur einen kostbaren Grand Slam-Pokal zu gewinnen, sondern auch eine führende Rolle in der Tennis-Hackordnung zu übernehmen – Nishikori, die Nummer 11 der Welt, und Marin Cilic, die Nummer 16.

So wird die Saison der vier Majors enden, wie sie in Australien mit Stan Wawrinkas Überraschungscoup begonnen hatte, mit einem Sieger jenseits aller Erwartungen, jenseits des Goldenen Quartetts mit Federer, Djokovic, Nadal und Murray. «Es ist schön, neue Namen in diesen Finals zu sehen. Junge Burschen, die sich vor nichts und niemandem fürchten», gab da Altmeister John McEnroe zu Protokoll.

Ob sich die Herrschaftsverhältnisse allerdings tatsächlich verschieben, ob diese US Open gar eine Zeitenwende im Herrentennis einläuten, bleibt abzuwarten. Schliesslich war auch nach Wawrinkas Sieg im Januar gegen Nadal von einem Umschwung an der Spitze die Rede gewesen, doch danach wurde der Modus der alten Kräfteanordnung wieder aktiviert.

In Paris siegte Nadal gegen Djokovic, in Wimbledon Djokovic gegen Federer. Immerhin: Nun, in New York, ist zum ersten Mal seit der gefühlten Ewigkeit von 38 Grand Slam-Turnieren gar keiner der Abonnements-Champions im Trophäenspiel dabei, Cilic und Nishikori bewegen sich damit auf den Spuren von Safin und Hewitt bei den Australian Open 2005.

«Supercoaches» trugen zum Erfolg der von Nishikori und Cilic bei

Wer noch Zweifel hatte, was die großen Ehemaligen bei den Stars von heute bewirken können, musste sich nur genau bei den Hauptdarstellern dieses US Open-Finals 2014 umschauen. Beide, Nishikori wie Cilic, wirkten im beinahe bildlichen Sinne wie der verlängerte Arm ihrer «Supercoaches». Nishikori, lange Zeit ein typisches Produkt der Bollettieri-Akademie mit seinem harten, schnörkellosen Spiel, ist mit Hilfe von Michael Chang viel unberechenbarer und flexibler geworden.

Bei den US Open brillierte der ewig Verletzte und Angeschlagene auch als unbeugsamer, körperlich intakter Fighter, in langen Abnutzungskämpfen gegen Top Ten-Leute wie Raonic und Wawrinka – und dann noch einmal gegen Frontmann Djokovic. «Kei hat unglaubliche Qualitäten. Er ist bereit für den ganz großen Sprung», sagt Chang über den Japaner, der auf dem besten Weg ist, daheim das Sportidol dieser Zeit zu werden.

Wenig Erfolgschancen für Federer

Cilic wirkte in seinen besten Momenten so ungerührt und entspannt selbstsicher, wie es sein Coach Ivanisevic in Glanzzeiten war. Mit einem Feuerwerk an Assen und Siegpunkten aus allen möglichen und unmöglichen Lagen ließ er Federer zum Halbfinal-Statisten werden, selten war der Schweizer so sehr außerhalb jeglicher Erfolgschance wie an diesem schwülen Halbfinal-Samstag in New York.

Die vieldiskutierte, oft mit skeptischem Unterton gestellte Frage, was einer der früheren Großmeister einem Profi im Hier und Jetzt beibringen könne, beantwortete Cilic entschlossen: «Mit Goran habe ich wirklich das Gefühl, jeden schlagen zu können. Er ist einfach ein Stück Extrapower.» Chang, gab derweil Nishikori zu Protokoll, sei wie eine «neue mentale Macht» in seinem Spiel und Tennisleben: «Mit ihm habe ich alte Grenzen überschritten.»

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