Roger Federer: Keine Garantie, an keinem Tag

Ab in die Berge, keine Zeitungen lesen, auch mal den Zweifel zulassen und härter arbeiten. Das war das Rezept von Roger Federer nach dem frühen Aus in Wimbledon. Nun kehrt er in Hamburg auf Sand zurück.

An airplane pulls a banner reading 'Go Roger go' as it flies over the tennis stadium Sponsoreneinsatz während Roger Federers letztem Auftritt in Rothenbaum, dem verlorenen Final gegen Rafael Nadal im Mai 2008. (Bild: Keystone/Joerg Sarbach)

Ab in die Berge, keine Zeitungen lesen, auch mal den Zweifel zulassen und härter arbeiten. Das war das Rezept von Roger Federer nach dem frühen Aus in Wimbledon. Nun kehrt er in Hamburg auf Sand zurück.

Wer in diesen sommerlichen Tagen durch Hamburg flaniert, kann dem erfolgreichsten Tennisspieler der Moderne nicht entkommen. Flächendeckend sind in der norddeutschen Millionenmetropole an jeder Strassenecke die grossen Turnierposter mit seinem Bild geklebt, und wie ein übermenschlicher Gigant sieht Roger Federer auf diesem Motiv aus, das ihn hinter der einprägsamen Stadtsilhouette zeigt – wie jener Federer, der einst die Welt des Tennis-Wanderzirkus‘ im eisernen Griff hielt.

Federer startet gegen 1,95-Meter-Mann Brands

Nach einem Freilos in Runde 1 Roger Federer wird der Deutsche Daniel Brands der erste Gegner beim Turnier in Hamburg sein. Brands wird als Nummer 58 der ATP-Rangliste geführt, stammt aus dem bayrischen Deggendorf, misst 1,95 Meter Körperlänge und hat noch nie gegen Federer gespielt. (cok)

Doch dass Federer in dieser Juli-Woche erst am traditionsreichen Rothenbaum und danach auch in Gstaad aufschlägt und nicht in den wohlverdienten Sommerferien ist, deutet eher auf eine Art unerklärten Ausnahmezustand hin. Als solchen darf man diesen Moment seiner Karriere auch durchaus interpretieren, die ebenso neue wie ungewöhnliche Phase nach dem Zweitrunden-Aus in Wimbledon gegen Sergej Stachowski. Von Gigantentum jedenfalls keine Spur.

«Schon 24 Stunden nach dem Abschied vom Centre Court in Wimbledon habe ich beschlossen, noch einmal auf Sand zurückzukehren. Das war logisch, sinnvoll – und keine Panikreaktion irgendwie», sagt Federer im übervollen Interviewraum des ATP 500er-Turniers, als er am Montag seine Eröffnungs-Pressekonferenz gibt. Seit der Degradierung des Wettbewerbs von seinem früheren Masters-Status in den Rang eines Sommerduells vieler Sandplatzspezialisten gab es hier nicht mehr so viel Besuch von Presse, Funk und Fernsehen.

«Hart arbeiten, noch härter arbeiten»

Federer mag zwar angezählt sein in der globalen Hackordnung der Tennisprofis, aber in Hamburg ist er immer noch eine grosse Nummer, eine Art zeitloses Phänomen, eine seltene Erscheinung sowieso. Schliesslich war er vor fünf Jahren letztmals zu Gast. Damals unterlag er Rafael Nadal im Final.

Und, wie war das nun in Wimbledon, Herr Federer, wie waren die Wochen danach, welche Erkenntnisse gab es nach dem Knockout gegen einen Mann ohne grosses Renommee? «Erst mal bin ich nach dem Scheitern in die Berge gefahren», sagt der 31-Jährige, der nach dem Grand Slam-Höhepunkt nur noch die Nummer 5 der Welt ist, «Zeitungen habe ich nicht gelesen. Aber mir war ohnehin klar, wie die Meinungen ausfallen würden.» Für sich selbst habe er sofort beschlossen, «dass ich jetzt eine Reaktionen zeigen will und zeigen muss.»

Konkret heisse das: «Hart arbeiten, noch härter arbeiten – und dann stark zurückkehren.» Gefragt, ob es auch ernsthafte Zweifel am weiteren Verbleib in der Weltspitze gegeben habe nach dem Knall- und Falleffekt gegen Stachowski, sagte Federer: «Man muss immer Zweifel zulassen, man muss sich selbst hinterfragen. Aber man darf eben auch nicht in Panik verfallen.»

Boris Becker revidiert seine Ansicht vorsichtig

Aber kann Federer tatsächlich noch zum ganz grossen Schlag ausholen – nach einem Turnier, das viele in der Tennisbranche als Einschnitt in seiner Karriere betrachten, als Indiz für einen Macht- und Kraftverlust weit über den «schwarzen Centre Court-Mittwoch» («The Guardian») hinaus?

«Als ich Roger damals vom Platz marschieren sah, habe ich schon gedacht: Das könnte das Ende einer Ära sein», hat Boris Becker gerade noch einmal bei einem Besuch des Stuttgarter ATP-Turniers gesagt, «aber oft hat er auch nach diesen Momenten allen Leuten, die solche Bedenken haben, gezeigt, was für ein Champion er immer noch ist.» Schon in London hatte sich auch einer wie John McEnroe skeptisch gezeigt und angezweifelt, «ob Roger überhaupt noch eins der Majors an sich reissen kann»: «Eigentlich sieht vieles nach einer Rivalität von Murray und Djokovic aus.»

Federer kann damit allerdings genau so viel oder genau so wenig anfangen wie mit allen Untergangspropheten, die sich in den letzten Jahren immer mal wieder an Nachrufen versucht hatten. «Wenn ich merken würde, dass ich ein schweres Leistungs- oder Motivationsproblem hätte, wäre ich der Erste, der ins Grübeln käme. Aber in dieser Situation bin ich nicht», sagt der Baselbieter im Stakkato der Blitzlichter und im Surren der TV-Kameras.

«Mit Wild Cards kenne ich mich nicht so aus»

Ganz pragmatisch habe er sich entschlossen, noch zwei Wochen auf Sand zu verbringen, dort Spielpraxis zu sammeln und dann auf die nordamerikanischen Hardcourts zu gehen: «Ich wollte nicht sieben, acht Wochen in den USA unterwegs sein. Ausserdem muss man immer einen Plan B für jede Situation in der Tasche haben, rasch reagieren können», sagt Federer und bringt dann seine Zuhörer zum Schmunzeln, als er sagt: «Ich wusste gar nicht, ob ich hier noch ins Turnier reinkommen würde. Mit Wild Cards kenne ich mich nicht so aus.»

Vom verrückten Turnier in Wimbledon sind Federer vor allem drei Sachen geblieben: «Die Erkenntnis, wie gut und geräuschlos man eigentlich in vielen Jahren zuvor dort durchs Turnier kam. Die Bestätigung, dass es nie, an keinem einzigen Tag im Tennis, auch nur die geringste Garantie gibt, und die Erwartung, dass ich wieder zu meinen Stärken finde.» Es gebe keinen Grund, sagt Federer, «da nicht optimistisch zu sein».

ATP-Weltrangliste vom 15. Juli 2013
Rang Vorname Nachname Land Punkte
1. Novak Djokovic Serbien 12310
2. Andy Murray Grossbritannien 9360
3. David Ferrer Spanien 7120
4. Rafael Nadal Spanien 6860
5. Roger Federer Schweiz 5785
6. Tomas Berdych Tschechien 4865
7. Juan Martin Del Potro Argentinien 4500
8. Jo-Wilfried Tsonga Frankreich 3480
9. Richard Gasquet Frankreich 3045
10. Stanislas Wawrinka Schweiz 2915
11. Tommy Haas Deutschland 2605
12. Kei Nishikori Japan 2495
13. Milos Raonic Kanada 2225
14. Marin Cilic Kroatien 2175
15. Nicolas Almagro Spanien 2135
16. Janko Tipsarevic Serbien 2130
17. Jerzy Janowicz Polen 2064
18. Gilles Simon Frankreich 2055
19. Sam Querrey USA 1730
20. Juan Monaco Argentinien 1680
162. Marco Chiudinelli Schweiz 320
196. Henri Laaksonen Schweiz 243
346. Sandro Ehrat Schweiz 116
366. Adrien Bossel Schweiz 106
376. Stéphane Bohli Schweiz 103
401. Michael Lammer Schweiz 93
610. Yann Marti Schweiz 41
715. Joss Espasandin Schweiz 27
819. Riccardo Maiga Schweiz 19
828. Alexander Ritschard Schweiz 18
831. Alexander Sadecky Schweiz 17

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