Timea Bacsinzky stand mit einem Bein schon im Final, dann kam der Moment von Serena Williams und ein bizarres Ende.
Als sie noch einmal auf die Zuschauerränge schaute, ein, zwei Minuten nach dem bitteren Ende des Dramas, da konnte Timea Bacsinszky die Tränen doch nicht mehr zurückhalten. Übermannt von ihrer Enttäuschung, aber auch begleitet von tosendem Applaus der Pariser Tennisfans, verliess die von Turnierfavoritin Serena Williams geschlagene Schweizerin den Court Philippe Chartrier – und damit auch den Schauplatz eines bizarren French Open-Tenniskrimis ohne Happy-End.
Fast schon wie die verdiente Siegerin sah Bacsinzky aus, bei einer 6:4, 3:2-Führung mit Breakvorsprung im zweiten Akt, ehe alles weg- und zusammenbrach für die 25-Jährige: Ihr Selbstbewusstsein, das couragierte Spiel, die Entschlossenheit bei den Big Points, zuletzt dann auch jegliche Nervenkraft.
Niemand traute ihr die Leistung zu und alle überraschte sie
Niemand hatte Bacsinszky einen so starken Auftritt in der ersten Stunde der Partie zugetraut, aber noch weniger hätte irgendjemand geglaubt, dass sie die letzten zehn Spiele bis zum fatalen 6:4, 3:6 und 0:6-Abschied ausnahmslos verlieren würde gegen die theatralische Amerikanerin. Gegen eine Serena Williams, die ihre angeschlagene Konstitution – sie litt unter einer Erkältung – zu einem Staatsschauspiel aufführte. Oder, wie manche Beobachter in den sozialen Medien meinten, zu einer «Schmierenkomödie.» Nun darf sie am Samstag gegen die Tschechin Lucie Safarova (7:5, 7:5 gegen Ana Ivanovic) versuchen, ihren 20. Grand Slam-Pokal zu gewinnen.
Und Bacsinszky?
Sie präsentierte sich als grossmütige Verliererin, verzichtete aufs Nachkarten, zeigte sich fast philosophisch: «Serena verdiente den Sieg. Solche Dinge passieren halt. Es ist am Ende nur ein Tennismatch.» Williams sei durchaus Respekt zu zollen, «wenn sie so etwas schafft und nicht 100 Prozent fit ist», sagte Bacsinszky, «ich weiss nicht, ob diese Posen zu ihrem Verhalten gehören. Ich kümmere mich nur darum, was auf meiner Seite des Netzes passiert, also um mich selbst. Ich muss meine Emotionen in diesen Topmatches noch besser in den Griff bekommen.»
«Ich weiss nicht, ob diese Posen zu ihrem Verhalten gehören. Ich kümmere mich nur darum, was auf meiner Seite des Netzes passiert.»
Allerdings hinterliess dieses grösste Spiel in Bacsinszkys Karriere ein in vielerlei Hinsicht ungutes Gefühl – nicht zuletzt auch den Eindruck, um ein faires, anständiges und reelles Duell gebracht worden zu sein. Zwischenzeitlich wirkte es beinahe, als könne Williams, die beherrschende Spielerin dieser Epoche und 19-malige Grand Slam-Siegerin, im nächsten Moment auf dem Court zusammenbrechen, umso mehr, da sie sich in scheinbarer Hilfsbedürftigkeit ein ums andere Mal auf ihren Schläger stützte wie auf einen Krückstock. «Ich habe alles, alles, alles immer wieder versucht. Aber es klappte lange Zeit nicht», sagte Williams später, «wo ich dann die Energie für diesen Sieg hergenommen habe, weiss ich auch nicht.»
Zog eine riesige Show ab: Serena Williams. (Bild: JEAN-PAUL PELISSIER)
Tatsächlich mutete das finale Comeback der 33-jährigen Turnierfavoritin wie eine rätselhafte Wiederauferstehung und Wundertat an, immer vorausgesetzt, die körperlichen Beschwerden waren so gravierend wie geschildert und in der Mimik auf dem Court dargestellt. Fakt jedenfalls war, dass die Amerikanerin mit dieser durchaus bizarren Houdini-Nummer auch eine neue persönliche Rekordtat markiert hatte, nämlich in einem Grand Slam-Turnier viermal nach einem 0:1-Defizit noch als Siegerin den Platz zu verlassen. Vor dem Spiel gegen Bacsinszky war ihr das auch bereits gegen die Deutsche Anna-Lena Friedsam, die Weissrussin Viktoria Azarenka und gegen ihre Landsfrau Sloane Stephens gelungen.
Bacsinszky konnte in der akuten Verbitterung noch längst nicht ihren Frieden machen mit diesen French Open-Festspielen – doch dass sie dieses Turnier hocherhobenen Hauptes verlassen durfte, daran bestand kein Zweifel. Besonders vor dem Hintergrund, dass die Karriere dieser Hochbegabten vor zwei Jahren fast schon vorbei gewesen war, nun aber trotz der Halbfinalniederlage eine ungeheure und beinahe unwirkliche Beschleunigung erfahren hatte. «Sie kann und muss stolz auf sich sein. Auch wenn ihr das jetzt noch schwer fällt», sagte die frühere Tennislegende Chris Evert.
Und wie inspiriert und beseelt war Bacsinszkys Auftritt lange Zeit auch an diesem ersten sommerlichen Roland Garros-Tag: Punktgenau auf ihre Aufgabe war die 25-Jährige fixiert, liess sich auch von der wankenden und kränkelnden Serena nicht beeindrucken, spielte mit Power und Präzision ein nahezu perfektes Match bis zur 3:2-Führung im zweiten Satz. Nur noch zehn Minuten, drei, vier gute Spiele fehlten «Super-Timea» (L’Equipe) da, die Sensation war schon zum Greifen nah – und plötzlich wieder so weit weg, als Williams sich mit geheimnisvoller Willensleistung ins Duell zurückwuchtete.
Bacsinszky gestattete sich ein paar Momente der Nachlässigkeit, der Unkonzentriertheit, und schon ergriff die Amerikanerin den Strohhalm, machte aus dem 2:3 binnen Minuten ein 6:3. Von diesem Konter und Wirkungstreffer erholte sich die Aussenseiterin nie mehr, gab gleich das erste Aufschlagspiel im dritten Satz mit haarsträubenden Fehlern weg. Spiel um Spiel zog Williams weg, bis zur Nullnummer im Entscheidungsakt.