Am Ende der French-Open-Hitzeschlacht, die fast vier Stunden dauerte, gab es keinen Jubelschrei vom grossen Sieger. Stan Wawrinka deutete im Augenblick des Triumphs einfach nur mit dem Finger auf seinen Kopf, um anzuzeigen, dass er Begegnungen wie diese gegen Jo-Wilfried Tsonga mit der Kraft des starken Geistes gewinnen kann.
«Es war ein brutal harter Fight. Aber ich habe mich durchgeboxt, und das macht mich stolz», sagte der 30-jährige Romand nach dem 6:3, 6:7 (1:7), 7:6 (7:3) und 6:4-Halbfinalsieg in der «Höhle des Löwen», im Auswärtsspiel gegen Musketier Tsonga auf dem Court Philipp Chartrier.
Zwölf Jahre nach seinem Juniorensieg auf der Roland-Garros-Anlage enterte Wawrinka damit ganz neues Terrain im professionellen French-Open-Tennis, konnte seinen bärenstarken Turnierauftritt am Sonntag nun mit dem Pokalsieg entweder gegen Novak Djokovic oder Andy Murray veredeln.
Taktik der Nadelstiche
Wawrinka hatte im Vorfeld des Halbfinales betont, er sehe sich nicht auf einer Stufe mit den fabelhaften Vier des Welttennis, den Herren Djokovic, Federer, Murray und Nadal, er könne aber punktuell immer wieder grosse Siege gegen diese Meister der Konstanz schaffen, in einer Art Nadelstich-Taktik.
2014 war ihm das schon einmal vortrefflich gelungen, am Australian Open, mit dem finalen Sieg gegen Nadal. Und nun, 17 Monate später, war dem wiederauferstandenen «Stanimal» ebenfalls alles zuzutrauen im Pokalfight, erst recht nach der beeindruckend absolvierten Grand-Slam-Prüfung gegen Tsonga und dem vorherigen Kantersieg gegen Landsmann Roger Federer.
«Wawrinka macht den Eindruck, als könne ihn hier nichts und niemand erschüttern», sagte French-Open-Ehrengast Björn Borg, «es war schon stark, wie er sich hier gegen einen Franzosen bei den French Open aus der Affäre gezogen hat.»
Kühl und beharrlich
Wawrinkas kühle Beharrungskraft im Tennis-Backofen illustrierte auch ein Blick in die Match-Statistik: Sage und schreibe 16 von 17 Breakbällen seines Gegners wehrte der Vaudois ab, oft genug bei jenen Big Points, die ein Spiel schnell in eine ganz andere Richtung drehen können. «Das war das Wichtigste für mich: Die Konzentration zu halten, sich nicht ablenken zu lassen», sagte er hinterher, sichtlich stolz auf diesen gelungenen Grand Slam-Vortrag in der «terre battue».
Seit Beginn seiner French-Open-Kampagne wurde Wawrinka wegen seines etwas gewöhnungsbedürftigen Outfits als «Mann im Pyjama» oder «Schlafanzugspieler» verspottet. Doch wann immer er in den vergangenen 13 Tagen zu hohem Grand-Slam-Niveau aufgefordert war, zeigte er sich von seiner hellwachen Seite, leistete sich praktisch keine bösen Aussetzer.
Schon gar nicht gegen Federer oder nun gegen Tsonga, in beiden Schlüsselpartien für sein erstes Final-Gastspiel hatte er jederzeit das Heft in der Hand, prägte und bestimmte das Geschehen. «Hochverdient» sei Wawrinkas Teilnahme am Endspiel, befand Ex-Weltklassespieler Brad Gilbert, «er hat hier wirklich grossartige Spuren im Sand gezogen.»
Zweiter Schlag gegen Franzosen
Ein halbes Jahr nach den bemerkenswerten Davis-Cup-Momenten von Lille versetzte Wawrinka ganz Tennis-Frankreich schon den zweiten Tiefschlag – nun in Rolle des souveränen Zerstörers aller Hoffnungen auf den ersten heimischen Finalisten seit 1988 (Leconte) oder gar Siegers (1983, Noah). So sehr allerdings imponierte der Schweizer in diesem Zweikampf, so fair und anständig trat er auf, dass ihn die 14’000 Zuschauer schliesslich mit kräftigem Applaus entließen – mehr als nur Beifall aus reiner Höflichkeit, sondern Verbeugung vor dem schlicht besseren Mann an diesem Tag.
Und der war Wawrinka fast durchgehend in dem Hitze-Marathon, fast, weil er sich einmal eine kurze Schwächeperiode von Mitte bis Ende des zweiten Satzes leistete und dies eine eigentlich unnötige Verlängerung der Partie nötig machte. Doch wenn es zählte, war er, der Gast aus der Schweiz, der Haus-Herr auf dem Roten Platz. Bis zu jenem Moment, in dem er sich an den Kopf fasste, als Siegertyp mit Köpfchen.