Man ist sich auf Schalke gar nicht sicher, ob ein Sieg am Mittwoch gegen den FC Basel und das Erreichen der Achtelfinals in der Champions League reicht, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen. Zu wankelmütig erscheint das Team, dass sich unter Trainer Jens Keller nicht weiter entwickelt hat. Nur Ottmar Hitzfeld sieht das differenzierter.
Die Bilder, auf denen die markanten Stirnfalten von Jens Keller zu sehen sind, taugten in den vergangenen Wochen ganz hervorragend, um das Spektrum negativer Fussballgefühle zu illustrieren. Ärger, Schrecken, Trübsal, Sorge, Entsetzen, Ratlosigkeit, Schalke 04 hat viel durchgemacht, und immer bildeten diese tiefen Furchen im Gesicht des Trainers, von der «Bild-Zeitung» schon im vorigen Januar als «Gesicht der Krise» bezeichnet.
Damals war Keller erst wenige Wochen im Amt, das Urteil des Boulevards war ungerecht und voreingenommen. In der Vorsaison hat der Nachfolger von Huub Stevens dann sogar alle Ziele erreicht. Doch nach einem Jahr im Amt ist klar, dass Schalke 04 im Grunde keinen Schritt weiter gekommen ist in den zwölf Monaten unter Keller. «In der Rückrunde müssen wir dann leider wieder mal eine Aufholjagd starten», sagt Julian Draxler vor der Partie gegen den FC Basel (Mittwoch, 20.45 Uhr).
Nur ein Wunder, so scheint es, kann Keller retten
Es ist das letzte von den drei zu «Endspielen» erklärten Duellen gegen Hoffenheim im Pokal, in Mönchengladbach um den so wichtigen vierten Platz in der Liga und nun gegen Basel. Und da die ersten beiden verloren gingen, ist das Spiel am Mittwoch von enormer Bedeutung. Es geht um viel Geld, das benötigt wird, um den sehr teuren Kader zu finanzieren, aber auch darum, graues Mittelmass zu vermeiden. Denn ob Schalke sich erneut für die Champions Leauge qualifiziert, ist derzeit ziemlich ungewiss.
Auch deshalb scheint jetzt schon klar, dass ein neuer Trainer die sieben Punkte Rückstand auf Mönchengladbach aufholen soll. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Keller seine Position in der Winterpause räumen. Sogar dann, wenn er die Mannschaft gegen den FCB ins Achtelfinale der Champions League führt und am Ende der Vorrunde – Siege gegen die Abstiegskandidaten Freiburg und Nürnberg vorausgesetzt – auf 30 Punkte in der Liga kommen sollte.
Die grosse Schalker Wankelmütigkeit
Das wäre exakt die Anzahl an Punkten, mit der Keller in der Rückrunde der Vorsaison eine gefeierte Aufholjagd bis auf Platz vier gelang, aber so einfach ist die Sache nicht. Keller ist, wenn man so will, verbraucht, inzwischen ist er wirklich das Gesicht der Krise.
Ihm wird vorgeworfen, dass er die Mannschaft nicht weiter entwickle. Dabei hat er mit Max Meyer und Sead Kolasinac weitere eigene Leute eingebaut. Stellt er am Mittwoch auch Ralf Fährmann im Tor, Benedikt Höwedes, Joel Matip und Julian Draxler auf, sind das sechs Spieler aus der vereinseigenen Akademie. Eine sensationelle Quote für einen Champions League-Verein.
Und dennoch: Es fehlt eine Spielidee. Der FC Schalke ist abhängig von den besonderen Fähigkeiten der grossen Individualisten, und das ist wohl auch der Grund für die Wankelmütigkeit. Wenn Einzelne ausfallen oder schlechte Tage haben, gibt es kein fussballerisches Konzept, das individuelle Leistungsschwankungen auffängt. Es besteht sofort die Gefahr eines Zusammenbruchs.
Heldts teure Sommerinvestitionen
Dass dem Schalker Alltag jede Leichtigkeit fehlt, hat aber auch Gründe, die nichts mit dem Trainer zu tun haben. Alle im Club fürchten, dass ein Jahr ohne Champions League eine mittlere Katastrophe auslösen würde, die mit Verkauf eines Topspielers wie Julian Draxler kompensiert werden müsste.
Und die Schalke schlimmstenfalls noch weiter in die Abhängigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies treiben würde, den Chef eines der grössten Fleischereiimperien Europas. Dieser Druck ist im Hintergrund immer spürbar.
Wohl auch deshalb wirkt Manager Horst Heldt, dessen Sommerinvestitionen von fast 30 Millionen Euro das Team kaum weiter gebracht haben, erschöpft. Und verstärkt wird dieses Gefühl der allgemeinen Freudlosigkeit noch durch die mittelfristigen Entwicklungen in der Liga.
Spätestens seit Borussia Dortmund und der FC Bayern auf fast allen relevanten Ebenen davoneilen, ist die süsse Hoffnung auf eine königsblaue Meisterschaft zur unerreichbaren Utopie geworden. Schalke spielt nur noch um die Teilnahme an der Champions League, die nicht mehr als verheissungsvolle Belohnung für ein aussergewöhnliches Jahr, sondern als fürs Überleben erforderliche Pflicht wahrgenommen wird.
Präsident Tönnies löst Probleme auf seine Art
Ein Trainerwechsel kann solche Probleme kaum lösen, helfen würde allenfalls ein echter Neuanfang. Eine Neuerfindung der Vereinskultur, die mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies vermutlich unmöglich ist. Der will nämlich ein Gigant sein, mit seinem Verein wie mit seinem Unternehmen, Bescheidenheit ist ihm fremd.
Tönnies löst seine Probleme nicht mit durchdachten Konzepten, Esprit und Begeisterung, sondern mit autokratischen Eingriffen, mit zweifelhaften Ideen wie der Partnerschaft zum umstrittenen russischen Konzern Gazprom. Es wird spannend, inwiefern sich Tönnies nun in die offene Trainerfrage einmischt. Keller war immer eher der Mann von Horst Heldt, gut möglich, dass der Aufsichtsratschef das letzte Wort diesmal für sich beansprucht.
Als Keller im Frühjahr schon einmal auf der Kippe stand, soll er sich für Stefan Effenberg ausgesprochen haben, der noch nie eine Fussballmannschaft trainiert hat. Dafür hat der Ex-Nationalspieler einen grossen Namen.
» 16 Trainer seit 2003 – die Trainerhistorie des FC Schalke 04
Ottmar Hitzfeld hat sich als Kenner des Ruhrgebietsfussballs zu Wort gemeldet. Während sechs Jahren betreute er Borussia Dortmund, und als Nationaltrainer der Schweiz ist er der ideale Experte vor dem Showdown zwischen Schalke 04 gegen den FC Basel um den Einzug ins Achtelfinale der Champions League.
Hitzfeld wundert sich vor allem über die Schalker Trainerdebatte, die das Spiel überschattet. «Ich finde die Kritik an Jens Keller total überzogen, er hat viele Hürden übersprungen und Rückschläge weggesteckt», sagt Hitzfeld in einem Interview mit der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung».
Das ist eine Wahrnehmung der Lage, zu der auf Schalke angesichts der allgemeinen Krisenstimmung schon lange niemand mehr fähig ist.