Nein, auf Firlefanz hat Sissy Raith auch neben dem Spielfeld keine Lust. Für das Porträt wollte die Fotografin einen Ball durchs Bild werfen, oder wie wärs wenigstens mit einem Ball unter dem Arm? Damit man gleich sieht, woran man ist: Raith, die Fussballtrainerin.
Doch Raith hat keine Lust, sich auf diese Weise zu inszenieren. Als Trainerin lässt sie mit dem Ball spielen, doch er ist eben nicht ihr erstes Arbeitsgerät: «Verstehen Sie mich nicht falsch, der Ball gehört schon zu meinem Beruf, aber auf dem Foto muss der nicht sein. Ich möchte da gerne ernst genommen werden.»
Der erste Satz eröffnet die gehaltvolle Begegnung auf dem Trainingsgelände des FC Basel. Der zweite Satz – so wird später klar – widerspiegelt ein einschneidendes Erlebnis Sissy Raiths in der noch immer männerdominierten Fussballwelt. Dazu später mehr.
Zum Saisonauftakt zu wenig Dampf im Kessel
Seit einem Jahr trainiert Sissy Raith die Frauen des FC Basel, soeben ist ihr Vertrag um ein Jahr verlängert worden. Raith will etwas aufbauen und sieht das Team trotz radikaler Umbrüche im Kader auf einem guten Weg – auch wenn ihr im ersten Saisonspiel zu wenig Dampf im Kessel war. 2:1 gewannen die Baslerinnen nach Toren von Horvat und Beckmann gegen YB, der zweite Treffer fiel erst in der Schlussminute nach einem Eckball von Neuzuzug Rinast. Raith sagt: «Das Beste an diesem Spiel sind die drei Punkte.»
Grundsätzlich lässt Raith eine offensive Grundausrichtung spielen, sie will ihre Frauen stürmen sehen. «Wir müssen diese unbedingte Gier auf Tore entwickeln», sagt sie und denkt an Spiele wie den Auftakt zum Schweizer Cup. Der FC Basel gewann gegen den 1.-Ligisten vom FC Vuisternens-Mezères mit 12:1.
Doch die wahren Kontrahentinnen warten in der obersten Spielklasse, und dort kam der FC Basel in den vergangenen Jahren zwar immer wieder aufs Podest, aber nie an die Spitze. Zu wenig, findet Raith, doch den Meistertitel will sie deshalb nicht gleich in Aussicht stellen. Den Abstand auf den Serienmeister Zürich verkleinern, so lautet die Parole.
Europameisterin 1989 und 1991
Raith spricht, wie sie spielen lässt: direkt, schnörkellos, präzis. Die Bayerin stammt aus Eching im Landkreis Freising bei München. Sie hat grünblaue Augen, schwarze Haare, drei Ohrringe links, einen rechts. Als Spielerin gewann sie 1989 und 1991 den Europameistertitel und kann auf mehrere Meister- und Pokalsiege mit dem FC Bayern München und dem TSV Siegen zurückblicken. Ein stattliches Palmarès. Als Trainerin konnte sie dem noch nichts hinzufügen.
Wobei sich Erfolg ja nicht nur in Pokalen bemisst. Bei ihrem Heimatverein TSV Eching wurde Raith 2009 zur Cheftrainerin der Herrenmannschaft berufen, die sie von der Bezirksoberliga gleich in die Landesliga coachte. Es lief gut, der Respekt der Mannschaft war da, auch wenn der sportliche Erfolg nach dem Aufstieg nachliess.
Aber dann sagte ein Vereinsvorsitzender diesen Satz in die Mikrofone mehrerer Radiostationen: «Für einen Mann, der nach einem harten Arbeitstag ins Training kommt, ist es vielleicht doch besser, sich nicht mit einer Frau auseinandersetzen zu müssen.» Ein paar Tage später erhielt Raith ihre Kündigung.
Bitte keine Experimente
Man müsse schauen, dass man ernst genommen werde, sagte Raith zu Beginn unseres Treffens. Die Szene in Eching liegt acht Jahre zurück, aber auch im Jahr 2017 reicht ein blöd platziertes Requisit, um eine Frau im Fussballgeschäft zu diskreditieren.
Raith sorgt dafür, dass ihr das nicht passiert. Der Ball bleibt heute weg, den Vereinsvorstand des TSV Eching zeigte sie damals an. «Laut Gleichstellungsgesetz war der gar nicht befugt, mich aufgrund meines Geschlechts zu entlassen.» Raith erhielt recht, doch das Verhältnis zum Verein war angeschlagen. Sie ging.
Ihr Selbstvertrauen hat durch den Vorfall keinen Schaden genommen. Die Reputation hat aber gelitten: «Was eine mögliche weitere Verpflichtung bei einer Männermannschaft angeht, so hat mir das massiv geschadet.» In dieser Hinsicht hat Raith also noch eine Rechnung offen.
Frauen im Männerfussball: Minustoleranz
Beinahe wäre Raith nach dem Stellenverlust in Eching von einem anderen Verein verpflichtet worden, wieder hätte sie Männer trainiert. Doch der Verantwortliche sah in letzter Minute davon ab, auch aus Angst, sich bei einem etwaigen Misserfolg zu blamieren.
Man stelle sich das vor: Da verpflichtet man eine Frau und dann scheitert die!
«Damit so eine Anstellung zustande kommt, braucht es an der Spitze eines Vereins sehr, sehr, sehr mutige Leute», sagt Raith. «Im Männerfussball sind das halt meistens Männer.» Mehr will sie dazu nicht sagen. Und sie will das auch nicht als Votum gegen ein Engagement im Frauenfussball verstanden wissen. Denn auch dort werden starke Trainerinnen gebraucht.
Mit 164 Zentimetern in der Innenverteidigung
Der Anstellung in Eching folgten zwei Jahre als U17-Trainerin in Aserbaidschan, einem Land, das bis dahin keine Fussball-Infrastruktur für Frauen hatte. Es hätte einfachere Wege gegeben, den Rauswurf aus dem TSV Eching zu verdauen, aber Raith braucht die Herausforderung: «Das Verrückte zieht mich an, und Aserbaidschan war eine sehr verrückte Erfahrung, im positiven Sinn.»
Raith liess sich schon als Spielerin nicht auf eine Position festlegen. Mal spielte sie vorne rechts, dann im zentralen Mittelfeld, zuletzt sogar als Innenverteidigerin. Eine Position, die mit 164 Zentimetern Körpergrösse nur im absoluten Angriffsmodus bespielt werden kann.
Nicht alle Spielerinnen des FC Basel sind Innenverteidigerinnen. Dem Vorbildstatus Raiths tut das keinen Abbruch.
Die Resultate und die Tabelle der Nationalliga A bei den Frauen nach dem ersten Spieltag.