Tiefer Glaube und Hoffnung auf die nächste Chance

Einst hatte Jean-Paul Boëtius ein Aufgebot von Louis van Gaal für die Nationalmannschaft aus religiösen Gründen abgelehnt. Der 22-Jährige bekam eine zweite Chance und durchlebt beim FC Basel inzwischen eine schwierige Zeit. Immerhin: Am Sonntag dürfte der Holländer im Cup wieder einmal eingesetzt werden.

Doppeltorschütze Jean-Paul Boëtius jubelt mit Assistgeber Callà und Captain Delgado.

(Bild: PETER KLAUNZER)

Einst fragten ihn die Teamkollegen bei Feyenoord: «Willst du uns veräppeln?» Damals hatte Jean-Paul Boëtius ein Aufgebot von Louis van Gaal für die Nationalmannschaft aus religiösen Gründen abgelehnt. Der 22-Jährige bekam eine zweite Chance und durchlebt beim FC Basel inzwischen eine schwierige Zeit. Immerhin: Am Sonntag dürfte der Holländer im Cup wieder einmal eingesetzt werden.

Und plötzlich war Louis van Gaal am anderen Ende der Leitung. Die grosse Trainerfigur aus Amsterdam, Ritter von Oranien-Nassau. Diesen Titel hat das Königshaus dem Übungsleiter für seine Verdienste am holländischen Fussball verliehen, 1997, kurz bevor van Gaal beim FC Barcelona seinen ersten Auslandposten antrat. Zwei Jahre zuvor hatte er mit Ajax die Champions League gewonnen und damit einen der grössten Momente des nationalen Sportgeschehens herbeigeführt.

Später wurde van Gaal Bondscoach, trainierte in München die Bayern und kehrte 2012 an die Spitze der holländischen Landesauswahl zurück. Dieser Grandseigneur der Seitenlinie rief also Jean-Paul Boëtius an, der damals bei Feyenoord Rotterdam spielte, und übermittelte dem jungen Mann das erste Aufgebot für die Nationalmannschaft. Und Boëtius sagte: «Ich kann nicht.»

Er konnte nicht. Denn zur gleichen Zeit gab es einen Anlass in der Kirche, der Boëtius angehört, der «World Mission Society Church of God». Dieser Anlass war Boëtius so wichtig, dass er sein erstes Aufgebot für das Nationalteam ausschlug. Die älteren Mitspieler bei Feyenoord redeten auf den Teenager ein: «Willst du uns veräppeln? Denk nochmals darüber nach, diese Chance kommt vielleicht nie wieder!» Doch Boëtius zog den Kirchenanlass vor – überzeugt, dass seine nächste Möglichkeit kommen würde. Und sie kam.

«Natürlich muss Urs Fischer gewisse Spieler enttäuschen. Im Moment bin ich das. Aber meine Zeit wird kommen.»

Jean-Paul Boëtius zu seiner schwierigen Zeit beim FCB

Vor zweieinhalb Jahren, van Gaal war noch immer Nationaltrainer, stand Boëtius vor 80’000 Menschen auf dem Rasen des Stade de France im Dress der grossen Oranje. Rechts von ihm: Wesley Snejder, der Spielmacher. Vor ihm: Robin van Persie, der Mittelstürmer. Auf der Bank: Memphis Depay, der Boëtius in diesem Testspiel zwanzig Minuten vor dem Ende ersetzte.

Die Partie fand kurz vor der Weltmeisterschaft in Brasilien statt. Depay und Boëtius galten als die grossen Talente des holländischen Fussballs. Doch nur einer flog über den Atlantik: Depay, dessen Karriere in der Folge einen anderen Weg einschlug als diejenige Boëtius’. Einen erfolgreicheren. 

Niedergang eines Talents

Boëtius überzeugte bei Feyenoord immer weniger. Die Vertragsverhandlungen gerieten ins Stocken, Verein und Spieler trennten sich, im Sommer 2015 wechselte der Rechtsfuss zum FC Basel: mit dem Ziel, in seiner Karriere einen Schritt zurück zu machen und bei einem vermeintlich kleineren Verein wieder Fahrt aufzunehmen.

Es kam anders.

Und so sitzt Jean-Paul Boëtius auf einem Barhocker neben dem Basler Stadion und sagt: «Ich bin dankbar, noch immer beim FC Basel zu sein. Auch wenn die sportlichen Umstände für mich nicht perfekt sind. Aber ich hatte halt auch immer wieder Pech mit Verletzungen.» Gleich nach seiner Ankunft machte der Oberschenkel nicht mehr mit, später fiel er mit Hüftproblemen aus und im Frühjahr verletzte sich Boëtius am Sprunggelenk.

Medizinisch kam also einiges zusammen. Und so sind die sportlichen Umstände nicht nur nicht perfekt, wie Boëtius es nennt. Sie sind schwierig für den Spieler, über dessen Wechsel in die Schweiz viele erstaunt waren angesichts des Talents, das Boëtius aus Holland mitbrachte.



epa04106205 Feyenoord's Graziano Pelle (R) celebrates his goal with teammate Jean-Paul Boetius during the Dutch Eredivisie soccer match between Feyenoord Rotterdam and Ajax Amsterdam in Rotterdam, The Netherlands, 02 March 2014. EPA/OLAF KRAAK

Einst auf der grossen Bühne des holländischen Fussballs: Jean-Paul Boëtius feiert den Treffer des italienischen Nationalspielers Graziano Pelle im Spiel seines Vereins Feyenoord Rotterdam gegen Ajax Amsterdam. (Bild: Keystone/OLAF KRAAK)

Der 22-Jährige absolvierte unter Urs Fischer in seiner ersten Saison noch 18 Einsätze. In der laufenden Spielzeit kommt der linke Flügel auf acht Ligaminuten, er entschied das Spiel in der ersten Cuprunde gegen Rapperswil mit seinem Tor, und in der Champions League schaffte er es nicht in Fischers Aufgebot für den Auftakt gegen Ludogorets Razgrad.

Mit diesem Leistungsausweis ist die A-Nationalmannschaft in weite Ferne gerückt. Doch Boëtius sagt: «Wenn ich meine Form wieder erlange, glaube ich an meine Chance in der Nationalmannschaft.» Aktuell steht er mit der Jugendauswahl seines Landes auf dem Platz und ist im Verein inzwischen froh um jede Minute Einsatzzeit.

Da läuft es ihm sportlich also überhaupt nicht – und Boëtius erzählt von seinem Leben mit Freundin und Hund in der Baselbieter Gemeinde Oberwil.

«Natürlich muss Urs Fischer gewisse Spieler enttäuschen. Im Moment bin ich das. Aber meine Zeit wird kommen», sagt Boëtius und lacht. Wie eigentlich immer. Wer sich seinem Charme entziehen will, scheitert. Die surinamischen Wurzeln seiner Eltern drücken durch, Gelassenheit zeichnet ihn aus, und eine Ruhe, die er so schnell nicht verliert.

Da läuft es ihm sportlich also überhaupt nicht – und Boëtius erzählt von seinem Leben mit Freundin und Hund in der Baselbieter Gemeinde Oberwil, wo auch seine Teamkollegen Andraz Sporar und Germano Vailati wohnen; davon, wie er mit seinen drei Geschwistern in Hollands Mittelschicht aufgewachsen ist. Und davon, wie er früher «eigentlich recht gut in der Schule» gewesen ist.



Daniel Hoegh, Omar Gaber und Jean-Paul Boetius, von links, treffen mit dem Fahrrad zum Training des FC Basel ein, auf den Trainingsplaetzen St. Jakob in Basel am Donnerstag, 16. Juni 2016. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Drei, die beim FC Basel in der zweiten Reihe stehen: Daniel Hoegh (links) steht in der Hierarchie der Innenverteidigung nicht zuoberst, Omar Gaber (Mitte) kommt auf der rechten Seite nicht an Michael Lang vorbei und Jean-Paul Boëtius schafft es regelmässig nicht ins Aufgebot. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)

Boëtius hätte Oberwil und den FCB in diesem Sommer verlassen und zu einem Verein gehen können, bei dem seine Einsatzchancen grösser gewesen wären. Angebote habe es gegeben, sagt er. «Aber ich wollte Charakter zeigen. Und von Club zu Club zu springen, nur weil die Situation im Moment nicht perfekt ist, ist nicht meine Art. Man wird im Leben schliesslich immer wieder zu beissen haben.»

Boëtius hat in Basel einen Vertrag bis 2019 und ist geblieben. Dass es mit der Karriere als Berufsspieler überhaupt geklappt hat, dafür ist er dankbar. «Ich denke mit meinem Umfeld oft darüber nach: Was wäre gewesen, wenn ich bei meinem Profidebüt gegen Ajax nicht so gut gespielt und gleich ein Tor geschossen hätte? Wäre ich jetzt an diesem Punkt in meinem Leben? Es gibt so viele Fussballer auf dieser Welt. Und nicht jeder kann damit seinen Lebensunterhalt verdienen. Wir müssen alle dankbar sein für dieses Privileg.»

Die nächste Einsatzmöglichkeit: am Sonntag gegen Zug 94

Als kleiner Junge träumte Boëtius von einer Profikarriere, inzwischen von der Champions League. Von der Liga, in der «die besseren Spieler dir aufzeigen, woran du noch zu arbeiten hast», wie er sagt. Von der grössten aller Bühnen des Clubfussballs ist der Flügel momentan weit entfernt. Auch deswegen, weil es im Kader des 19-fachen Meisters nur so wimmelt von Aussenspielern. Immerhin hat es Boëtius auf die Liste der Spielberechtigten in der Königsklasse geschafft.

Boëtius muss sich mit guten Leistungen in den kleineren Affichen wieder näher an das Kader für die Super League oder die Champions League spielen. Die nächste Möglichkeit dazu hat der 22-Jährige am Wochenende: Der FC Basel trifft auswärts in der zweiten Cuprunde auf Zug 94. 

Wegen eines Kirchenanlasses verpassen kann Boëtius das Spiel nicht. Die «World Mission Society Church of God» gibt es in Basel nicht. «Aber ich habe meine Bibel.» Und sein Lachen. Alles andere wird dann schon kommen. Der gelassene Holländer vermittelt den Eindruck, dass er darauf vertraut.

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