Philipp Degen: «Ich glaube nicht, dass es ein Basler Sololauf wird»

Jeden Tag aufs Neue sich und die anderen herausfordern – das ist die Maxime von Philipp Degen. Ein Gespräch mit dem 32-jährgen Verteidiger des FC Basel über verpasste Chancen, den steinigen Weg nach dem Profidasein und über den Trend zum Video.

Basel's Philipp Degen on his arrival at the John Lennon Airport in Liverpool, Great Britain, on Monday, December 8, 2014. Switzerland's FC Basel 1893 is scheduled to play against Britain's Liverpool FC in an UEFA Champions League group B matchday 6 soccer match on Tuesday, December 9, 2014. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

(Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)

Jeden Tag aufs Neue sich und die anderen herausfordern – das ist die Maxime von Philipp Degen. Ein Gespräch mit dem 32-jährgen Verteidiger des FC Basel über verpasste Chancen, den steinigen Weg nach dem Profidasein und über den Trend zum Video.

Philipp Degen, fanden Sie denn den Auftritt der Nationalmannschaft in England auch so schlecht, wie er von vielen in der Schweiz gesehen wurde?
Was wollen Sie hören?

Ihre Meinung als 32-facher Nationalspieler, auch wenn das letzte Länderspiel schon ein paar Jahre zurückliegt.
Nur so viel: Wenn man bedenkt, dass diese Engländer bereits qualifiziert sind, wäre mehr dringelegen. Was dem Spiel der Schweizer gefehlt hat, war eine zwingende Chance.

Der FCB empfängt St. Gallen

Die Super League setzt der FC Basel an diesem Samstag (20.00 Uhr) mit dem Heimspiel gegen den FC St. Gallen fort. Zu unserer Vorschau:
» Der FCB sucht einen Linksverteidiger zur Aushilfe

Wo würde Sie sich sehen in dieser Nationalmannschaft?
Ich? Gar nirgends.

Ist das Thema erledigt für Sie?
Was heisst erledigt? Ich mache mir null Gedanken darüber, ich habe meinen Frieden, und das ist das Wichtigste für mich.

Kann man sagen, dass Sie schon froh sind, wenn Sie beim FC Basel spielen?
Nein, das ist überhaupt nicht so. Ich bin zwar 32 Jahre alt, aber ich habe noch meine Ambitionen. Ich weiss, was ich bringen kann, that’s it. Ob ich nun spiele oder nicht – ich stelle mich in den Dienst der Mannschaft und des Vereins. Mal spielt der, mal spielt jener, mal spielt ein anderer mehr. Ich werde auch nicht jünger, und irgendwann ist es soweit. Aber ich habe immer noch Feuer und kann der Mannschaft helfen, wenn ich spiele. Dafür muss ich aber voll im Saft sein.

Sind Sie das momentan?
Wenn ich ehrlich bin, fehlt schon noch ein bisschen was. Ich habe halt die ganze Vorbereitung gefehlt und nur 45 Minuten in einem Testspiel gemacht, weil ich mir am Oberschenkel einen kleinen Muskelfaserriss zugezogen hatte. Ganz minim, ganz doof.

Und wie spüren Sie den Rest Ihres Körpers als 32-Jähriger?
Gut, eigentlich topfit. Was fehlt, ist die Matchfitness. Wenn man voll drin ist, dann hat man den Rhythmus, dann bringt man viel mehr Dampf und Power. Da spielt es keine Rolle, wie alt man ist. Aber ich bin auf gutem Weg.

Basels Philipp Degen, links, kaempft gegen YBs Raphael Nuzzolo im Fussball Super League Spiel zwischen dem BSC Young Boys Bern und dem FC Basel, am Sonntag, 22. Februar 2015, im Stade de Suisse Wankdorf in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Reicht das Feuer auch noch, um den Club von einer weiteren Vertragsverlängerung über Juni 2016 hinaus zu überzeugen?
Ach, hören Sie: Davon bin ich so weit entfernt. Ich freue mich, wenn ich spielen kann und dass ich Teil dieser Mannschaft sein darf. Wir sind auf Kurs, ausser der verpassten Champions League. Aber nun spielen wir Europa League, das ist auch gut. Und jetzt schauen wir, dass wir diese Kampagne erfolgreich bestreiten. Der zweite Platz ist ein Muss, wenn nicht sogar der erste Platz in der Gruppe das Ziel sein muss. Klar ist die Fiorentina eine gute Mannschaft, aber unser Anspruch muss auf jeden Fall sein, europäisch zu überwintern.

Und in der Meisterschaft?
Wir wollen zuoberst bleiben. Was wir angestrebt haben, wurde erreicht: sieben Siege aus sieben Spielen. Und gegen St. Gallen wollen wir den achten Sieg holen.

Ihr Zwillingsbruder David ist seit einem Jahr im Ruhestand. Denken Sie darüber auch schon nach?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe einen Vertrag bis Sommer 2016, und ich geniesse jeden Tag, den ich noch als Profi habe. Und so lange ich noch das Feuer in mir spüre, mache ich mir über die Zeit danach keine Gedanken. Das Wichtigste (klopft dreimal auf den Holztisch) ist für mich die Gesundheit, und wenn ich mich mal nicht mehr aufrege, wenn ich nicht mehr das Feuer habe, das volle Ding, wenn nur drei Prozent fehlen, dann sage ich: Das war’s. (Klopft einmal heftig auf den Tisch.)

Stand heute spielen Sie also in einem Jahr immer noch Fussball – wenn nicht beim FC Basel, dann irgendwo anders?
Das wird man dann sehen. Bei Marco Streller haben wir es doch auch nicht vorausgesehen. Ich kann mich sehr gut einschätzen, stelle mich in den Dienst des Vereins und darauf ein, dass ich nicht mehr jeden Match mache. Wenn es darauf ankommt, kann man von mir noch einiges erwarten. Ich will, ich bin da, ich bin ready. Der FCB wird und muss immer wieder jüngere Spieler holen und einbauen, damit es weitergeht. So ist das Fussballgeschäft. Als Älterer hat man es automatisch zunehmend schwerer, weil so viele Jüngere nachdrängen und so viele Spieler auf dem Markt sind.

Wie geht es Ihrem Bruder David?
Gut, sehr gut sogar. Er ist wie immer unter Strom, und unter der Woche sehr viel in Berlin bei seinem Start-up goalgetter.tv.

Eine Internet-Plattform für Profis und Amateure…
…und Fans. Es geht nur um Fussball, aber rundum. Das kann auch mal Lifestyle sein, egal. Aber nur Videos.

Das wird genutzt?
Ich glaube, es ist gut angelaufen. Es ist wie bei jedem Start-up auf diesem Planeten: Man muss am Anfang Dreck fressen, da fängt man von ganz unten an. David kennt das Geschäft, er kennt das Internet, und Berlin ist in dieser Hinsicht das Mekka von Europa. Da ist er mit seinen Leuten, mit den Programmierern, und gibt Vollgas. Ich glaube, sie sind auf einem guten Weg. Und nebenher macht er noch die anderen Sachen, die wir haben. Und die Schule, an der HSG, macht er auch noch.

Und Sie sind Investor?
Nein, Dave ist der CEO und ich bin Fussballer. (Lacht)

Sie haben kein Geld in dem Start-up Ihres Bruders angelegt?
Natürlich bin ich überzeugt, von meinem Bruder sowieso. Aber ich mache mir doch keine Gedanken über das Geschäft. Wir sind Zwillinge – und wenn er Erfolg hat, dann teilen wir ihn, und umgekehrt genauso. So läuft das.

Also sind Sie Investor?
Nein, Dave ist der Investor. Er macht das. Natürlich bin ich mit ihm im Boot. Wir machen plusminus alles zusammen.

Dann haben Sie auch ein gemeinsames Bankkonto?
Das haben wir auch. (Lacht)

Basel's Philipp Degen, right, and Basel's David Degen seen prior to a UEFA Champions League group E group stage matchday 4 soccer match between Switzerland's FC Basel 1893 and Romania's FC Steaua Bucuresti at the St. Jakob-Park stadium in Basel, Switzerland, on Wednesday, November 6, 2013. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Der Wechsel ins bürgerliche Berufsleben fällt vielen ehemaligen Fussballprofis nicht leicht. Wie erleben Sie Ihren Bruder dabei?
Der Wechsel ist hart. Aber wir haben immer brutalen Ehrgeiz und Biss gehabt. An dem hat es bei uns nie gemangelt. Morgens um sechs oder sieben aufzustehen – das hat Dave immer gehabt. Und er ist sich nicht zu schade, noch einmal zur Schule zu gehen. Aber der Weg zum Erfolg ist extrem steinig, und das weiss er. Wie viele Start-ups werden jeden Tag geboren im Internet? Alles im Leben kann scheitern. Auch ein florierendes Unternehmen, das du übernimmst, kannst du zum Scheitern bringen. Aber wichtig ist, das man eine Vision hat, diese Vision umsetzt und daran glaubt.

Diesem Vorsatz folgt er offensichtlich.
Ich glaube, die Chancen stehen gut, weil es ein Angebot in dieser Form noch nicht gibt. Und der Trend geht zum Video. Es zählen nur noch Videos. Firmen und Sponsoren wollen im Marketing nur noch Videos sehen. Videos sagen etwas aus, Videos bringen Emotionen rüber und stellen einen Menschen von einer anderen Seite dar. Und das Ganze soll nicht gestellt sein.

Sie meinen, zurückgelehnte FCB-Texte wie bei tageswoche.ch können wir uns bald abschminken?
Ich will Ihnen jetzt nicht zu nahe treten, aber wissen Sie, was gefragt sein wird: Dass Sie im Video ein Statement abgeben zum FCB und sagen, wie es aussieht. Das wird in drei, vier Jahren so weit sein. Wenn nicht früher.

Dann könnten wir ja zusammen ein Start-up ins Auge fassen?
Ich mache keine Witze. Das interessiert die Leute. Ich lese schon noch Texte, aber ansonsten schaue ich fast nur noch Videos. Aber keine langweiligen Sachen. Der Trend ist eingeläutet und er kommt wie oftmals aus den USA. Die Leute hören wahrscheinlich lieber zu und sehen dabei noch etwas, als einen Text runterzulesen. Mit meinen Videos auf goalgetter.tv habe ich mehr als 68’000 Views gehabt – das erreicht man mit einem Text oder einem Foto nicht mal annähernd.

Ein Beispiel aus dem Inhalt von goalgetter.tv:

Wie sieht denn Ihr Medienkonsum aus. Lesen Sie noch Tageszeitungen?
Ich schon, ich gehöre ja noch zur alten Generation. Mit Alex Frei bin ich in Dortmund morgens im Café gesessen, und wir haben Zeitung gelesen. Beim FCB in der Garderobe bringt Gusti Nussbaumer jeden Morgen Zeitungen. Ich lese sie, zwei, drei ältere Spieler auch, aber die Jüngeren lesen das nicht mehr. Die sind online und schauen auf ihr Smartphone.

Der FCB hat gerade eine Stelle ausgeschrieben und sucht einen Videospezialisten. Das wäre doch was für Sie!
Ich mache mir Gedanken über den Fussball und bin happy, dass ich noch spiele. Das andere soll mein Bruder machen.

Okay, dann erklären Sie uns, was gefehlt hat, um die Champions League zu erreichen.
Da fragen Sie mich was. Wenn wir es nicht schaffen, von den beiden Spielen gegen Maccabi eines zu gewinnen, dann haben wir es vielleicht nicht verdient. Tel Aviv hat gut gemauert, das muss man auch anerkennen, und uns hat halt das Quäntchen Glück gefehlt.

Hat es nur mit Glück zu tun?
Ich weiss es nicht. Aber vielleicht sind wir im Rückspiel zum Schluss zu wenig über die Seiten gekommen. Wir haben immer durch die Mitte gespielt, und da ist Maccabi gut gestanden. Die Innenverteidiger haben Breel Embolo den Schneid abgekauft, das muss man neidlos eingestehen. Da hätte uns einer wie Marc Janko mit seiner Qualität und seiner Erfahrung geholfen. Aber Ausreden gelten nicht – unser Kader ist gut genug. Aber Tel Aviv hat sich in den beiden Spielen reingebissen, sie haben alles gegeben und es geschafft, dass wir kein Tor mehr machen konnten. Wir haben sie zweimal im Europacup rausgeworfen, und irgendwann dreht das Wettkampfglück halt auch einmal.

Muss man damit auch in der Super League rechnen oder geht der Monolog des FCB weiter?
Ich sage nein. Es sind noch zwei Spiele, dann ist gerade einmal die Hälfte der Vorrunde vorbei. Wir haben die ersten sieben Spiele gewonnen, okay, aber es werden auch Zeiten kommen, wo man nicht sieben Mal hintereinander gewinnt, da wird es auch mal ein Unentschieden geben und man wird auch mal ein Spiel verlieren. Das wird auch noch kommen, das erlebt jede Topmannschaft. Wichtig ist, dass wir uns jeden Tag aufs Neue gegenseitig herausfordern. Egal, wie viel Punkte Vorsprung wir haben. Wir wollen durchziehen bis zum Winter und jedes Spiel gewinnen – aber ich glaube nicht, dass es ein Sololauf wird.

Der Spieler Philipp Degen des FC Basel feiert mit dem Pokal und mit den Fans den sechsten Meistertitel in Folge auf dem Barfuesserplatz in Basel in den fruehen Morgenstunden am Samstag, 30. Mai 2015. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Was ist Ihre Rolle dabei?
Jeder Spieler beim FCB muss sich bewusst sein, dass wir verpflichtet sind, diesen Meistertitel zu holen. Den Druck haben wir, diesem Druck soll sich jeder stellen. Dabei darf man aber nicht verkrampfen, dieser Druck soll positiv bleiben. Und das Sieger-Gen, das haben wir beim FCB, und das müssen die Spieler immer weitertragen. Immer. Als ich jung war, haben Oliver Kahn und Stefan Effenberg mit ihrer Mentalität imponiert. Und Oli Kahn hat gesagt: Immer weiter. Es geht immer weiter im Leben. Und wenn es nicht mehr weitergeht, geht es weiter. So eine Winner-Mentalität muss man verinnerlichen. Man kann auf die Schnauze fallen, wie wir jetzt im Champions-League-Playoff. Aber was soll’s? Jetzt gehen wir back to the roots und spielen Europa League. Deshalb sollten wir nicht heulen. Die Enttäuschung ist gegessen, sie muss nach zwei Wochen Länderspielpause gegessen sein, denn jetzt geht es Schlag auf Schlag weiter.

Apropos Europa League: Das Schicksal wollte es, dass der FCB auf Paulo Sousa trifft…
Ich bin gespannt. Die Fiorentina ist eine anständige Mannschaft, ein guter Gegner, und ich freue mich auf das Spiel gegen den alten Trainer und den alten Staff. Nach der Auslosung habe ich zu Yoichiro Kakitani gesagt: Kaki, you have to score there! Und es muss das spielentscheidende Tor sein!

Was behalten Sie vom Trainer Paulo Sousa in Erinnerung?
Er hat einige neue Sachen eingeführt beim FC Basel. Alles, was unter Prävention fällt, die tägliche Vorbeugung, Stabilisationsgymnastik, das Controlling. Da gab es Positives wie Negatives, aber im Grundsatz war das gut. Paulo Sousa wollte halt alles sehr genau kontrollieren, da hat sich keiner getraut, etwas zu sagen. Er war der Boss, fertig. An ihn ist man nicht herangekommen. Aber jeder Trainer hat seinen eigenen Stil.

Basel's Philipp Degen, left, and Portuguese head coach Paulo Sousa, right, speak during a press conference at the Anfield stadium in Liverpool, Great Britain, on Monday, December 8, 2014. Switzerland's FC Basel 1893 is scheduled to play against Britain's Liverpool FC in an UEFA Champions League group B matchday 6 soccer match on Tuesday, December 9, 2014. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Am Anfang haben Sie, wenn Sie fit waren, unter Paulo Sousa fast jedes Spiel gemacht, und mit dem Champions-League-Match gegen Liverpool waren sie Weg vom Fenster. Was war passiert?
Ich habe auch gut gespielt, und er hat er mir ein paar Mal gesagt, wie wichtig ich bin. Bis zum Liverpool-Spiel. Alle rechnen damit, dass ich gegen meinen Ex-Club spiele, ich auch, und plötzlich – puff! – war ich draussen. Keine Ahnung, warum.

Es gab keinerlei Erklärung des Trainers?
Er ist nie auf mich zugekommen. Nichts, gar nichts. Er hat gesagt, Taulant Xhaka spielt Rechtsverteidiger. Fertig. Und ich habe in der Vorbereitung mit den Ersatzspielern trainiert. Das hat natürlich brutal gewurmt, weil ich das Gefühl hatte, eine gute Vorrunde gespielt zu haben. Aber ich bin positiv geblieben, klar im Kopf. Ich weiss, was ich will und was ich bringen kann, und das gebe ich auch in jedem Training. Ich pushe die Jungs, egal, ob ich spiele oder nicht. Ich gehöre jetzt zu den älteren Spielern mit einer Vorbildfunktion und die nehme ich auch wahr. Bis zu meinem letzten Atemzug, bis zum letzten Tag beim FCB.

» Die Webseite der Degen-Zwillinge

Philipp Degens Leistungsdaten der laufenden Saison:

» Mehr Statistik zum FC Basel auf unserer Seite «Alles zur Saison» 

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