Im Sommer sucht Thomas Steinbrugger nach Kristallen. Der 46-jährige Österreicher war Profikletterer und gelangt an die exponiertesten Stellen in den Alpen. Im Winter renoviert der gelernte Schreiner Wohnungen, auch in Basel.
Thomas Steinbrugger zeigt einen seiner Kristalle, die er in den Alpen gefunden hat.
(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)Dieser Bergkristall ist bei Weitem nicht das Grösste, was Steinbrugger je gefunden hat. Allerdings kommt es in den meisten Fällen auf die Qualität der Gewächse und nicht auf die Grösse an.
(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)Steinbrugger erreicht bei seiner Arbeit als Strahler die exponiertesten Stellen. Das verdankt er seiner Vergangenheit als Profikletterer.
(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)Die Arbeit als Strahler in den Alpen ist gefährlich, der Tod für Steinbrugger ein Thema, das ihn seit Jahren begleitet: Viele seiner Freunde sind in den Bergen verunglückt, er selbst hat sich auch schon schwere Verletzungen zugezogen.
(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)Umso wichtiger ist es, seinem Partner hundertprozentig vertrauen zu können.
(Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)Morgenstimmung, kurz nach dem Aufstehen. Die Strahler Philip (auf dem Bild) und Thomas Steinbrugger haben hier unter freiem Himmel die Nacht zugebracht.
(Bild: Thomas Steinbrugger)Ein anderer Biwakplatz: Kocher und Feuerzeug im Vordergrund, prächtige Aussicht im Hintergrund.
(Bild: Thomas Steinbrugger)Frühstück vor der Arbeit, Philip Steinbrugger stärkt sich vor der belastenden Aufgabe.
(Bild: Thomas Steinbrugger)Der 20 Jahre jüngere Philip steigt nach, der 46-jährige Thomas Steinbrugger sichert seinen Bruder auf dem Weg zu einer Fundstelle.
(Bild: Thomas Steinbrugger)Auf dem Weg zur Fundstelle.
(Bild: Thomas Steinbrugger)Mit einer Notdruft in luftigen Höhen begann das neue Leben des Thomas Steinbrugger. Der österreichische Kletterer stieg auf der Suche nach einem ruhigen Ort ein kleines Couloir im Gotthardmassiv hoch. Weiter oben sah er ein grosses Loch im Fels. Eine Höhle, die seine Aufmerksamkeit erregte. Aus Erzählungen wusste er, dass es eine Kluft sein musste.
Ungesichert kletterte er die 15 Meter zu der Stelle hinauf. Und was er dort entdeckte, hat den inzwischen 46-Jährigen bis heute nicht mehr losgelassen: ein Kristall, so gross wie zwei Milchtüten nebeneinander.
Acht Jahre später, auf der Sonnenterrasse eines Basler Cafés, beschreiben Steinbruggers kräftige Hände die Form seines Fundes. Die Geste ist nachdrücklich, als wolle er seine Faszination für diesen über Millionen von Jahren gewachsenen Festkörper unterstreichen.
Inzwischen findet Thomas Steinbrugger Kristalle dieser Ausmasse. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)
Verkauft hat Steinbrugger den Kristall erst viel später, heute verdient er die Hälfte seines Lebensunterhaltes als Strahler. Er ist einer von rund 50 professionellen Kristallsuchern im Alpengebiet. Der ehemalige Profikletterer gehört dabei zur Minderheit derjenigen, die das wertvolle Gut auch an exponierten Stellen im Gebirge suchen.
Der Tod als Teil des Lebens eines Bergsteigers
Zuerst sucht Steinbrugger die Felswände vom Helikopter aus ab, immer auf der Suche nach Unregelmässigkeiten im Gestein, die Indizien für ertragreiche Kluften sein können. Hat er eine solche entdeckt, klettert er zu der Stelle, gesichert von seinem 20 Jahre jüngeren Bruder Philip.
In hochalpinem Gebiet, meist im Gotthardmassiv, das besonders reich an Kristallen ist, arbeitet der Österreicher in engen, tief in den Fels führenden Höhlen und Spalten, über Abhängen und an Stellen, wo Eis- und Steinschlag drohen. Drei Strahler seien dieses Jahr bereits ums Leben gekommen, sagt Steinbrugger, der als Alpinist immer wieder mit dem Tod konfrontiert ist. Er selbst hat viele Freunde in den Bergen verloren.
Thomas Steinbrugger an seinem luftigen Arbeitsplatz. (Bild: Thomas Steinbrugger)
Dass der Vater einer Tochter seinen Beruf verantwortungsvoll und mit der nötigen Umsicht erledigen kann, verdankt er seiner Vergangenheit als Profisportler. Im Eisklettern war er Weltcupsieger, Vize-Weltmeister und österreichischer Champion.
Von diesem Leben, das ihn als Protagonist in Magazinen und Videos interessant für Sponsoren machte, hat sich Steinbrugger abgewendet. Die Kletterindustrie ist ihm inzwischen ein Graus mit ihren Expeditionen, in die sich Zahlungswillige einkaufen, um sich auf den höchsten Gipfeln der Erde gegenseitig auf die Füsse zu treten.
Klaustrophobie und Höhenschwindel
Steinbrugger stellt sich das Leben in den Bergen anders vor. Er schöpfe aus der natürlichen Umgebung «Kraft und Energie», weil sie «ehrlich und direkt ist», sagt er. Das Leben als Strahler ist spartanisch. Die Brüder Steinbrugger arbeiten draussen, essen hoch oben im Fels und schlafen unter freiem Himmel, in Biwaks oder Felshöhlen.
In den engen Kluften verspürt Thomas Steinbrugger einen Anflug von Klaustrophobie. Vor dem Abseilen fürchtet er sich, ein leichter Höhenschwindel macht sich dann bemerkbar. Im Team ist er für die Kristallsuche zuständig und verantwortlich für alles, was die Kletterei betrifft. Sein Bruder Philip übernimmt das Kochen und den Abwasch – und er ist am Berg der erste Partner des älteren Weggefährten.
Die Blutsverwandschaft sei entscheidend, das Vertrauen in den Partner vollkommen, sagen die beiden.
Durch solche Öffnungen steigen die Strahler in die Kluft, die sich in diesem Fall zehn Meter in den Fels erstreckt. (Bild: Thomas Steinbrugger)
Den Sommer verbringt das Duo in den Bergen. Im Winter verkauft Steinbrugger seine Steine; an Messen, direkt an die Händler, an Esoterikgeschäfte oder Sportläden. Noch ist der Quereinsteiger, der seit zwei Jahren professionell nach Kristallen sucht, finanziell auf seine Winterbeschäftigung angewiesen: Der gelernte Schreiner baut Wohnungen und Häuser um. Aktuell erledigt er, ebenfalls mit seinem Bruder, einen Auftrag in Basel, wo er Freunde hat und zu seiner Zeit als Profikletterer sein Sponsor ansässig war.
Irgendwann will er ganz von der Strahlerei leben können, schliesslich entdeckt er Kluften inzwischen nicht mehr per Zufall auf der Suche nach einem stillen Örtchen. Er hat ein gewinnbringendes Auge für Unregelmässigkeiten im Fels entwickelt und eine ganz eigene, geheime Methode für die Suche nach ertragreichen Stellen. Diese markiert der Österreicher in den Schweizer Bergen mit seinem Kürzel «S.T.15».
Nach den Regeln der Strahler ist es das Zeichen, dass eine Kluft für seinen Finder reserviert ist. Meistens müsste Steinbrugger die Stellen jedoch nicht markieren. Sie liegen derart exponiert, dass sie ausser dem einstigen Profikletterer ohnehin nur wenige erreichen.
Das Glück des tüchtigen Finders: Thomas Steinbrugger mit zwei Bergkristallen. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)