Sie haben sich getraut in Bern

Am Wochenende geht die Super League in die zweite Saisonhälfte, und es ist etwas Ungeheuerliches geschehen: Bei den Young Boys haben sie es tatsächlich gesagt: «Ja, wir wollen Meister werden.» Der einzige, der das wird verhindern können, ist der Meister selbst.

Objekt der Berner Begierde: FCB-Captain Marek Suchy (links) und Dimitri Oberlin brachten den Meisterpokal zur Award-Night der Liga mit – nahmen ihn aber auch gleich wieder mit nach Basel.

In den vergangenen Jahren war es so: Einerseits dieser FC Basel, dieses allesgewinnende Monster. Selbstbewusst und zielgerichtet seine selbst auferlegte Mission erfüllend. Saison für Saison. Acht Mal in Serie. Andererseits: dieses YB. Schaute Mal für Mal in die Röhre. Schuf ein Wort dafür und kultivierte das Veryoungboysen.

Nun aber, in der Spielzeit 2017/18, hat die Fussballschweiz beschlossen, dass es Zeit ist für eine Ablösung an der Spitze. Der FCB spielte die Vorlage selbst mit dem aus freien Stücken gewählten Umbruch in der Klubspitze, und die Young Boys haben als ewiger Herausforderer Teil 1 der Prüfung bestanden: Sie haben als Tabellenerster überwintert.

Was in all den Jahren fehlte, haben die Berner jetzt, in der Woche vor Fortsetzung der Super League geliefert. Früher war da zwar der Wunsch, diese ungestillte Sehnsucht, nach 1986 (letzte Meisterschaft) und 1987 (letzter Cupsieg) endlich wieder einen Titel zu gewinnen. Aber nie war da ein klares Bekenntnis. Eher ein Zögern und Zaudern und Relativieren. Oben mitspielen und so.

Nun haben sie es in Bern gesagt: Wir-wollen-Meister-werden! Vier Worte, gar nicht so schwer zu kombinieren, ausgesprochen von Trainer Adi Hütter. Ohne Einschränkung. Er sagte am Montag: «Wer in 19 Runden 16-mal zuoberst stand, der will auch nach 36 Runden ganz oben stehen.» Und: «Wir sollten die Gelegenheit nutzen, allen mitzuteilen, dass wir daran glauben und überzeugt sind, auch Schweizer Meister werden zu können.» Und er formulierte es auch noch einmal ohne Umschweife: «Wir wollen Meister werden.»

Womöglich ist die offensivfreudige Kommunikation nach Aussen wie nach Innen das fehlende Mosaiksteinchen in Bern.

Das haben sie sich in Bern in all den Jahren nie getraut. Zur Freude und zum Verdruss zugleich in Basel. Zum Selbstverständnis des FCB in jüngerer Vergangenheit gehörte das Ziel Meisterschaft wie selbstverständlich. Man konnte ja auch schlecht hinter die Marken fallen, die man selbst gesetzt hatte. Andererseits hätten die Rotblauen schon einmal gerne von einem Herausforderer diesen Satz gehört: Wir-wollen-Meister-werden!

Vielleicht ist es genau dieser Mut, die Latte ganz weit nach oben zu legen, an dem es den Bundesstädtern gemangelt hat. Womöglich ist diese Art der offensivfreudigen Kommunikation nach Aussen wie nach Innen nun das fehlende Mosaiksteinchen. Gefestigt genug erschienen die Young Boys in der ersten Saisonhälfte (plus ein Spiel; wegen dem frühen Saisonende vor der WM). Sie leisteten sich weniger Ausrutscher als früher und vermitteln den Eindruck einer verschworenen Gemeinschaft.

Was aber noch schwerer ins Gewicht fallen könnte: Dem smarten Sportchef Christoph Spycher ist es tatsächlich gelungen, keine seiner Perlen zu verlieren. «Erste Priorität war, das Kader zusammenzuhalten. Und wir sind sehr glücklich, dass die Spieler die Mentalität zeigen, den Weg mit uns bis zum Ende zu gehen.»

Einziger Wermutstropfen war die schwere Schulterverletzung von Torhüter David von Ballmoos. Goalie-Oldie Marco Wölfli, der das Veryoungboysen wie kein Zweiter verkörpert, rückt wieder zur Nummer 1 auf, und als Back-up wurde vorsichtshalber der in Angers in der Ligue 1 ausgemusterte Alexandre Letellier ausgeliehen.

Spycher lässt sich dadurch nicht irritieren: «Die Verletzung von Ballmoos wird uns nicht den Titel kosten.» Womit er es auch ausgesprochen und vom Index runtergeholt hat: «Wir wollen auf Platz 1 bleiben, und wir wollen Meister werden.»

Was im Winter beim FC Basel passiert ist, kommt schon einer Generalüberholung des Kaders gleich.

Was das alles für den FC Basel bedeutet? Natürlich machen Ankündigungen noch keinen Berner Meister. Aber wenn Adi Hütter sagt, es sei «noch ein steiniger Weg» bis zum Titel, dann gilt das für seinen Konterpart Raphael Wicky nicht weniger.

Der FCB-Trainer, im Sommer als Novize auf diesem Niveau eingestiegen, hat sich seine ersten Sporen verdient. Erst in der Champions League mit dem Erreichen der Achtelfinals, dann mit einem kontinuierlichen Steigerungslauf, acht Siegen en suite bei 23:4 Toren.

Er ist vor Weihnachten mächtig ins Rollen gekommen, dieser FC Basel, fast schon mit der Wucht und der chirurgischen Präzision, mit der er all die Operationen der Jahre zuvor erfolgreich gemeistert hat. Unterm Weihnachtsbaum war der Vorsprung von YB – einst neun, lange Zeit sieben Punkte – auf zwei Zähler zusammengeschmolzen.

Viele Bilder, auf denen sie gemeinsam festgehalten sind, gibt es noch nicht in den Archiven: YB-Trainer Adi Hütter (Mitte) und FCB-Trainer Raphael Wicky im SRF-Studio mit Matthias Hüppi (links), den es nun nicht mehr als Moderator, sondern als St.-Gallen-Präsident gibt.

Einen ersten grossen Umbruch hat der FCB also im Herbst bewältigt – inklusive eines Krisenszenarios Ende September. Nun hat die Klubführung um Sportdirektor Marco Streller dem Trainer eine zweite Herausforderung gestellt. Was in den zurückliegenden Transferwochen passiert ist, kommt fast schon einer Generalüberholung des Kaders gleich.

Sechs Spieler weg, sechs Neue dazu – so viel Fluktuation war selten, und da halten nur noch die Grasshoppers mit, wo Murat Yakin am Grossreinemachen ist. Beim FCB arbeiten Streller und Co. am Kader der Zukunft, der immer mehr seine und immer weniger die Handschrift der Vorgänger trägt.

http://www.sfl.ch/superleague/transfers/winter-201718/

Das will im laufenden Wettbewerb erst einmal bewältigt und moderiert sein. Die Rückkehr von Fabian Frei und Valentin Stocker sind einerseits Balsam für die rotblaue Seele und Teil des Programms. Mithin stellen sie aber auch einen Eingriff in eine funktionierende Mannschaft und deren Hierarchie dar. Wenn YB weiterhin den heissen Basler Atem im Nacken spüren soll, darf die Justierung kaum bis keine Zeit kosten.

https://tageswoche.ch/sport/fcb-bestaetigt-wechsel-lacroix-kann-uns-sofort-helfen/

In Léo Lacroix scheint der FCB vorerst einen valablen Ersatz für den lukrativen Abgang seines Verteidigertalents Manuel Akanji gefunden zu haben. Zumindest in der Verfassung von Lacroix’ besseren Tagen im Trikot von Sion und St-Etienne. Und Samuele Campo bringt alles mit, um in seinem Ausbildungsverein auch höheren Aufgaben gerecht werden zu können.

In diesem Sinne muss dem Fan um die Rotblauen nicht bange sein. In eine Finalissima wie zuletzt 2010 – mit einem Tor und einem Assist von Valentin Stocker zum 2:0-Sieg in Bern – wird das Titelrennen dieses Mal nicht münden. Aber man darf sich getrost drei Termine merken, an denen es zum Schwur zwischen YB und FCB kommt: Erst der Cup-Halbfinal in Bern am 27. Februar, an dem zwar keine Punkte, dafür umso mehr für den mentalen Rucksack verteilt wird. Am Ostermontag gibt es in Bern die Neuauflage in der Liga, und am 9./10. Mai kommen die Young Boys in der drittletzten Runde nach Basel.

Wenn die Berner Meister werden wollen, sollten sie dannzumal am besten ein Polster mitbringen.

https://tageswoche.ch/sport/alle-maechtig-gut-aufgestellt-beim-fcb/

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