Simon Ammann und die grosse Gelassenheit der Routiniers

Blendend in den Skisprungwinter gestartet, will Simon Ammann auch bei den Springen in Lillehammer reüssieren. Und der Schweizer Altmeister darf sich wieder mal Chancen ausrechnen, eine grosse Lücke in seiner schillernden Karriere zu füllen – mit dem Sieg bei der Vierschanzentournee.

epa04508622 Japan's Noriaki Kasai (R) and Simon Ammann of Switzerland (L) celebrate after winning ex aequo the FIS Ski Jumping World Cup in Kuusamo, Finland, 29 November 2014. EPA/GRZEGORZ MOMOT **POLAND OUT**..**POLAND OUT** (Bild: Keystone/GRZEGORZ MOMOT)

Blendend in den Skisprungwinter gestartet, will Simon Ammann auch bei den Springen in Lillehammer reüssieren. Und der Schweizer Altmeister darf sich wieder mal Chancen ausrechnen, eine grosse Lücke in seiner schillernden Karriere zu füllen – mit dem Sieg bei der Vierschanzentournee.

Natürlich kommen jetzt wieder diese Fragen. Es ist jeden Winter das gleiche Spiel. Kaum neigt sich das Jahr dem Ende zu, kaum rückt die 63. Vierschanzentournee näher, dann kann sich Simon Ammann wieder einiges anhören. Ob die Zeit denn diesmal endlich reif sei für den ersten Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee; ob er nicht langsam schon die Hoffnung aufgegeben habe, den letzten fehlenden Titel in seiner Trophäensammlung noch zu gewinnen; ob er heuer das Projekt Tournee anders angehen werde; und nicht zuletzt, ob er denn möglicherweise inzwischen nicht schon zu alt sei, um den Klassiker noch zu gewinnen?

Die Springen in Lillehammer

Sa, 6.12., 16.15 Uhr
So, 7.12., 14.15 Uhr

Beide Springen live in Eurosport.
» Der Weltcup der Skispringer im Überblick

Zu alt? Mit 33? In diesem Alter haben andere Skispringer ihre besten Jahre erst vor sich. Wenn sich Simon Ammann zum Beispiel ein Beispiel an Noriaki Kasai nimmt, dann müsste der Schweizer auch an den Winterspielen 2022 noch über die Schanze gehen.

Der nimmermüde Japaner Kasai ist der lebende Beweis dafür, dass Skispringen keine Frage des Alters ist, das Jahr 2014 ist mit Abstand das beste in der langen Karriere des 42-Jährigen, der auf seine alten Tage heuer noch zwei Olympiamedaillen geholt, und zuletzt sich in Kuusamo mit dem «Küken» Ammann den Weltcupsieg geteilt hat. «Mit dem Nori zusammen auf dem Siegespodest, das ist einzigartig. Dieses Bild werde ich mir einrahmen», sagt Simon Ammann.

Das Ausrufezeichen des jungen Vaters

Es gibt dieser Tage so einige Dinge und Bilder, die sich Ammann einrahmen lassen könnte. Das gelbe Trikot zum Beispiel, das Ammann als bester Skispringer der noch jungen Saison tragen darf. Oder die Weltcupgesamtwertung, die der zweifache Saisonsieger klar anführt. «Zwei Mal zu siegen, das ist ein kleines Ausrufezeichen», sagt der Toggenburger, der im Oktober zum ersten Mal Vater geworden ist.

Mehr noch: Simon Ammann hat die Konkurrenz auf dem falschen Fuss erwischt. Dass der Routinier, der 1997 sein Weltcupdebüt gab, in seiner 18. Saison noch einmal zu so einem Höhenflug ansetzen würde, damit hatten nur die wenigsten gerechnet. Eher hatten die Gegner damit spekuliert, dass es der vierfache Olympiasieger Ammann nach den Olympischen Spielen dem dreifachen Olympiasieger Thomas Morgenstern gleich machen würde, der Österreicher hat mit gerade mal 28 Jahren seine Laufbahn beendet.

«So konnte ich die Bühne einfach nicht verlassen»

Doch bei Simon Ammann ist der Erfolgshunger offenbar ungestillt. Der vergangene Winter, in dem er zwar einen Sieg feiern konnte (zum Tourneeauftakt in Oberstdorf), allerdings öfter auch nur in der Rubrik «unter ferner sprangen» zu finden war (41., 33., 32., 26., 28.), war kein Winter, der als würdige Abschiedssaison getaugt hätte. «So konnte ich die Bühne einfach nicht verlassen», gesteht er.

Ein Etappenziel hat er vor der dritten Weltcupstation an diesem Wochenende in Lillehammer bereits erreicht. Ammann wollte in diesem Winter zeigen, dass er immer noch zu den Siegspringern zählt, und zwar nicht nur dann, wenn ihm das Windglück zufliegt. Die beiden Siege in Kuusamo waren jedenfalls eine Meisterleistung, die windanfällige Schanze im Norden Finnlands ist wohl der schwierigste Bakken im gesamten Weltcup und verzeiht nicht den geringsten Fehler, wie nicht zuletzt der schwere Sturz des deutschen Jungstars Andreas Wellinger (der Team-Olympiasieger muss nach einer Schulterverletzung um den Tourneestart bangen) gezeigt hat.

Erfahrung und Lockerheit als wahrer Trumpf

«Es ist jedenfalls kein Zufall, dass dort mit Ammann und Kasai zwei Routiniers gewonnen haben», meint der österreichische Cheftrainer Heinz Kuttin. Die beiden hätten nicht nur den nötigen Erfahrungsschatz, ihr wahrer Trumpf sei ihre Lockerheit. «Kasai und Ammann sind vermutlich die beiden Springer, die im Sommer am wenigsten trainieren. Die verlassen sich einfach auf ihre Erfahrung und sind deutlich relaxter als alle anderen.»



Japan's Noriaki Kasai (R) and Switzerland's Simon Ammann celebrate their shared victory in the men's ski jumping HS 142 Large Hill Individual event at the FIS World Cup Ruka Nordic Opening 2014 in Kuusamo, November 29, 2014. REUTERS/Heikki Saukkomaa/Lehtikuva (FINLAND - Tags: SPORT SKIING) ATTENTION EDITORS - THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. NO THIRD PARTY SALES. NOT FOR USE BY REUTERS THIRD PARTY DISTRIBUTORS. FINLAND OUT. NO COMMERCIAL OR EDITORIAL SALES IN FINLAND

Diebische Freude der Oldies: Noriaki Kasai (rechts) und Simon Ammann bei ihrem geteilten Sieg in Kuusamo. (Bild: Reuters/LEHTIKUVA)

Ob Simon Ammann genauso relaxt sein wird, wenn am 28. Dezember in Oberstdorf die Vierschanzentournee beginnt? Mit dem Schanzen-Klassiker, dem traditionellen ersten Saisonhöhepunkt der Skispringer, verbindet den 33-Jährigen eine Hassliebe. Der Tournee-Gesamtsieg will und will ihm einfach nicht gelingen. «Manchmal war ich nicht gut drauf und manchmal ist es passiert, dass irgendeiner dort zur Hochform aufgelaufen ist und noch besser war», erinnert sich Ammann.

«Es gehört noch viel zu erledigen bis zur Tournee»

Der Routinier ist sich bewusst, dass er in diesem Jahr das Zeug zum Gesamtsieg hat. Ihm ist allerdings auch klar, dass es nicht einfach reichen wird, seine derzeitige Hochform bis zur Tournee zu konservieren. «Es gehören noch viele Dinge erledigt bis zur Tournee», sagt Simon Ammann, «die Flugphase gehört verbessert, und an der Landung muss ich auch noch arbeiten.»

Das Wichtigste ist allerdings die körperliche Fitness und Robustheit. Wenn Simon Ammann eine Schwäche hat, dann ist es die Ausdauer. Der Schweizer ist kein Langstreckenflieger, und die Tournee mit ihren vier Springen innerhalb von wenigen Tagen samt den Reisestrapazen bringt ihn traditionell an seine körperlichen Grenzen.

«Ich muss irgendwie schauen, dass ich die Energie aufrecht halten kann», weiss Ammann, «denn das ist schon irgendwie mein Problem: dass es mir irgendwann zu viel wird und die Beine diesen aggressiven Sprung nicht mehr erlauben.»

In seiner 18.Saison braucht er einfach eine längere Regenerationszeit als die meisten Konkurrenten. Von Noriaki Kasai einmal abgesehen. Der rüstige Altspatz, der gerne einmal Trainingssprünge und die Qualifikation sausen lässt, will nach dem Weltcup in Lillehammer in die Heimat zurückkehren und erst pünktlich zur Tournee wieder auftauchen.

Der günstige Tournee-Kalender

Simon Ammann sieht vorerst kein Grund für eine Pause. «Das Selbstvertrauen ist da, und das ist im Skispringen mit das Wichtigste.» Im «Blick» (online nicht verfügbar) liess Disziplinenchef Berni Schödler andere Pläne nach Lillehammer durchblicken: «Dann nehmen wir Simon weg von der Schanze. Er verzichtet auf die Springen in Russland und macht eine Woche lang aktive Erholung.» Beim Weltcup in Engelberg (20./21. Dezember) soll es dann weitergehen.

Für zusätzliche Hoffnung auf das Ende der Pechsträhne bei der Tournee sorgt der Terminkalender. Die Vierschanzentournee dauert in diesem Winter so lange, wie noch nie. Der Auftakt in Oberstdorf erfolgt bereits am 28. Dezember und nicht wie früher oft am 30. Dezember. Grund dafür ist, dass der Termin auf einen Sonntag fällt, was höhere TV-Einschaltquoten und Besucherzahlen garantiert.

Zwei Tage zusätzliche Regeneration – das könnte der Trumpf für Simon Ammann sein.

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