Eine der irrsinnigsten Wochen der Fussballgeschichte endete am Freitag mit der offiziellen Vorstellung des 222 Millionen Euro teuren Neymar Júnior als neuen Spieler von Paris Saint-Germain. Ob der Brasilianer am Samstag im ersten Saisonligaspiel gegen Aufsteiger Amiens bereits auflaufen wird, ist noch unklar. Die Geschichte seines Rekordtransfers steht in mancher Hinsicht so oder so erst am Anfang.
Was will Neymar in Paris?
In Barcelona stand er auf Gedeih und Verderb im Schatten von Lionel Messi. Sein Talent wie auch der mit dem Vater ausgearbeitete Karriereplan verlangen mit 25 Jahren aber, dass er selbst eine grosse Mannschaft führt und um individuelle Ehren wie den Weltfussballer des Jahres kämpft. Spätestens nachdem er im März trotz einer überragenden Leistung beim 6:1-Champions-League-Sieg gegen seinen neuen Klub Paris die Titelseiten Messi überlassen musste, sah Neymar ein: Das wird in Barcelona nie etwas. Zumal Messi gerade mit einem neuen Rekordvertrag bis 2021 ausgestattet wurde.
Neymar hat Messi persönlich immer bewundert und betrachtet sich weiterhin als sein Freund. Das hat er am Freitag erneut betont. Beide Spieler verabschiedeten sich in den letzten Tagen über die sozialen Netzwerke mit herzzerreissenden Botschaften voneinander. Auf dem Platz werden sie sich künftig jedoch, wenn überhaupt, als Rivalen begegnen.
Das «Projekt PSG» habe ihn «im Herzen» überzeugt, säuselte Neymar gestern, die französische Liga sei viel stärker als ihr Ruf, und er habe gespürt, dass er eine neue Herausforderung brauche. Die brasilianischen Landsleute im Kader (u.a. Thiago Silva, Marquinhos, Lucas Moura und neu auch sein ehemaliger Barça-Mitspieler Dani Alves) hätten hingegen keinen entscheidenden Einfluss gehabt. «Paris kann der grösste Verein der Welt werden», findet Neymar.
Dass es auch mehr Geld gibt als bisher, versüsst die Aussichten natürlich ungemein. Die Rede ist von einem Nettogehalt von 35 Millionen Euro für jedes der fünf Jahre, über die der Vertrag läuft.
Wie bezahlt Paris das alles?
Diese Frage stellt sich die ganze Fussball-Welt. Auf das Gehalt kommen noch die hohen französischen Steuern obendrauf. Auch die Zahlung der Ausstiegsklausel von 222 Millionen Euro an den FC Barcelona wird wohl mit Steuern belegt, weil sie vom Finanzamt als Bonuszahlung gewertet werden könnte.
Laut Experten wird das Gesamtvolumen des reinen Transferdeals damit auf rund 300 Millionen und jenes des ganzen Neymar-Engagements – samt Gehalt und bis zu 80 Millionen Euro kolportierter «Signing Fee» – auf über 700 Millionen Euro ansteigen.
Rechtsanwalt Juan de Dios Crespo, der am Donnerstag die 222 Millionen Euro beim FC Barcelona ablieferte, sagte im spanischen Radio, er wisse nicht, woher das Geld exakt stamme. Fest steht: Als eingetragener Verein oder mit einem normalen Besitzer könnte Paris diese Summen unmöglich bezahlen. Aber es hat ja Katar.
Die Investorengruppe QSI (Qatar Sports Investments) übernahm 2011 die Mehrheit am Verein und hat ihn seitdem zum europäischen Spitzenklub aufgepäppelt. 2012 erwarb die quasi-staatliche Holding die übrigen Anteile. Seitdem spielt Geld im Pariser Prinzenpark allenfalls noch insofern eine Rolle, als es gilt, den Rahmen des Financial Fairplay des europäischen Fussballverbandes Uefa zu wahren. Dem Schein nach jedenfalls.
Droht dem PSG eine Strafe?
Wie die Franzosen die Ausgaben gegenrechnen, wird man wohl erst in ihrer nächsten Jahresbilanz erfahren. Es wird einige Kreativität vonnöten sein, denn das Financial Fairplay schreibt ausgeglichene Bilanzen vor und erlaubt an sich kein «Finanzdoping» – also künstliche (nicht durch das Fussballgeschäft erzielte) Einnahmen.
Paris wurde für einen Verstoss gegen diese Regularien im Jahr 2014 mit 60 Millionen Euro Geldstrafe belegt. Damals hatte es mit der katarischen Tourismusbehörde einen Sponsorenvertrag zum für Marktverhältnisse völlig irrealen Tarif von 200 Millionen Euro pro Jahr abgeschlossen – der unschwer zu durchschauende Versuch, das Mäzenatentum zu kaschieren. Die Uefa hob die Strafe später allerdings – es mag überraschen oder nicht – auf.
Anwalt Crespo klärte nun immerhin auf, das von ihm deponierte Geld «kommt vom PSG». Die Vermutung, wonach es über einen Sponsorenvertrag für eine WM-Botschafterrolle 2022 direkt aus Katar an Neymar gezahlt worden sein könnte, scheint damit vom Tisch. Sie hätte in ihrer Abenteuerlichkeit wohl auch die tolerantesten Rechnungsprüfer bei Uefa und Europäischer Union überfordert.
Auch diese könnte der Deal nämlich noch beschäftigen. Die spanische Liga LFP, die den Transfer am Donnerstag durch eine Verweigerung der Geldannahme beim ersten Auszahlungsversuch der 222 Millionen Euro um ein paar Stunden aufgeschoben hatte, hat bereits angekündigt, den PSG nicht nur bei der Uefa, sondern gegebenenfalls auch in Brüssel anzuzeigen. Sie argumentiert über das Financial Fairplay hinaus auch mit dem EU-Wettbewerbsrecht und den Richtlinien gegen Geldwäsche.
Verdirbt der Transfer auch die letzten Sitten im Fussball?
Am Freitag äusserte der FC Barcelona durch seinen Sprecher Josep Vives noch einmal seinen «Unmut über Inhalt wie Form» von Neymars Abgang. Dabei dürften sich die Katalanen am wenigsten gewundert haben: Sie wurden letztlich nur von den Geistern eingeholt, die sie selbst riefen.
Sie waren es, deren Präsident Sandro Rosell 2013 eine Reihe dubioser Abmachungen mit den Neymars abschloss, um den Spieler nach Barcelona zu locken. Die Verträge beschäftigen immer noch die spanische wie brasilianische Justiz und haben bereits zu einer Verurteilung des Vereins geführt.
Dennoch und obwohl Rosell wegen der Vorgänge 2014 zurücktrat (mittlerweile sitzt er wegen anderer Delikte im Gefängnis) erfand der Klub 2016 mit Neymar Senior die nächste Spezialklausel. Dem Spielervater sollte am 31. Juli 2017 eine Sonderprämie für die Vertragsverlängerung seines Sohnes in Höhe von 26 Millionen Euro ausgezahlt werden.
Nur aus diesem Grund hätte Neymar seinen seit Wochen anstehenden Wechsel zum PSG bis zum August hinausgezögert, heisst es nun in Barcelona – wo man daher die 26 Millionen Euro bei einem Notariat hinterlegt hat und die Angelegenheit juristisch klären lassen will, sollten die Neymars weiter auf der Auszahlung bestehen. Dies hätten sie bei ihrer Verabschiedung am Mittwoch lautstark getan.
Neymar Júnior erklärte in Paris, er habe sich nach langem «Hin- und Herdenken» erst vor zwei Tagen für den Wechsel zum PSG entschieden. Wenn die Leute schlecht von ihm dächten, mache ihn das «traurig», so der Angreifer: «Geld war nie mein oberster Beweggrund».
Und was macht Barcelona jetzt mit den 222 Millionen?
Die Katalanen könnten ihren mit gut 500 Millionen Euro Kosten veranschlagten Umbau des Vereinsgeländes (samt Erweiterung des Camp Nou auf 105’000 Plätze) beschleunigen, der – wie es heisst, auch aus Geldproblemen – zuletzt ins Stocken geriet. Der Branchenlogik entsprechend wird man einen Grossteil der Summe aber wohl in Kickerbeine reinvestieren: Das frustrierte Fanvolk braucht schnell Betäubung, bevor sein Zorn über Neymar auf die Klubführung umschlagen könnte.
Weit oben auf der Liste möglicher Nachfolger steht der 20-jährige Ousmane Dembélé von Borussia Dortmund, für den die Deutschen allerdings bis zu 100 Millionen Euro aufrufen sollen. Zu den Konkurrenten um die Dienste des Franzosen soll wie bei dessen Landsmann Kylian Mbappé auch Real Madrid gehören. Vielleicht kein so gutes Omen: just um den Erzrivalen auszustechen, wurde einst bei Neymar mit den Tricksereien begonnen.
Ein weniger glamouröser Transfer steht sogar schon vor dem Abschluss, heisst es in den klubnahen Medien: von Real Sociedad soll Innenverteidiger Iñigo Martínez kommen. Barça werde dessen Ausstiegsklausel bezahlen, ohne bisher mit dem abgebenden Verein gesprochen zu haben.
Die Prozedur kommt einem bekannt vor.
Der Saisonbeginn in der französischen Ligue 1