Sein allerletztes Aufgebot

Überraschungen fehlen in Ottmar Hitzfeld WM-Kader – das ist keine Überraschung. Nun möge dem Nationaltrainer bei seiner letzten Mission vor dem Ruhestand eine bessere Hand in der Vorbereitung beschieden sein als vor vier Jahren.

Vor der letzten grossen Herausforderung: Ottmar Hitzfeld gibt in Zürich sein WM-Kader bekannt. (Bild: Keystone/WALTER BIERI)

Überraschungen fehlen in Ottmar Hitzfeld WM-Kader – das ist keine Überraschung. Nun möge dem Nationaltrainer bei seiner letzten Mission vor dem Ruhestand eine bessere Hand in der Vorbereitung beschieden sein als vor vier Jahren.

Keine fünf Wochen mehr sind es bis zum WM-Eröffnungsspiel am 12. Juni und es bricht die alle vier Jahre wiederkehrende Zeit an, in der ein einmaliges Schauspiel zu beobachten ist: ein sich Tag für Tag steigernder Hype um ein paar Fussballspiele(r).

Neu im Angebot des grassierenden Irrsinns: die «Top 11 Spielerfrauen»–Sammelbilder mit Gratisposter. Das hebt die Vorfreude auf das, was noch kommen wird. Auf Enthüllungen wie: «So heiss ist es in Brasilien wirklich», «Moskito-Alarm im Schweizer Lager», «Gönnt Inler Behrami das Frühstücksei nicht?» oder: «So feucht ist der Amazonas-Dschungel».

Um Fussball geht es natürlich auch. Am Dienstag hat Ottmar Hitzfeld seine 23 WM-Spieler bekanntgegeben. In Zürcher Räumlichkeiten des Hauptsponsors. Nicht dem von Hitzfeld, sondern jener der Nationalmannschaft. Was man bei dem durch und durch vermarkteten Hitzfeld manchmal nicht mehr exakt auseinanderhalten kann.

Der Trainer setzt auf die bewährten Weggefährten

Es ist ein Aufgebot ohne Überraschungen. Was keine Überraschung ist. Hitzfeld setzt auf die Weggefährten, die ihm zum Ende seiner Trainerkarriere die Qualifikation zur WM beschert haben. Es ist jene Spielergeneration, die unter Hitzfelds resultatsorientiertem Fussball zu einer konstanten Nationalauswahl gewachsen ist und nun die Fantasie beflügelt.

Der deutsche Fussballkommentator Marcel Reif etwa hat als Wahl-Zürcher und mit Schweizer Pass ausgestattet gerade patriotischen Eifer an den Tag gelegt und die Endrundenteilnahme der Schweiz samt Weltranglistenplatz 8 als «Jahrhundertleistung» taxiert. Was angesichts der Hürden in der Qualifikation ein klitzklein bisschen übertrieben erscheint.

In Brasilien ist in einer «machbaren Gruppe» (Hitzfeld) ist das Erreichen der Achtelfinals das erklärte Ziel. Anschliessend hofft der Trainer bei seinem letzten grossen Hurra «auf einige Überraschungen». Nur schon mit zweien stünde das Schweizer Nationalteam ja bereits in den Semifinals, also ungefähr in der Region, in der sie Marcel Reif, Hitzfeld Kollege beim Pay-TV-Sender «Sky» verortet.

Hitzfeld und die Weltrangliste

Alles über die Achtelfinals hinaus wäre ungefähr so verblüffend wie die aktuelle Platzierung in der Weltrangliste. Bei deren Betrachtung reibt sich sogar Hitzfeld die Augen, und es hat sich ihm auch in seinem hohem Traineralter noch immer nicht erschlossen, wie die Fifa darauf kommt. Sagt Hitzfeld jedenfalls süffisant bei dieser und jener Gelegenheit. Worauf er jedoch wirklich stolz ist: Seit 2011 hat er mit der Schweizer Nationalmannschaft von 27 Spielen nur vier verloren.

Ihre Position hat sich die Schweiz also «hart erarbeitet» (Hitzfeld), auch die Euphorie im Land, auf die Hitzfeld am Dienstag angesprochen wurde, deren Welle aber zumindest noch nicht bis an Rheinknie geschwappt ist.

Kein Platz für Frei und Derdiyok

Im Aufgebot ohne Überraschungen also hat es Platz für den treuen Vasallen Reto Ziegler, der es beim Serie-A-Absteiger Sassuolo zwar nicht über die Rolle des Ergänzungsspielers hinaus gebracht hat, bei Hitzfeld aber sowieso nur als Notnagel vorgesehen ist, sollte Linksverteidiger Ricardo Rodriguez Unbill widerfahren.

Keinen Platz hat es für den Basler Fabian Frei und den Ex-Basler Eren Derdiyok, der in Leverkusen zwar einen ähnlich untergeordneten Part innehatte wie Haris Seferovic in San Sebastian, bei der Durchsicht seiner Unterlagen hat Hitzfeld aber festgestellt, dass Seferovic in den letzten zehn Länderspielen sieben Mal dabei war, was der unglückliche Derdiyok nicht vorweisen kann.

Ihm bleibt, wie Frei, nur ein Platz auf der Pikettliste, ehe Hitzfeld am 2. Juni bis Mitternacht bei der Fifa die endgültige Spielerliste einreichen muss. Yann Sommer als Nummer 2 hinter Diego Benaglio, Fabian Schär und Valentin Stocker sind die drei Spieler des FC Basel, die erwartungsgemäss berücksichtigt wurden. Daneben haben Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka FCB-Wurzeln.

Nach der WM ist vor der Super League

Freis Nichtberücksichtigung kann man aus Basler Perspektive schwer nachvollziehen, denn mit seiner Polyvalenz erscheint der 25-Jährige die ideale Turnierbesetzung schlechthin. Andererseits kann er nach strapaziösem Dauereinsatz durchschnaufen, um dann dem FCB wieder in aller Frische zur Verfügung stehen. Denn: Eine Woche nach der WM geht in der Schweiz schon das Super-League-Spektakel weiter.

Letzte offene, ehe nachgeordnete Position war jene des dritten Torhüters, die Hitzfeld mit einem «Einheimischen» besetzte: GC-Goalie Roman Bürki erhielt vor Bundesliga-Goalie Marwin Hitz den Vorzug.

Hitzfelds Baustellen

Jetzt muss man Hitzfeld nur noch die Daumen drücken, dass eine ganze Reihe von angeschlagenen (Barnetta), aus einer Verletzung kommenden (Shaqiri, Djourou, Senderos) oder unter wenig Spielpraxis leidenden Spielern rechtzeitig zum Auftakt gegen Ecuador in die Spur finden.

Nur 13 Spieler von Hitzfelds Wahl können derzeit als Stammspieler in ihren Clubs gelten, und trotz reicher Erfahrung (707 Länderspiele, 25 Turnierteilnahmen), die die 23 Auserwählten vorweisen können, gibt es auch nicht wenige Fragezeichen.

Von der Abwehr als grösster Baustelle einmal abgesehen: Ohne einen Shaqiri in Topverfassung kann man sich die Schweiz nur schwer als WM-Finalisten vorstellen. Aber woher soll der kleine Quirl diese Form nehmen angesichts seiner verletzungsbedingten Absenzzeiten?

Erst in Feusisberg (etwa für einige unterbeschäftigte Bundesligaspieler), ab 25. Mai dann gemeinsam in Weggis am Vierwaldstättersee wird Hitzfeld an Physis und Taktik feilen. Er hat mit Bedacht nicht mehr als 23 Spieler nominiert («Ich habe es mir nicht einfach gemacht»), weil er unweigerliche Unruhe um Streichkandidaten in den wenigen Tagen der Vorbereitung vermeiden will.

«Die Motivation ist riesig»

Es möge Hitzfeld beim Feinschliff ein bessere Hand beschieden sein als noch vier Jahren. Damals absorbierte der Startmatch gegen den Europa- und späteren Weltmeister Spanien so viel Aufmerksamkeit, die zwar in einem aufsehenerregenden, historischen, auch etwas grotesken 1:0-Sieg (Gelson Fernandes!) mündete. Als es danach jedoch gegen Chile (0:1) und dann vor allem gegen Honduras (0:0) spielerische Lösungen gebraucht hätte, standen die nicht zur Verfügung.

Item. Hitzfeld bezeichnet die Weltmeisterschaft, das letzte Projekt seiner Karriere, als «grosse Herausforderung». In Zürich tauchte er am Dienstag schon einmal in einen vielfach begangenen Tunnel ein: Den Medienmarathon absolvierte er gewohnt professionell und konzentriert. «Die Motivation ist riesig», sagt der 65-Jährige, «und ich finde es gut, wenn die Erwartungen an uns hoch gesteckt sind. Das hat sich die Mannschaft hart erarbeitet.»

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Der Kader in der Übersicht (Spieler ohne Nummer sind auf Pikett) zum Herunterladen.

Informationen zum WM-Fahrplan des SFV
Informationen zu den öffentlichen Trainings in Weggis
Der WM-Fahrplan der Schweiz
25. Mai Zusammenzug zum Trainingslager in Weggis
26. Mai, 10 und 16 Uhr Öffentliches Training in Weggis
27. Mai, 10 Uhr Öffentliches Training in Weggis
28. Mai, 10 Uhr Öffentliches Training in Weggis
30.Mai, 20.30 Uhr Test-Länderspiel in Luzern gegen Jamaika
31. Mai, 11 Uhr Öffentliches Training in Weggis
1. Juni Öffentliches Training in Weggis
3. Juni Test-Länderspiel in Luzern gegen Peru
6. Juni Öffentliches Training in Zürich, Letzigrund
6. Juni Abreise nach Brasilien
15. Juni, 18 Uhr MESZ 1. Gruppenspiel in Brasilia gegen Ecuador
20. Juni, 21 Uhr MESZ 2. Gruppenspiel in Salvador gegen Frankreich
25. Juni, 22 Uhr MESZ 3. Gruppenspiel in Manaus gegen Honduras


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