Basel lernt am Dienstag zum ersten Mal live eine der grossen, schillernden Trainergestalten des Fussballs kennen. Und der Exzentriker José Mourinho kündigte am Vorabend der Champions-League-Partie im St.-Jakob-Park an, dass Basel ein besseres Chelsea erleben wird als bei der Heimniederlage gegen den FCB vor zwei Monaten an der Stamford Bridge.
Wenn man «The Special One» richtig verstanden hat, dann war ihm während der jüngsten Länderspielpause langweilig in Cobham, im Clubzentrum des Chelsea FC draussen vor den Toren Londons. Was wiederum nicht schwer zu begreifen ist, wenn man als Trainer täglich nur fünf Spieler um sich hat, weil der Rest über den Globus verstreut unterwegs ist. Das ging Murat Yakin in Basel ja nicht gross anders.
José Mourinho, der im Sommer zu Chelsea zurückgekehrt ist mit der Selbsteinschätzung «Ich bin besser als je zuvor», hat den 3:0-Erfolg am Samstag bei West Ham mit seiner Sezierarbeit erklärt: «Ich hatte die Zeit, jedes Spiel des Gegners anzuschauen, weil ich ja sonst nichts zu tun hatte. Das war der Unterschied: Manchmal änderst du Dinge, weil du den Gegner studierst.»
Mourinhos Taktikexperiment
Das Ergebnis der Einsamkeit in Cobham ist zum einen eine neue Frisur und andererseits eine kleine Retouche an der Grundordnung seines Teams. Vom im bisherigen Saisonverlauf praktizierten 4-2-3-1-System baute der 50-jährige Portugiese auf ein 4-3-3 um. Mit dem unverzichtbaren Brasilianer Ramires, dem Nigerianer John Obi Mikel und Schlachtross Frank Lampard im Mittelfeld. Genau genommen war es ein 4-3-2-1, weil hinter der Sturmspitze Samuel Eto’o die beiden Supertechniker Oscar und Eden Hazard weit eingerückt agierten und dem Gegner keine Luft liessen.
Das ergab Überzahl im Zentrum und Spielkontrolle. Das derart bedrängte West Ham spielte seine langen Bälle, was zur leichten Beute der Chelsea-Abwehr wurde. Dort stellen Branislav Ivanovic, Captain John Terry, Gary Cahill und Cesar Azpilicueta die Konstante unter Mourinho dar. An der Besetzung der Viererkette rüttelte Mourinho in den vergangenen Wochen nicht; davor wird munter durchgewechselt.
Im Upton Park ergab das einen kommoden 3:0-Sieg, und ein offensiv harmloses und defensiv fehleranfälliges West Ham mag ein dankbarer Gegner für das Taktikexperiment gewesen sein. Unter dem Strich hat Mourinho jedoch einige Ziele erreicht: Für den alternden Lampard etwa verkürzen sich die Wege. Der 35-Jährige fand so besser ins Spiel und beendete an früherer Wirkungsstätte seine zehn Spiele andauernde Flaute mit seinen Saisontoren Nummer 2 und 3: das erste per Foulpenalty, das zweite mit einem Flachschuss von der Strafraumgrenze.
All Goals West Ham United 0-3 Chelsea (23-11… von Sport-Today-2014
Der zweckdienliche Kompromiss
Mit dem siebten Saisonsieg (drei Unentschieden, zwei Niederlagen bei 21:10 Toren) rangiert Chelsea neu auf Platz 3, punktgleich mit Liverpool und vier Zähler hinter Arsenal. Mourinho hat einen ausgewogenen Kompromiss gefunden zwischen vorhandenem Spielermaterial und seiner Vorstellung von Fussball, der von noch mehr Zweckdienlichkeit geprägt scheint als in seiner ersten Ära an der Stamford Bridge (2004-2007).
Es ist ein kompakter Fussball, der gesteuert wird von Mourinhos Soldaten Lampard und Captain John Terry und vollendet von Filigrantechnikern wie Oscar und Hazard, Routiniers wie Eto’o oder Hochgeschwindigkeitsfussballern wie André Schürrle. Der Trainer kann es sich leisten, Ausnahmekönner wie Juan Mata oder Kevin de Bruyne schweren Herzens auf der Bank zu lassen («Leider kann ich nur mit elf Mann beginnen») oder den für 40 Millionen Franken aus Makhachkala geholten Willian.
Mourinhos berechnender Fussball ist wie geschaffen für Situationen wie das Auswärtsspiel in Basel, wo ihm auch wieder der zuletzt verletzte Fernando Torres zur Verfügung steht. Dafür fehlt David Luiz (Knieverletzung).
Makellos seit der Niederlage gegen Basel
Mourinho holt im Moment das Beste aus einem über Jahre hinweg hochgerüsteten Kader heraus, und auch wenn der Champions-League-Sieger von 2012 noch nicht das ganz grosse Flair verbreitet, so nehmen die Dinge doch ihren Lauf. In der Champions League haben die Blues den Nackenschlag der 1:2-Heimniederlage gegen Basel verdaut und seither eine makellose Bilanz mit drei Siegen ohne Gegentor. «Nach der Niederlage zum Start haben wir unseren Job gemacht und Basel nicht», sagt Mourinho trocken zur Ausgangslage.
Mit einem Sieg im St.-Jakob-Park ist Chelsea vorzeitig als Gruppenerster für die Achtelfinals qualifiziert und Mourinho hinterliess am Montagabend im St.-Jakob-Park nicht den Eindruck, als ob er daran zweifeln würde.
«The Special One» nannte sich Mourinho vor neun Jahren, als er erstmals in London arbeitete. Bei der Rückkehr zu seinem geliebten Chelsea Football Club verkündete er, dass aus ihm «The Happy One» geworden sei. Diese Selbsteinschätzung bestätigt sein nigeranische Mittelfeldspieler John Obi Mikel: «Wenn er das sagt, wird es auch sein. Wir Spieler sind jedenfalls glücklich, ihn zurück zu haben.»
Dass Chelsea und Mourinho in der britischen Hauptstadt derzeit überstrahlt wird vom FC Arsenal des Arsène Wenger, das ist das einzige, was dem egozentrischen Portugiesen nicht gefallen kann.
Chelsea verzichtet auf Training im Joggeli
Das Spiel in Basel erhält daher eine Beiläufigkeit, die Mourinho noch mit der Vorbereitung unterstreicht. Die Mannschaft trainierte am Montagmorgen in Cobham, reiste erst am Abend nach Basel und verzichtete auf das Abschlusstraining im St.-Jakob-Park.
Für Murat Yakin ist das nur ein weiterer Beleg dafür, dass spezielle Trainer zuweilen spezielle Massnahmen ergreifen und Mourinho «immer ein Ass im Ärmel hat». Vor dem Hinspiel sass Demba Ba neben Mourinho in der Medienkonferenz, was üblicherweise als Signal gewertet wird, dass dieser Spieler anderntags auch in der Startelf steht. Tat Ba jedoch nicht. Und diesmal, vermutet der FCB-Trainer, habe Mourinho vielleicht mit Schnee in der Schweiz gerechnet. Hatte es jedoch zumindest am Rheinknie auch nicht.
Fragt sich nun nur noch, ob Mourinho in den vergangenen zwei Wochen auch den FC Basel so eingehend studiert hat wie West Ham und eine Lösung ersonnen hat, wie die Scharte des Hinspiel-1:2 gegen den Schweizer Meister zu Beginn der Kampagne auszuwetzen ist. «Basel war im Hinspiel die bessere Mannschaft», räumt Mourinho ein, «aber dieses Chelsea heute ist besser als jenes an der Stamford Bridge.» Das soll wohl wie eine Warnung an die Adresse des FCB klingen.
Am Ende wusste man alles über José Mourinhos Frisur und ziemlich wenig über die Sicht des Chelsea-Trainers zum Spiel in Basel. So sind sie eben, die englischen Journalisten. Seit Mourinho nach der Länderspielpause zum Londoner Derby am Samstag bei West Ham mit kurzgeschorenen Haaren auftauchte, will man mehr wissen. Die Medienkonferenz in Basel bot Gelegenheit dazu.
Der offenbar prächtig aufgelegte Portugiese gab also zum besten, dass er selbst Hand angelegt hat. In seiner Garderobe im Trainingszentrum von Cobham, vor dem Spiegel, mit einer Haarschneidemaschine, die er sich von seinem spanischen Stürmer Fernando Torres geborgt hat. «In ein paar Monaten werden die Haare wieder lang sein, das können andere nicht von sich behaupten», witzelte Mourinho unter dem Protest einiger glatzköpfiger Begleiter aus dem Chelsea-Tross. Und weil sich Mourinho gerade so lustig fand, strich er sich über die millimeterkurzen grauen Haare und bemerkte zum Selbstschnitt: «Ausserdem ist es eine günstige Variante, oder?»
Damit aber noch nicht genug. Ein bisschen hineininterpretieren in den neuen Style sollte der 50-Jährige auch noch, und auch diesen Gefallen tat er den Journalisten von der Insel: «Nur die Harten, die Mutigen überleben», das ist die Botschaft des Trainers mit dem Kadettenschnitt. Neun Spiele stehen Chelsea im Dezember bevor und Mourinho hat dieses dicht gepackte Programm vermisst als er in Italien und Spanien gearbeitet hat: «Ich mag diese Zeit, ich geniesse sie. Es ist der Moment, in dem man zeigen kann, was man drauf hat.»
Er wurde auch noch gefragt, was seine Frau zur neuen Frisur gesagt hat. «Ich habe ihr ein Bild geschickt», erzählt Mourinho, «damit sie vorgewarnt ist und mich zuhause reinlässt.» (cok)