Vor dem Halbfinal am Mittwoch in Donezk (20.45 Uhr) gegen Spanien schaut bei Portugal jeder auf Cristiano Ronaldo. Aber auch für Nani, den idealen Zuarbeiter, könnte die grosse Stunde schlagen.
Seinen Rückwärtssalto hat Nani noch nicht gezeigt bei dieser Europameisterschaft. Dazu fehlt etwas: ein Tor des portugiesischen Rechtsaussen. Tore aber erzielt er nicht so oft und selbstverständlich wie er seine Gegenspieler umdribbelt oder seinen Mitspielern, vorzugsweise dem unwiderstehlichen Kollegen Cristiano Ronaldo, die Vorlagen liefert, um daraus spektakuläre Treffer zu machen. Wenn aber Nani trifft, dann sieht das oft genug ebenso ansehnlich wie bei Ronaldo aus, dann spiegelt sich in seinen Torschüssen die dynamische Entschlossenheit dieses Aussenstürmers – und dann hebt er auch ab per Rückwärtssalto, der seinem Torjubel nach Art der Capoeira-Kampftänzer vorausgeht.
Nani zelebriert seine Kunst bei dieser EM in Polen und der Ukraine aber auch ohne abschliessenden Showact. Er ist Ronaldos idealer Zuarbeiter und kann mit dieser Rolle im Schatten der Fussball-Übergrösse gut leben. «Cristiano», sagt Nani, «ist auf dem Weg, der beste portugiesische Fussballer aller Zeiten zu werden.»
Springt Nani in die Bresche?
Alle Welt erwartet von dem linken Flügelstürmer, der für den spanischen Meister Real Madrid in 55 Pflichtspielen der abgelaufenen Saison 60 Mal traf, an diesem Mittwochabend weitere Tore. Schliesslich war er vor dem grossen iberischen Duell mit Welt- und Europameister Spanien in Donezk zweimal gegen Holland und einmal gegen Tschechien erfolgreich.
Sind nun aller Dinge drei? Noch nie hat Ronaldo für Portugal in drei Spielen nacheinander seine Schützenkönig-Qualitäten nachgewiesen, noch nie gelang ihm in den Begegnungen mit dem grossen Nachbarn ein Treffer. Muss nun also Nani in die Bresche springen, der 1,75 Meter lange, zwölf Zentimeter kleinere Kollege von der anderen Seite des Spielfeldes, mit dem Ronaldo oft die Position tauscht?
Der kleine Mann aus dem Slum
Immer wieder ist Nani mit Ronaldo verglichen worden. Immer wieder ist er gefragt worden, ob er der «neue Ronaldo» sei – vor allem rund um Old Trafford, die Heimat von Manchester United, seinem Klub seit 2007. Zwei Jahre hat Nani dort mit Cristiano Ronaldo zusammengespielt. Während der eine 2009 ging und seinen Weltruhm beim Weltklub Real noch mehrte, blieb der andere in Englands Nordwesten bei dem Verein, der ebenfalls eine globale Anhängerschaft hat.
Während Ronaldo und Real unter dem portugiesischen Startrainer José Mourinho zuletzt aufblühten, musste Nani eine Spielzeit verarbeiten, in der der Stadtrivale Manchester City Meister wurde, in der ManUtd in der Champions League früh am FC Basel scheiterte.
Der von den Kapverdischen Inseln stammende, in einem Lissaboner Slum, dem Distrikt Amadoro, aufgewachsene und von einer Tante grossgezogene Luis Carlos Almeida da Cunha weiss derzeit noch nicht einmal, ob seine dringende Bitte um die Verlängerung seines bis 2014 datierten Vertrages überhaupt erhört wird. Noch hat sich weder sein Trainer Sir Alex Ferguson noch irgendjemand sonst aus der obersten Vereinsetage zu diesem Ansinnen geäussert.
Das Vorbild Figo
Den Briten dürfte aber auch nicht entgangen sein, dass dies nicht nur die EM des grossen Ronaldo ist, der von 2003 bis 2009 für die «Red Devils» spielte. Auch einer wie Nani prägte die Offensivaktionen der Portugiesen mit seinem Tempo, seinen Tricks und seinen bisher zwei Torvorlagen. Er liebt es, anderen die Bälle aufzulegen und als Meister der Passkunst zu gelten – wie sein Vorbild Luis Figo, das Symbol der goldenen Generation Portuals, die nie einen der ganz grossen Pokale zu fassen bekam.
Diese portugiesische Mannschaft aber mit ihrem genau abgemischten Fussball aus konstruktiver Verteidigungskraft, klugem Spielaufbau, spektakulärer Konterklasse und ungebremster Angriffswucht könnte am Ende die Überraschung schaffen. Sie fordert die Herrscher des Weltfussballs und Ballbesitzmajestäten aus Spanien heraus wie bisher niemand bei dieser EM.
Eleganz und Explosivität
Nani ist in diesem Ensemble der erste Adjutant von Ronaldo und dazu ein Individualist, der auch auf eigene Faust die Entscheidung herbeiführen kann. Allerdings hat er es damit in seinen jungen Jahren übertrieben, als er allzu oft einfach mal drauflos ballerte und sein Ziel folglich allzu oft verfehlte. «Heute», sagt der seine Attacken mit Eleganz und Explosivität vermengende Aussenstürmer, «habe ich eine Gelassenheit, die mir mit 21 gefehlt hat. Nur so kann ich meinen Fussball spielen.»
Zu dieser inneren Balance hat Nani neben Sir Alex vor allem Paulo Bento verholfen, heute Portugals Nationaltrainer, damals, als der Jüngling zu Sporting Lissabon kam, Nanis Jugendtrainer. «Er ist einer der Hauptgründe, warum ich hier bin», hat Nani während der EM hervorgehoben, «er hat Türen und meine Augen geöffnet, so dass ich erkennen konnte, was ich so oft falsch gemacht habe.»
Gut möglich, dass Nani an diesem Mittwochabend in der Donbass-Arena sein Meisterstück macht und Portugal die Tür zum Gipfel, der Endspielteilnahme, öffnet. Es wäre auch die vorläufige Krönung seiner Laufbahn, die ihn aus bettelarmen Verhältnissen herauskatapultiert und zu einem der weltweit bestaunten Artisten seiner Kunst gemacht hat.
Dann würde Nani vielleicht auch nicht mehr mit Cristiano Ronaldo verglichen, der zum Toreschiessen geboren scheint. Mit Luis Figo in einem Atemzug genannt zu werden, das wäre für ihn die Krönung seiner Karriere.