Die Orientierungsläuferin Simone Niggli-Luder beendet nach dem Weltcup-Finale vom Wochenende in Baden ihre einzigartige internationale Karriere – und verabschiedet sich unter Tränen.
Es ist der Augenblick, der ihr die Endgültigkeit des Entscheides bewusst macht: Simone Niggli sitzt den Medienleuten gegenüber, aber sie präsentiert sich nicht wie üblich. Nicht voller Freude, wie so oft erlebt nach grossen Siegen, nicht enttäuscht, wie nach einer der raren Niederlagen, nicht fundiert erklärend und analysierend, wie stets während den zwölf Jahren auf allerhöchstem Niveau. Nein. Simone Nigglis Mundwinkel zeigen nach unten. Sie kämpft – kämpft mit sich und kämpft mit den Tränen.
Thematisiert wird am Wettkampfort Baden vorerst das Weltcup-Finale vom kommenden Wochenende. OK-Präsidentin Brigitte Grüniger Huber beschreibt die Attraktivität, vor allem die des Sprints vom Sonntag. Matthias Kyburz gibt als aktueller Weltcupleader Auskunft über seine Form und seine Absichten und der Medienverantwortliche Severin Furter vermittelt Wissenswertes zum Ablauf.
Ehe sich Moderator und Kommunikationschef bei Swiss Orienteering, Nik Russi, an sie wendet, an Simone Niggli-Luder, an die Vorzeigefrau der Sportart schlechthin, an jene Frau, welche während Jahren exzellente Leistung an exzellente Leistung gefügt hat. An Niggli-Luder, die 35-jährige Bernerin aus Münsingen, die mit den beiden Rennen in Baden – dem Mitteldistanzrennen am Samstag und dem Stadtsprint am Sonntag – ihre einzigartige Karriere beschliessen wird.
Ein Kreis schliesst sich
«Alles hat ein Ende und ich werde noch zwei Mal Vollgas geben», sagt Niggli-Luder. Die Frage mit dem Rücktritt hatte sich die dreifache Mutter – Tochter Malin (5) sowie die Zwillinge Lars und Anja (2 ¼) – bereits nach den Weltmeisterschaften in Lausanne vor 14 Monaten gestellt, einer erfolgreichen WM notabene.
Nach reiflicher Überlegung hatte sie sich damals zum Weitermachen entschlossen – «sicher für ein Jahr, wohl aber für zwei Jahre». Und jener Entscheid machte sich bezahlt. Die Weltmeisterschaften von vergangenem Juli in Vuokatti (FIN) wurden für sie zu «einem absoluten Highlight». In jedem der drei Einzelrennen holte sie den Titel, mit der Staffel Bronze – und das in «echt nordischem Gelände», dem Heimterrain der Skandinavier. Zu Recht schliesst sie daraus: «Einen schöneren Zeitpunkt zum Abtreten gibt es wohl nicht mehr.» Zumal sich «ein Kreis schliesst», denn in Tampere (FIN) gewann die Ausnahmekönnerin 2001 ihr erstes WM-Gold.
Auf dem Höhepunkt
Schwierig war der Entscheid dennoch – und reiflich überlegt ebenso, denn «an der Liebe zur Sportart, der Freude, der Motivation fehlte es nach wie vor nicht». Aber sie habe Anzeichen dafür erkannt, dass «der Körper nicht auf unbeschränkte Zeit mitspielen wird». Im Winter sei sie krank gewesen, Verletzungen bremsten sie.
Der Druck, der auf ihr zu lasten begann, bereitete ihr Mühe. Im Mitteldistanzrennen an den Weltmeisterschaften, dem Goldlauf, kam der intensive Gedanke: «Das könnte das letzte WM-Einzelrennen sein». Nach vielen Gesprächen mit ihren engsten Vertrauten, auch eigenen Gedankengängen, habe sich in den letzten Wochen der Rücktrittsentscheid konkretisiert – und ihr den Abgang auf dem Höhepunkt ermöglicht.
Titel über Titel
Und was bleibt zurück an Fakten? 23 Weltmeistertitel, 10-EM-Goldmedaillen, acht, am Sonntag womöglich neun Weltcup-Gesamtsiege, 38 Schweizermeistertitel, Schweizer Sportlerin der Jahre 2003, 2005, 2007 und – womöglich – 2013. Niggli-Luder errang Erfolge, die in ihrer Sportart unerreicht sind und es wohl lange bleiben werden.
Ihr glückte aber auch Einzigartiges im Quervergleich mit andern Sportarten. Eine Erfolgsserie von ähnlicher Dauer, Konstanz und vergleichbarer Qualität ist schwer zu finden. Standesgemäss möchte sie sich verabschieden, wobei der neunte Weltcup-Gesamtsieg kein Selbstläufer darstellen wird. Auch mit zwei Tagessiegen kommt sie nicht unbedingt an der aktuellen Leaderin Tove Alexandersson (S) vorbei.
Sie freut sich auf die Herausforderung: «Ich werde nochmals Vollgas geben und hoffe auf Unterstützung, nicht zuletzt in Form von Topläufern meiner Teamkolleginnen.»
Simone Niggli-Luder vor den Weltmeisterschaften 2012 in Lausanne über das Ausbrechen aus gewohnten Regeln, den Schein des Perfekten und Leichen im Wald. Das Interview mit der TagesWoche: «Ich kann schon zeigen, was als Frau möglich ist».