Die Wiener Austria steht zur allgemeinen Überraschung in der Champions League – und könnte heute bei der Auslosung zum Gruppengegner des FC Basel werden. Der Coup des österreichischen Meisters beschert einem Privatsender Rekordquoten und sorgt beim Staatsfernsehen für lange Gesichter.
Es ist nicht überliefert, welche Reaktionen der entscheidende Treffer von Austria-Stürmer Roman Kienast auf dem Wiener Küniglberg ausgelöst hat. Aber es darf davon ausgegangen werden, dass in der Zentrale des Österreichischen Rundfunks (ORF) eher nicht grosser Jubel und Euphorie ausgebrochen ist. Da ist mit der Wiener Austria endlich wieder einmal eine österreichische Mannschaft in der Champions League am Ball, und dann steht ausgerechnet der Staatssender im Abseits.
Die Wiener Austria und der FC Basel werden am Donnerstag bei der Auslosung in Monaco (ab 17.45 Uhr, Eurosport) erfahren, auf wen sie in der Gruppenphase der Champions League (ab 17./18. September) treffen. Womöglich kreuzen sich ihre Wege sogar. Zur Einteilung der Lostöpfe.
Die mutige Programm-Idee, die Übertragungsrechte an der Champions League gegen jene an der Europa League zu tauschen, da dieser Bewerb in den vergangenen Jahren zusehends zur Spielwiese der österreichischen Vereine geworden ist, wird für den ORF nun schon zum zweiten Mal zum Bumerang. Bereits beim Champions League-Triumph von David Alaba mit Bayern München in der Vorsaison war man nicht im Bilde, während der Privatsender Puls 4, der sich die Champions League-Rechte gesichert hatte, Rekordquoten vermeldete.
Auch bei Austrias gewinnbringender 2:3-Niederlage am Dienstag gegen Dinamo Zagreb in den Playoffs verzeichnete der TV-Kanal nun mit 750’000 Zusehern Top-Einschaltziffern auf ORF-Niveau. «Ein grosser Schritt für den österreichischen Fussball, ein noch grösserer Schritt in der Geschichte des österreichischen Privatfernsehen», jubelte Puls 4 tags darauf in einem Communiqué.
Wo Red Bull regelmässig in die Röhre schaut
Dass nun ausgerechnet der Wiener Austria als erstem rot-weiss-roten Team seit acht Jahren – Rapid Wien scheiterte 2005/06 in der Gruppenphase – der Sprung in die Champions League geglückt ist, kommt unerwartet, aber trotzdem nicht von ungefähr. Eher hatte man diesen Coup Red Bull Salzburg zugetraut, jenem österreichischen Ligakrösus, der sich den Traum von der Champions League seit Jahren hunderte Millionen Franken kosten lässt.
Aber die Salzburger erleben regelmässig ein böses Erwachen. Einerseits wegen der fehlenden Strategie und der mangelnden Kontinuität beim Personal, andererseits wegen peinlicher Stolperer, die im Vorjahr in der Blamage gegen den luxemburgischen Meister Düdelingen gipfelten.
Die Austria – auferstanden aus dem versunken Schlaraffenland
Die Wiener Austria zeigte nun, wie man auch mit deutlich geringeren Mitteln das Casting für die Eliteliga bestehen kann. Der Traditionsverein musste notgedrungen einen anderen Weg bestreiten, seit der austrokanadische Multimilliardär Frank Stronach der Austria seine Liebe und finanziellen Zuwendungen entzogen hat. Aber schon damals, als die Austria einem Fussball-Schlaraffenland mit überhöhten Gagen und jeglichem Luxus glich, hatte sich gezeigt: Geld allein reicht nicht für die Qualifikation zur Champions League.
«Wir haben in den letzten Jahren eine klare Strategie verfolgt,» sagte Markus Kraetschmer nach dem Coup gegen Zagreb, und der Finanzvorstand der Austria hatte Tränen in den Augen. Zu gut sind ihm noch die turbulenten Zeiten in Erinnerung. Nach dem Rückzug von Mäzen Stronach bei der Austria war der 24fache österreichische Meister 2007 vor dem Ruin gestanden. Die neue Führung setzte – notgedrungen – auf den österreichischen Weg und die Talente aus der eigenen Nachwuchsakademie und gelangte damit auf die Siegerstrasse. Im aktuellen 25-Mann-Kader der Austria scheinen lediglich vier Legionäre auf.
Das Spektakel lockt die Zuschauer
Diese Philosophie kommt sichtlich an. Über Jahrzehnte hatte die Austria in der Millionenstadt Wien ein Problem, das Stadion zu füllen und die Fans zu begeistern. Mittlerweile ist die kleine, im Stadtteil Favoriten gelegene Generali-Arena mit ihren 10’500 Plätzen fast immer ausverkauft.
Das liegt vermutlich auch daran, weil bei der offensiv orientierten Austria das Spektakel und die Dramaturgie Programm sind. Die Qualifikationsspiele gegen Dinamo Zagreb lieferten erneut den Beleg für den hohen Unterhaltungswert der Spiele des amtierenden Meisters. «Das war eine Berg- und Talfahrt, aber so ist eben Austria Wien», sagt Finanzvorstand Kraetschmer.
Nach dem souveränen 2:0-Auswärtserfolg in Kroatien und der frühen Führung im Rückspiel in Wien (1:0 nach fünf Minuten) schien die Reise in die Champions League bereits gebucht. Eine Stunde und drei Dinamo-Tore später war aus der Austria plötzlich ein Europa-League-Teilnehmer geworden, ehe Roman Kienast mit seinem Tor im Finish für die Erlösung sorgte.
«Uns wird erst in einigen Tagen bewusst sein, was wir erreicht haben», sagt Nenad Bjelica. Der Kroate hat im Sommer den zum 1.FC Köln abgewanderten Meistermacher Peter Stöger als Cheftrainer abgelöst. «Wir haben uns das verdient», sagt Bjelica, dessen Team in der vorletzten Qualifikationsrunde mit dem isländischen Meister FH Hafnarfjörður (1:0, 0:0) noch seine Mühsal gehabt hatte.
Das Geld aus der Königsklasse soll mit Bedacht investiert werden
Mit dem Einzug in die Champions League hat sich vorerst auch die Personalpolitik der Austria bezahlt gemacht, die im Sommer das Erfolgsteam trotz lukrativer Angebote zusammenhalten konnte. Ein Angebot für Torschützenkönig Philipp Hosiner von Hoffenheim wurde ebenso ausgeschlagen wie eine Offerte von Werder Bremen für Aussenverteidiger Markus Suttner. Durch die Einnahmen in der Eliteliga – die Austria rechnet mit 15 Millionen Franken – scheint auch ein Not-Verkauf von Leistungsträgern nicht mehr nötig zu sein.
Ohnehin will man bei der Wiener Austria in die Zukunft investieren. Das Beispiel früherer österreichischer Champions League-Starter wirkt abschreckend. So hatte Sturm Graz – zwischen 1998 und 2000 dreimal hintereinander in der Gruppenphase – in der sportlichen Hochblüte mit aberwitzigen Gagen und sündteuren Transfers den späteren Konkurs eingeläutet. Bei den Wienern sind nun keine Spielerkäufe geplant. «Wir wollen das Geld nachhaltig in unser Stadion investieren», verkündet Finanzvorstand Markus Kraetschmer.
Denn während die Austria sportlich das Zeug für die besten 32 Fussballmannschaften besitzt, ist das kleine Stadion am Stadtrand von Wien alles andere als Champions-League-tauglich. Für die drei Heimspiele wird der Verein deshalb ins grosse Ernst Happel-Stadion (45’000 Plätze) übersiedeln, das normal für die Nationalmannschaft reserviert ist. «Wir werden auch dort Fussballfeste feiern», prophezeit Kraetschmer.
Das Online-Dossier zur Austria bei der Wiener Zeitung «Der Standard».