Österreich hilft der Galgenhumor – und die Vorfreude auf Schnee

Ohne eine einzige mickrige Medaille werden die Österreicher von den Olympischen Spielen zurückkehren. Die Politik ist entsetzt und will den Sport ganz neu fördern. Das Volk nimmt’s mit schwarzem Humor und freut sich einfach auf den Winter.

Judo: Sabrina Filzmoser verliert wegen eines Fehlgriffs den Kampf gegen die Französin Automne Pavia. (Bild: Reuters/DARREN STAPLES)

Ohne eine einzige mickrige Medaille werden die Österreicher von den Olympischen Spielen zurückkehren. Die Politik ist entsetzt und will den Sport ganz neu fördern. Das Volk nimmt’s mit schwarzem Humor und freut sich einfach auf den Winter.

Irgendwann hilft nur mehr der Galgenhumor. Wenn es schon sonst nichts zu lachen gibt bei den Olympischen Spielen, dann werden sich wenigstens die Reporter einen Spass auf Kosten der österreichischen Sportstars erlauben dürfen. Der Mitarbeiter des ORF, der sich in London ins Schweizer Haus verirrte, um endlich einmal einer Medaillenfeier beiwohnen zu können, beendete sein Interview mit Triathlon-Olympiasiegerin Nicola Spirig süffisant provokant: «Noch nie war bei diesen Olympischen Spielen ein Österreicher einer Medaille so nah, wie ich heute.»

Während alles von perfekt organisierten Sommerspielen schwärmt, von Bolt’schen Goldläufen und von Phelp’schen Superlativen, von freundlichen Gastgebern und spektakulären Wettbewerben, ist in Österreich der grosse Katzenjammer voll im Gang.

Der Blick in den Medaillenspiegel lässt Fans und Funktionäre mit jedem Wettkampftag noch mehr erschaudern: 0, 0, 0 – Österreichs Sommersport schlägt die Stunde null, seit fast einem halben Jahrhundert (Tokio 1964) haben die rot-weiss-roten Sportler bei Olympischen Spielen nicht mehr so schlecht abgeschnitten wie jetzt in London.

Ein Auszug aus Österreichs Pleiten-, Pech-, und Pannenregister

Zwei vierte Plätze im Segeln und im Schwimmen waren schon das Höchste der Gefühle. Der grosse Rest fällt eher unter die Rubrik Olympia-Touristen, die das olympische Motto allzu ernst nahmen. Denn für den Grossteil der 70 österreichischen Sportler war in London tatsächlich «dabei sein alles».

Nur ein Auszug aus dem olympischen Pleiten-, Pech- und Pannenregister Made in Austria: Der Geländereiter Harald Ambros? Vom Pferd geplumpst. Der Sprinter Bernhard Eisel? Vom Rad gefallen. Der Turner Fabian Leimlehner? Vom Reck gestürzt.

Dazu eine Judokämpferin (Sabrina Filzmoser), die sich an der Gegnerin vergriff und wegen einer falschen Technik disqualifiziert wurde; ein Rückenschwimmer (Sebastian Stoss), der über 200 Meter immerhin einen Gegner hinter sich liess und Rang 34 belegte; Tischtennisspieler, die im Teamwettkampf gegen Deutschland einen ganzen Satz gewannen; Schützen, die die Finalkämpfe klar verfehlten; und, und, und …

Der Schwimmer, der an der Ski-Legende rüttelt

Und vor allem nicht zu vergessen Markus Rogan. Der österreichische Schwimmstar (34 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften) war bei diesen Sommerspielen in aller Munde. Zu Land und zu Wasser. Über 200 Meter Lagen wurde er wegen einer unsauberen Wende disqualifiziert, und auch vor dem Mikrofon lief für den Egozentriker nicht alles nach Plan. In einem Interview hatte er sinngemäss erklärt, dass er im Wettkampf gerne den Kopf ausschalten würde wie seinerzeit Hermann Maier und zu viel Nachdenken überhaupt schädlich sei im Spitzensport.

Das hatte gerade noch gefehlt, so eine Aussage fällt fast schon unter Majestätsbeleidigung in einer Ski-Nation wie Österreich, in der Hermann Maier unter Denkmalschutz steht. Seinen Kritikern und Medien lieferte der ehemalige Stanford-Absolvent Rogan damit Stoff für tägliche Häme und Kolumnen.

Prompt heisst es heute: Österreichs Sportler seien nur ein Fall für Physik- und Mathematik-Wettkämpfe. Wenn sie schon nicht schiessen, laufen und Badminton spielen können, dann müssten sie bei diesem desolaten Abschneiden in Rogan’schem Muster wohl höchstintelligent sein. Immerhin etwas.

Der Sportminister will jetzt aber wirklich etwas unternehmen

Die Nullnummer von London ist derweil auch längst auch zum Politikum geworden. Norbert Darabos, der österreichische Sportminister, plant nach dem Londoner Fiasko eine Totalreform der Sportförderung. «Wir dürfen jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müssen rechtzeitig die Strukturen ändern. Sonst sehe ich für Rio schwarz und wir stehen wir 2016 wieder auf einer Stufe mit Luxemburg», poltert Darabos.

Vor allem die Mentalität und fehlende Professionalität einiger Olympia-Teilnehmer ärgern den obersten Sportpolitiker des Landes. «Dass sich Leute, die einen 20., 25., 30. Platz erreicht haben, vor die Kamera hinstellen und sagen, wie sehr ihnen nicht die Atmosphäre im olympischen Dorf gefallen hat, ist am Beruf vorbei.»

Künftig sollen die Fördergelder nicht mehr über dem gesamten Sport ausgeschüttet werden. Gezielte Investition heisst das neue Credo. «Wir müssen aufhören, unkontrolliert mit der Giesskanne drüber zu fahren», sagt Minister Darabos.

Im Niemandsland der Leichtathletik

Vor allem der Nachholbedarf in Elemantarsportarten wie etwa der Leichtathletik ist eklatant. Mit Ausnahme der Hürdensprinterin Beate Schrott, die überraschend den Final erreichte, laufen, werfen und springen die Österreicher der Konkurrenz um Welten hinterher. Längst ist die Nation ehemaliger Medaillengewinner in der Leichtathletik zu einem Niemandsland degradiert worden.

Die aktuellen Jahresbestleistungen dienen dafür als Beleg: So würde der aktuelle amerikanische Zehnkampf-Olympiasieger Ashton Eaton die besten österreichischen Spezialisten derzeit in sechs von zehn Disziplinen besiegen (100 Meter, Weitsprung, Hochsprung, 400 Meter, 110 Meter Hürden, Stabhochsprung).

Auch deshalb fordert Sportminister Darabos eine «Totalreform der Sportförderung» und verweist – wie fast immer in Österreich – auf das Erfolgsmodell Skiverband. «Nur zwei von 60 Fachverbänden in unserem Land garantieren olympische Medaillen. Der Rodelverband und der Skiverband. Das kann nicht sein.»

Peter Schröcksnadel, umtriebiger Präsident des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV), in dessen 20-jähriger Ära das Budget von 3 Millionen auf 35 Millionen Euro erhöht wurde, soll mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Im Österreich-Haus in London liegt echter Schnee

Überhaupt dreht sich in Österreich ohnehin schon wieder alles um die wichtigste Nebensache der Alpenwelt – das Skifahren. Da können in London noch so Olympische Sommerspiele sein, da mögen die Temperaturen noch so tropisch sein. Skifahren zieht immer, und so ist es auch kein Zufall, dass im Österreich-Haus in London mit echtem Schnee grosse Werbung für das wahre Sporthighlight gemacht wurde: Die Ski-Weltmeisterschaften im Februar 2013 in Schladming.

Für keinen anderen Sport sind Herr und Frau Österreicher mehr Feuer und Flamme, wie auch die schwachen Einschaltquoten rund um die Olympischen Spiele in London belegen. Selbst die Blamage der Fussballer von Red Bull Salzburg gegen den luxemburgischen Meister Düdelingen bewegte die Nation mehr als das schwache Olympia-Abschneiden.

Die ewigen Optimisten sehen derweil bereits Land in Sicht. Im Medaillenspiegel liegt Österreich gleichauf mit Luxemburg – das ist schon eine Steigerung gegenüber dem Fussball.

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