Am Sonntag spielt Aufsteiger RB Leipzig sein erstes Bundesligaspiel in der Vereinsgeschichte. Wie sich der Club mit dem österreichischen Getränkekonzern im Rücken entwickelt, weiss keiner. Nur der Weg dahin ist klar: Er soll Stufe für Stufe nach oben führen.
Um 17 Uhr sollte das Training von RB Leipzig eigentlich beginnen. Das erste nach dem Pokal-Aus gegen Dynamo Dresden und vor dem Saisonauftakt in Sinsheim gegen Hoffenheim an diesem Sonntag (17.30 Uhr). Jetzt ist es kurz vor sechs, und noch immer sitzen die Spieler bei der Videoanalyse. Heisst es, stört hier aber keinen, es ist warm auf dem Trainingsplatz, vom Elsterbecken streicht eine Brise Flusswasser herüber. Manche sitzen auf den Schalen der kleinen Tribüne und haben die Augen geschlossen.
Zwischen ihnen läuft ein Schwede durch die Reihen. Staatsfernsehen, es ist wegen Emil Forsberg hier. Der Linksaussen kam vor einem Jahr aus Malmö, was in Schweden immer noch ein Thema ist. Denn Forsberg hätte sonst wohin wechseln können: nach England, in die deutsche Bundesliga. Aber in die zweite Liga, wo Leipzig bis zum Aufstieg im Mai noch spielte? Der Schwede nähert sich einem Reporter und fragt: «Sagen Sie mal, was ist das hier mit diesem österreichischen Getränkekonzern?»
» Einschätzung zum Bundesligastart: Hält Breel Embolo dem Druck stand?
Jetzt kommen sie also schon aus dem Ausland. Zwei Männer drehen sich nach den beiden letzten Wörtern um. Dass da die Schweden mit der Kamera vor Ort sind, gefällt ihnen. Sieht nämlich schon mal aus wie der Fussball, den sie sich hier alle erhoffen. Im Minimum Europa League, so wie früher mit dem alten DDR-Verein Lok Leipzig. Eigentlich aber sehen sie gerade den Schweden und denken an die Champions League.
Jordan, Schumacher und Bolt als Motivationsfiguren
Für einen Verein und seine Fans, die es in dieser Konstellation erst seit sieben Jahren gibt, ist das erstaunlich. Aber keinesfalls ungewöhnlich, nicht vor Ort jedenfalls. Denn keine Grenzen ziehen zu müssen in seinen Vorstellungen, das ist das Kern-Vergnügen, das die Leipziger und die Funktionäre bei RB momentan miteinander verbindet. Und mit dem sie nach dem Aufstieg am Wochenende in die erste Bundesliga-Saison ihrer noch so jungen Vereinsgeschichte gehen.
Allein das Trainingsgelände samt Akademie neben dran ist ein Versprechen auf die Rückkehr des grossen europäischen Fussballs in die alte Sport- und Messestadt. Auf dem Übungsplatz der Profis ist das ein Dauerthema. Nicht nur auf der kleinen Tribüne.
Aphorismen zur Leistungssteigerung hat der Verein auf die schwarzen Sichtschutzbänder drucken lassen. Von Michael Jordan, Michael Schumacher, Boris Becker, Usain Bolt. Immer geht es um Grenzen – und wie man drüber kommt. Beim Sprinter Bolt steht wie als Quintessenz: «Man darf keine Grenzen setzen, nichts ist unmöglich.»
30 Millionen – bezahlt mit einem Federstrich
Gut zu sehen ist das Motto an der Akademie. Der funktionale Flachbau beherbergt die Nachwuchsspieler, die Profis, die Räume des Trainers Ralph Hasenhüttl, des Sportdirektors Ralf Rangnick, des Geschäftsführers Oliver Mintzlaff. Hier wird gegessen, trainiert, geschlafen – und darüber nachgedacht, was alles möglich ist mit dem Geld aus Fuschl am See. Und, das fällt ganz automatisch mit an: Wie man es nicht verbrennt.
Die zentrale Antwort bei RB Leipzig darauf lautet: organisches Wachstum. Schritt für Schritt will der Verein in den kommenden Jahren grösser werden. Erstmal im Oberhaus heimisch werden, dann sehen, was fehlt für die oberen Ränge und schliesslich an die Spitze heranarbeiten.
Das Gespann an der sportlichen Spitze: Trainer Ralph Hasenhüttl (links) und Sportdirektor Ralf Rangnick. (Bild: Keystone/JAN WOITAS)
Was danach kommt und möglich ist, das weiss keiner. Mit Geld allein aber wird eine deutsche Meisterschaft nicht gewonnen. Sagen sie hier, das ist das Mantra des Vereins und wer wollte dem auch widersprechen. Dabei helfen kann Geld aber schon. Das Fundament jedenfalls ist gesetzt.
Die Akademie gilt als eine der modernsten Europas, was der DFB sofort mit drei Sternen honorierte und mehr Sterne geht nicht. Hier drin ist der vom österreichischen Getränkeunternehmen 2009 gegründete Verein mit seiner ganzen Potenz zu Hause. Der Bau hat 30 Millionen Euro gekostet, bezahlt mit einem Federstrich.
Und, muss man Angst haben?
«Wir machen hier keine verrückten Sachen!» – dieser Satz gehört in das Repertoire sämtlicher Akteure des Vereins. In dieser Saison jedenfalls muss die Leipziger deshalb niemand fürchten. Die Ostdeutschen gehen selbstbewusst in ihre erste Oberhaus-Saison, aber bescheiden: Der Etat ist mit 40 Millionen Euro Durchschnitt, die Transferausgaben mit knapp 23 Millionen Euro sind es auch.
Rangnick und Hasenhüttl lieben Schwarmpressing und Konterfussball, also setzen sie auf kostengünstige junge Spieler. Akademie-Fussballer, die wissen, wie man im Block verteidigt und in fünf Sekunden vor dem gegnerischen Tor steht. Keiner dieser Spieler soll deshalb älter als 23 sein, vor allem von den Zugängen nicht. Einzige Ausnahmen sind Innenverteidiger Marvin Compper (31 Jahre), Ersatzstürmer Terrence Boyd (25) und der Schweizer Ersatzkeeper Fabio Coltorti (35), der 2011 vom FC Lausanne-Sport nach Leipzig wechselte.
Es soll keiner des Geldes wegen kommen. Sondern vor allem der Möglichkeiten wegen.
Szenen nach dem erste Rückschlag in der noch jungen Saison: Leipzig scheitert im Pokal am unterklassigen Dresden. (Bild: Keystone/THOMAS EISENHUTH)
Deshalb liegt die Gehaltsobergrenze bei drei Millionen Euro. Der angepeilte Transfer von Hoffenheims Stürmer Kevin Volland ist genau aus diesem Grund geplatzt. «Er wäre gern gekommen. Aber wir konnten uns beim Gehalt nicht einigen», sagt Rangnick. Und so scheiterte laut Rangnick auch der Wechsel des Basler Stürmers Breel Embolo, auch «wenn wir uns eigentlich schon einig waren, der Spieler wollte kommen». Es drängten weitere Interessenten in die Verhandlungen mit dem 19-Jährigen. «Zum Schluss war das wie beim Monopoly.» RB stieg daraufhin aus, jetzt spielt Embolo bei Schalke.
Dem Kader fehlt es an Erfahrung – und die kostet
Doch das wird nicht so bleiben. Eine RB-interne Lieblingsmetapher ist die von der Treppe, statt einer Entwicklung im Lift. Dabei ist die eigentliche Pointe aber nicht das Bild von der Stufe, sondern wohin diese führt: nämlich nach ganz oben. Schon jetzt jedenfalls kann man spüren, dass die auferlegte Bescheidenheit im Umgang mit den Geldern aus Österreich zwar Philosophie ist, wie Mintzlaff das nennt, – aber kein Gesetz. Beim 6:7 im Pokal gegen Dresden nach einer leichtfüssigen 2:0-Führung führte das Kader den Verantwortlichen zwar vor, welches Potenzial es hat, aber auch, was ihm fehlt: Erfahrung nämlich. Und die kostet.
Rangnick ist deshalb auf Tour. Vier Spieler hat er bereits eingekauft, allerdings nur einen davon für die Stammformation, den aus Guinea stammenden Naby Keita (RB Salzburg). Die anderen drei sind ein Perspektivspieler (Torwart Marius Müller, Kaiserslautern), ein Stamm-Reservist (Benno Schmitz, Salzburg) und eine formbare Eventualität (Timo Werner, VfB Stuttgart).
Inzwischen merkt Leipzig, dass das nicht reicht. Also soll noch einer für die Innenverteidigung kommen, und womöglich auch noch einer für die Offensive.
Kandidaten gibt es dem Vernehmen nach einige, aber sie fallen aus dem vereinsinternen Philosophie-Rahmen. Doch das kann sich schnell ändern. Spätestens wenn die ersten Partien in die Hose gehen. Dann wird sich auf dem Wintermarkt zeigen, was das tatsächlich ist mit dem österreichischen Getränkekonzern und seinem Leipziger Rasenballsport e.V..