Eine Journalistin oder ein Journalist könnte die Arbeit eines Trainers in der Champions League freilich nicht erledigen. Und eigentlich gilt das auch umgekehrt. Es sei denn, ein Trainer fasst ein Geschehen so treffend zusammen wie Raphael Wicky nach der 0:3-Niederlage seines FC Basel in Manchester: «Diese Mannschaft kann Paul Pogba verletzt verlieren und ihn mit Marouane Fellaini durch einen Spieler ersetzen, der dann den Unterschied ausmacht.»
In Wickys Aussage stecken die wesentlichen Elemente, die die Kräfteverhältnisse zwischen dem Schweizer Meister und dem Leader der Premier League beim Auftakt in die Königsklasse wiedergeben. Manchester verfügt über eine hohe Dichte an herausragenden Einzelspielern, auf der Basler Bank sassen vier Akteure, die noch kein einziges Champions-League-Spiel bestritten haben. Total kamen Wickys Ersatzkräfte auf elf Einsätze auf diesem Level.
Zudem brachte die frühe Auswechslung von Pogba – bis zur Rückkehr des verletzten Zlatan Ibrahimovic so etwas wie das Herz dieser Mannschaft – Manchesters Konzept nicht im Geringsten durcheinander. Vielmehr wurden die Flanken ins Zentrum aufgrund von Fellainis Kopfballstärke nur noch gefährlicher. So gefährlich, dass man gegen sie «nicht verteidigen» könne, sagen Sportchef Marco Streller und Aussenverteidiger Michael Lang unisono.
«In der zweiten Halbzeit waren wir die bessere Mannschaft» – Taulant Xhaka
Im Vergleich zu José Mourinho hatte Wicky kaum Alternativen auf der Bank. Er wechselte mit Kevin Bua und Dimitri Oberlin zwei Debütanten ein, von einem Basler Ehrentreffer in Old Trafford waren auch sie weit entfernt. Dabei hätte der FC Basel durchaus Tore erzielen können. Doch bei den Abschlüssen von Luca Zuffi, ein Dropkick aus aussichtsreicher Position, und von Mohamed Elyounoussi, ein Kopfball und ein Schuss aus spitzem Winkel, fehlte das, was den Baslern seit Wochen abgeht: Effizienz vor dem Tor.
Trotzdem verleiteten diese zwei Aktionen beispielsweise Taulant Xhaka zur Aussage, Basel sei «in der zweiten Halbzeit die bessere Mannschaft gewesen». Basel war in der zweiten Halbzeit zwar stärker, aber nicht als Manchester, sondern lediglich im Vergleich zum ersten Durchgang. Denn insgesamt fördern die Zahlen in aller Deutlichkeit zwei Gewichtsklassen zutage: Von den 61 effektiv gespielten Minuten hatte Manchester 35 Minuten lang den Ball, Basel zehn Minuten weniger; 18 Mal kamen die Engländer zum Abschluss, Basel zehnmal weniger, vor allem brachte Manchester aber den Ball fast viermal so oft auf das gegnerische Tor (7 zu 2); Mourinhos Mannschaft spielte annähernd 200 Pässe mehr als Basel (589 zu 400) – und hatte dabei eine deutlich höhere Genauigkeit (86 zu 77 Prozent).
Am meisten überfordert schien bei den Baslern Blas Riveros. Der erst 19-jährige Paraguayer hatte bei seinem ersten Champions-League-Einsatz allerdings auch die Aufgabe zu lösen, den schnellen Ashley Young aus der Partie zu nehmen. «Die Spieler von Manchester bringen alles mit», fasst Michael Lang zusammen und nennt dabei die Schnelligkeit auf den Flügeln explizit, «sie verfügen über eine unglaubliche Wucht, das ist schon beeindruckend.»
Trotz des offensichtlichen Klassenunterschieds sind die Basler geschlossen der Meinung, dass beim Auftakt in die Königsklasse «mehr möglich gewesen wäre», wie Lang sagt. Marek Suchy spricht von einer guten Leistung, Renato Steffen sagt: «Wir können stolz sein», Michael Lang: «Schämen müssen wir uns nicht». Und Taulant Xhakas Meinung ist: «Wir waren mutig und haben gezeigt, dass wir gegen die Besten mithalten können.»
Man muss Xhakas Meinung nicht teilen, denn unter dem Strich war der FCB chancenlos gegen diesen «unglaublich starken Gegner, der absolute Weltklasse ist», wie Wicky sagt. Man darf sich aber Marco Strellers Eindruck anschliessen, wenn er sagt: «Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.»
Nach nunmehr vier Spielen ohne Sieg ist das die wichtigste Erkenntnis für diesen angezählten FC Basel: Er hat gegen Manchster United zwar 0:3 verloren, er ist aber mit einer Vielzahl an Spielern, die auf dieser grössten aller Bühnen noch nie angetreten waren, nach anfänglicher Unsicherheit und Nervosität nicht untergegangen.
«Wir können gegen beide Teams gewinnen», sagt Marco Streller über Moskau und Lissabon
Wicky freut sich darüber, «dass die Mannschaft zusammen gekämpft, zusammen gelitten hat und nicht auseinandergefallen ist». Der Trainer ist enttäuscht wegen des Resultats, «aber ich kann nicht enttäuscht sein von meiner Mannschaft». Alarmierend muss trotzdem sein, dass Ricky van Wolfswinkel, mit sieben Toren in sieben Ligaspielen die Basler Offensivkraft schlechthin, auf diesem Niveau nicht in die Nähe des gegnerischen Tores kam. Seinem Ersatz Kevin Bua und schliesslich Dimitri Oberlin erging es in der Angriffsspitze kein bisschen besser.
Sportchef Streller hat abgesehen davon eine Mannschaft gesehen, «die lebt, darauf können wir aufbauen». Dieses Leben muss der FC Basel jetzt für die nationalen Wettbewerbe konservieren. Er wolle diese Einstellung auch sehen, wenn «wir nicht die Sterne auf den Schultern tragen», sagte Steffen in den Emotionen nach dem Spiel und in einem kleinen Anflug von Pathos, wie es die Menschen in dieser einfachen Welt des Fussballs mögen. «Wenn wir so auftreten, dann werden wir auch in der Super League wieder zuoberst stehen», glaubt der Flügelspieler, der in dieser Saison noch einem persönlichem Erfolgserlebnis hinterherläuft.
Es folgen: die Hausaufgaben in Cup und Meisterschaft
Vorerst steht das Cupspiel auswärts gegen den FC Chiasso aus der Challenge League an. Mit dem Selbstvertrauen aus der Partie gegen Manchester dürfte dieser Gegner keine Hürde sein auf dem Weg in die dritte Runde. Dann aber stehen zwei schwierige Partien in der Meisterschaft an: auswärts gegen den FC St. Gallen und zuhause gegen den FC Zürich. Und vier Tage nach dem Klassiker kommt Benfica Lissabon in den St.-Jakob-Park zum zweiten Champions-League-Gruppenspiel.
Die Portugiesen sind mit einer Niederlage gegen ZSKA Moskau gestartet. Zur Überraschung vieler Basler, denn Moskau ist aus Topf 4 die auf dem Papier schwächste Mannschaft. «Wenn man es negativ betrachtet, dann muss man zum Schluss kommen, dass Moskau sehr stark ist», sagt Streller. «Wenn man es aber positiv betrachtet, dann heisst das: Wir können gegen beide Teams gewinnen.»
Europäisch überwintern: ein schwieriges Unterfangen nach Moskaus Sieg
Aus den guten Resultaten in vergangenen internationalen Spielen ist diese Basler Eigenheit erwachsen, die es den Exponenten des Vereins erlaubt, im Optimismus zu baden. Bei Licht betrachtet ist das Resultat von Moskau aber eine schlechte Nachricht für Basel, denn in dieser Gruppe hat der FCB nur dann eine Chance, europäisch zu überwintern, wenn zwei der vier Mannschaften dominieren und die zwei anderen darauf hoffen dürfen, mit einer kleinen Punktzahl doch noch Dritter zu werden. Und auch wenn diese Einschätzung nach einer Runde verfrüht ist, so sieht es so aus, als dürfte Manchester nahe am Punktemaximum Gruppenerster werden und dahinter Moskau und Lissabon um den zweiten Platz spielen. Für Basel wird es schwierig, diese Gruppe zu überstehen.
Wichtig ist für den FCB in der aktuellen Verfassung allerdings ohnehin eher, dass er die Erfahrung von der internationalen Bühne mitnimmt, um auf der nationalen Ebene wieder ins richtige Fahrwasser zu kommen. Denn wenn er weiterhin Spiele in solchen Stadien erleben will, haben die Hausaufgaben in der Super League Priorität.