Roger Federer ist der Letzte seiner Generation, der noch an der Spitze mitspielt. Und der Einzige überhaupt, der Novak Djokovic fordern kann. So auch am Donnerstagmorgen (Schweizer Zeit) beim Halbfinale in Melbourne.
Roger Federers alte Weggefährten haben sich längst in den Ruhestand verabschiedet. Der amerikanische Ballermann Andy Roddick. Der leidenschaftliche Argentinier David Nalbandian. Der launische, unwägbare Russe Marat Safin. Und eben erst der unermüdliche australische Strassenkämpfer Lleyton Hewitt.
Mit ihnen ist Roger Federer grossgeworden im Wanderzirkus der Tennisnomaden, andere Stars und Sternchen hat er später kommen und gehen sehen. New Kids on the Block, deren Hoffnungen und Träume verglühten. Hochgehandelte Herausforderer, die niemals von oben herab auf die Tenniswelt blicken durften. So wie er, der ewige Roger.
Mit allen Superlativen ist Federer beschrieben worden: Tennis-Mozart, Tennis-Gott. Supermann, Genie, Ästhet, Künstler. Und gerade erst hat der alte Meister Boris Becker den Schweizer als «Phänomen» bezeichnet, als einen, der das moderne Tennis geprägt habe «wie kaum ein anderer, auch als Botschafter dieses Sports».
«Jugendliche Begeisterung fürs Tennis»
Becker ist der Trainer von Novak Djokovic, dem Federer am Donnerstag im Halbfinale der Australian Open wieder einmal auf einem der grossen Center Courts gegenüberstehen wird. Aber der sechsmalige Grand-Slam-Champion Becker weiss, was sich gehört. Und er weiss ganz nebenbei auch, was das eigentlich Erstaunliche an Federer ist: «Er könnte mit bald 35 den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Er hat schon so viel gewonnen», sagt Becker, «aber er hat immer noch eine jugendliche Begeisterung fürs Tennis.»
Federer spielt immer noch mit, fast zwei Jahrzehnte nach seinem Start ins Profigeschäft. Und das nicht einfach als Mitläufer, als einer, der nicht aufhören kann oder den Absprung verpasst hat und als schlechte Kopie seiner selbst mit im Tennistross herumgondelt. Nein, Federer ist Mitte dreissig, 17-maliger Grand-Slam-Champion und vierfacher Familienvater – und der einzige regelmässige Herausforderer jenes Novak Djokovic, der seit ein paar Jahren das Welttennis beherrscht.
Federer, der nimmersatte, nimmermüde Daddy Cool, aktuell der älteste Grand-Slam-Halbfinalist seit Andre Agassi (2005). «Ich hatte noch keinen Tag, an dem ich nicht gern auf den Trainingsplatz oder in ein Match gegangen bin», sagt Federer. Und die bevorstehende Prüfung gegen Djokovic? «Es wird schwer. Aber alles ist möglich, so wie immer.»
Drahtig, fit, hochmotiviert
Federer lässt fast alle Gegner mit souveräner Klasse abblitzen, die Jüngeren in der Branche, die ganz Jungen aus der übernächsten Generation. Aber auch die meisten Rivalen, die in der Hackordnung des Welttennis direkt hinter den grossen Vier oder Fünf folgen, so wie den Tschechen Tomas Berdych, den er am Dienstag in drei Viertelfinal-Sätzen 7:6, 6:2, 6:4 abservierte. Federer, drahtig, fit, hochmotiviert, kann für die meisten Kollegen auch jetzt noch der sein, der er vor zehn Jahren war, auf der Höhe seiner Dominanz: der brillante Spielverderber. «Seine Konstanz, seine Klasse bis heute – es ist einfach unglaublich», sagt Jim Courier, der amerikanische Davis-Cup-Boss.
Man kann und muss sich Federer auch über die nackten Zahlen und Fakten nähern. Denn sie illustrieren die glanzvolle Marathonkarriere eines Mannes, der seit seinen frühen Zwanzigern hartnäckig immer wieder im grossen Spiel um Titel und Trophäen war. Rekordbrecher ist er pausenlos, gerade erst hat er die magische Marke von 300 Grand-Slam-Siegen geknackt. Und wenn er am Donnerstag ins Duell geht gegen Novak Djokovic (6:3, 6:2, 6:4 im Viertelfinale gegen Kei Nishikori), dann ist es sein 39. Grand-Slam-Halbfinale und das zwölfte Halbfinale in Melbourne, beides selbstverständlich einsame Bestleistungen in der modernen Tennisära.
Auf absehbare Zeit könnte nur Djokovic, der Frontmann, Federers Spur folgen und Allzeitrekorde brechen. Die Rivalität der zwei Titanen ist es auch, die das Herrentennis prägt – und nicht etwa ein Kampf von Djokovic gegen jüngere Herausforderer. Bei den Grand Slams in Wimbledon und New York 2015 standen sie sich im Finale Auge in Auge gegenüber, Djokovic gewann jeweils den Titel. Aber nur gegen Federer hat er in seiner Paradesaison auch drei Begegnungen verloren.
Ausgeglichene Bilanz gegen Djokovic
Federer verändert auch in seinen späten Karrierejahren noch das Profitennis, experimentiert mit neuem Arbeitsgerät, ändert Strategie und Personal. Stefan Edberg holte er an seine Seite, gewann noch einmal frische Offensivkraft. Und nun ist der Kroate Ivan Ljubicic an seiner Seite, einer, der als noch nicht allzu lange pensionierter Berufsspieler bestens über Federers Rivalen Bescheid weiss. Vor allem aber über Djokovic.
44 Spiele gab es bisher zwischen Federer und Djokovic: 22-mal siegte Federer, 22-mal Djokovic. Nun also das Halbfinale von Melbourne, das wie ein vorweggenommenes Endspiel wirkt. «Es ist egal, ob es nun das Halbfinale oder das Endspiel ist», sagt Federer, «der Titel führt ja sowieso über Djokovic.»