Real Madrid und die Fans mit dem Elefantengedächtnis

Drei Spiele und eine Heimniederlage im Derby gegen Atletico hat es nur gebraucht, um Real Madrid, den Champions-League-Titelverteidiger, bereits wieder in eine Sinnkrise zu stürzen. Am Dienstag, wenn der FC Basel kommt, erwartet Casillas und Co. das nächste Tribunal.

Real Madrid's James Rodriguez (L-R), Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos and Javier "Chicharito" Hernandez react after Atletico Madrid scored a second goal during their Spanish first division soccer match at Santiago Bernabeu stadium in Madrid September 13, 2 (Bild: Reuters/SERGIO PEREZ)

Drei Spiele und eine Heimniederlage im Derby gegen Atletico hat es nur gebraucht, um Real Madrid, den Champions-League-Titelverteidiger, bereits wieder in eine Sinnkrise zu stürzen. Am Dienstag, wenn der FC Basel kommt, erwartet Casillas und Co. das nächste Tribunal.

Im Estadio Santiago Bernabéu werden üblicherweise zwei Spiele in einem gespielt. Während die Akteure auf dem Platz den Ball ins gegnerische Tor zu bugsieren versuchen, bewerten die Zuschauer auf den Rängen die Darbietung mit unverhohlenem Hang zur Einzelkritik und dem Gedächtnis einer Elefantenherde. Beide Spiele sorgen stets für Gesprächsstoff – selten jedoch gingen sie für Real Madrid so synchron verloren wie am Samstagabend gegen den Stadtrivalen Atlético.

Das Fazit liest sich aus königlicher Sicht wie ein authentischer Horrorfilm. Ohne überragen zu müssen, eher routiniert gewann Atlético erstmals in der 85-jährigen Ligageschichte zum zweiten Mal in Folge auswärts das Derby – 1:2 nach dem 0:1 vom Vorjahr. Real liegt damit bereits nach drei Spielen sechs Punkte hinter dem FC Barcelona, der unter dem neuen Trainer Luis Enrique auch beim 2:0 gegen Athletic Bilbao nicht den Eindruck machte, sonderlich viele Punkte abgeben zu wollen.

En passant wurde Clubidol Iker Casillas, seit 15 Jahren Torwart der ersten Mannschaft, mit gellenden Pfiffen gedemütigt. In kleinerem Umfang bekam auch Karim Benzema den Zorn des Volkes zu spüren und schliesslich, vier Monate nach dem Gewinn der Champions League, wurde sogar dem allmächtigem Präsidenten Pérez der Rücktritt nahegelegt: «Florentino, dimisión», war bis in seine Loge zu hören.

Ancelotti sind zentrale Bausteine weggebrochen

Es könnte also schon zu spät sein, wenn Carlo Ancelotti das Puzzle wieder zusammengefügt hat: «Ich werde auch dieses Jahr die richtige Lösung finden», sagte er vor der Partie in Anspielung auf die letzte Saison, als der Abgang von Mesut Özil und die kontroverse Epoche von Vorgänger José Mourinho überwunden werden mussten. Doch diese Probleme wirken fast wie Petitessen angesichts der aktuellen Herausforderungen.

Mit Xabi Alonso und Ángel Di María hat Real kurz vor Ende der Transferperiode nicht nur zwei seiner drei Mittelfeldspieler abgegeben, sondern auch just die zentralen Bausteine in Ancelottis letztjährigem Werk. Auf einen euphorischen Frühsommer mit den Akquisitionen von Toni Kroos und James Rodríguez folgte ein traumatischer Spätsommer, der mit der Ausleihe von Manchester Uniteds Ersatzstürmer Chicharito Hernández eine geradezu groteskes Ende nahm und die Anhängerschaft dermassen irritierte, dass sie fast schon blind nach Schuldigen sucht.

Clubikone Casillas wird zum Sündenbock

Den ersten und grössten fand sie gegen Atlético in Casillas, der beim 0:1 durch Tiago, ein Kopfball nach Ecke auf den kurzen Pfosten, seine immer bedenklichere Paralyse bei hohen Bällen zur Schau stellte. Seit der Captain vom Mourinho-Lager als Maulwurf diskreditiert und auf die Ersatzbank verbannt wurde, lebt er mit dem Misstrauen eines Teils der Anhängerschaft. Sein Patzer im gerade noch gewonnenen Champions-League-Finale gegen Atlético und seine grausame WM haben es nicht gemindert.

Nun buhte erstmals das halbe Stadion. Selbst die darauf folgenden «Iker»-Rufe aus der neuen, um ein Stockwerk nach oben verlegten und von den Mourinho-treuen «Ultras Sur» gesäuberten Fankurve wurden erbarmungslos nieder gepfiffen.

«Das Publikum ist der Souverän», sprach der Captain, als er sich als einer von nur zwei Real-Spielern der Öffentlichkeit stellte und ein beachtliches Mea culpa intonierte. «Ich verstehe, dass mein Name auftaucht, wenn es nicht gut läuft. Ich verstehe das, weil ich mehr leisten kann.» Bereits informiert über die aktuelle Statistik fügte er hinzu: «Wenn von den letzten sieben Schüssen auf unser Tor sechs im Tor landen, dann fühle ich mich schuldig. Dann sagt das nichts Gutes über mich.»

Über eine Dekade lang hat der Keeper mit oft wundersamen Paraden die notorischen Konzentrationsschwächen Reals überdeckt. Jetzt kann er es nicht mehr. Oder zumindest kann er es momentan nicht.

Reals Unbeständigkeit bleibt die Konstante

Nun wird diskutiert, ob in der Champions League gegen den FC Basel am Dienstag womöglich Neueinkauf Keylor Navas sein Debüt zwischen den Pfosten feiern könnte. Trainer Carlo Ancelottis Stil wäre es eigentlich nicht, einen Spieler in so einem Moment fallen zu lassen und damit weiter bloss zu stellen. «Bei einem Gegentreffer am ersten Pfosten ist der Torwart immer der letzte Schuldige», erklärte er. Der Italiener weiss ja, dass die Hautprobleme ganz woanders liegen, etwa in der Unbeständigkeit seiner Elf, die wie schon bei Real Sociedad zwei Gesichter zeigte.

Mit grossem Eifer wurde der Rückstand in der ersten Halbzeit egalisiert, der allgegenwärtige und glänzend aufgelegte Cristiano Ronaldo traf per Foulelfmeter. In einer schwachen zweiten Halbzeit folgte jedoch schon fast zwangsläufig der neuerliche Rückstand – nach einem wunderbaren Spielzug Atléticos, der vom eingewechselten Antoine Griezmann eingeleitet und vom eingewechselten Arda Turan vollendet wurde, derweil Ancelotti durch seine eigenen Wechsel alles eher nur noch schlimmer machte.

«Am Dienstag haben wir eine sehr wichtige Partie»

«Wir haben in den Rhythmus nicht aufrechterhalten, es hat Intensität und Aggressivität gefehlt», kritisierte der Trainer. Bei seiner Diagnose handelt es sich um eine schon fast chronische Zustandsbeschreibung. So augenfällig sind die taktischen Herausforderungen durch die dubiose Transferpolitik, dass in der Debatte darüber die saisonübergreifende Kontinuität des Versagens glatt übersehen wird.

Ob mit Di María und Alonso oder mit James und Kroos: Von seinen letzten elf Spielen hat Real Madrid gerade einmal vier gewonnen (davon eines nach Verlängerung). Auch für den Trainer wird es vor diesem Hintergrund allmählich eng. «Wir müssen schnell reagieren», sagte Ancelotti. «Am Dienstag haben wir eine sehr wichtige Partie». Beim Besuch des FC Basel wartet für etliche Beteiligte das nächste Tribunal.

Spanien, Primera Division, 3. Runde
Real Madrid–Atletico Madrid 1:2 (1:1)
Bernabéu. – 80’000 Zuschauer. – SR Mateu Lahoz.
Tore: 10. Tiago 0:1, 26. Ronaldo (Foulpenatly) 1:1, 76. Arda Turan 1:2.

Real Madrid (4-2-3-1): Casillas; Arbeloa (78. Varane), Pepe, Ramos, Coentrão; Modric, Kroos; Bale (72. Isco), Ronaldo, James; Benzema (64. Chicharito). – Ersatzbank: Navas (Tor), Marcelo, Nacho, Illarramendi.
Atlético Madrid (4-4-2): Moyá; Juanfran, Miranda, Godín, Siqueira; Raúl García, Gabi (61. Arda), Thiago, Koke; Mandzukic (78. Suárez), Jiménez (64. Griezmann).

Bemerkungen: Real ohne Carvajal, Khedira, Jesé (alle verletzt).

 

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