Und wieder auf zum höchsten Punkt

Nach drei Meisterschaften in Folge kommt für den FC Basel eigentlich nur eines in Frage – eine vierte. Beim nächsten Angriff auf den Gipfel versucht der Trainer auch im mentalen Bereich noch mehr herauszukitzeln.

Geniesst den Blick von oben: FCB-Trainer Heiko Vogel im Trainingslager am Tegernsee nach Erklimmung des Wallbergs. (Bild: Hans-Jürgen Siegert)

Nach drei Meisterschaften in Folge kommt für den FC Basel eigentlich nur eines in Frage – eine vierte. Beim nächsten Angriff auf den Gipfel versucht der Trainer auch im mentalen Bereich noch mehr herauszukitzeln.

Ist der Titel-Hattrick Fluch oder Segen für den FC Basel? Ist es eine Belastung, wieder alles gewinnen zu müssen, die Meisterschaft und den Schweizer Cup, um nicht unter dem Massstab der zurückliegenden Saison zu bleiben? Oder eine Lust, den gehörigen Abstand zur nationalen Konkurrenz zu verteidigen? Während Fussball-Europa kurz nach der Euro 2012 noch in der Sommerpause dämmert, geht es für den FCB an diesem Freitag in Genf bereits los mit der Beantwortung dieser Fragen.

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Vor einem Jahr, damals noch unter seinem Cheftrainer Thorsten Fink, hat Heiko Vogel einen «Meisterblues» gespürt, eine gewisse Trägheit, die vielleicht auch dadurch beeinflusst wurde, dass der FCB damals bereits wusste, für die Gruppenphase der Champions League gesetzt zu sein. Diesmal muss er durch drei Ausscheidungsrunden – mit dem ersten Auswärtsspiel am kommenden Dienstag in Tallinn.

Auch wenn FCB-Präsident Bernhard Heusler die Champions League den «ersten Traum» nennt, den man in der Frühphase der Saison hegt, will er sie nicht zum alleinseligmachenden Ziel erheben: «Die Leute sagen, dass das letzte Jahr nicht mehr zu toppen ist. Das ist mir zu kurzsichtig. Um den FC Basel weiterzuentwickeln und den Leuten etwas zu bieten, habe ich nicht das Gefühl, dass wir unbedingt in die Gruppenphase kommen müssen. Eine tolle Meisterschaftssaison, eine tolle Europa League hat auch Platz. Ich sehe es nicht so, dass die Messlatte für unsere Arbeit ist, die Achtelfinals der Champions League zu überstehen. Wir dürfen uns nicht zu sehr auf die Einzelergebnisse reduzieren.»

Die hungrige Konkurrenz

Die Erwartungshaltung in Basel ist enorm, den Anspruch, Meister zu werden, muss dem FCB niemand diktieren, den stellt er mit seinen Möglichkeiten an sich selbst. Mit allen Einschränkungen und Unsicherheiten wie Verletzungspech. Und: «Wir haben im letzten Dreivierteljahr auch das eine oder andere mal das Wettkampfglück auf unserer Seite gehabt – das kann mal kippen», sagt Heusler.

Die Ligakonkurrenten haben zum Teil mächtig investiert (Sion), wollen mit erfahrenen Trainern zurück an die Spitze (der FC Zürich mit Rolf Fringer), einen Spitzenplatz verteidigen (FC Luzern) oder endlich eine neue Phase zünden (Young Boys). «Die Konkurrenz wird noch hungriger sein, uns ein Bein zu stellen», sagt Heiko Vogel.

Für den noch so jungen Cheftrainer, der mit den Erfolgen im Rücken einen raschen Reifeprozess erlebt, stellt sich nach nur wenigen Monaten bereits die Frage, die sich Thorsten Fink nach zwei Jahren und drei Titeln zu stellen begann: «Was soll noch kommen?» Zunächst einmal der Umbruch im Kader, die Abgänge von Shaqiri, Xhaka und Abraham, die Rücktritte von Huggel und Chipperfield eröffnen auch neue Chancen. Neun Spieler sind gegangen, neun neue Spieler gekommen, eine nicht geringe Fluktuation, mit der in der Liga ein «heftiges Startprogramm» (Heusler) und eine «harte Qualifika­tion» (nochmal Heusler) mit sechs Spielen und etlichen englischen Wochen als Allererstes zu bewältigen ist.

Deer Mentalbereich – eine nicht ausgeschöpfte Ressource

Umgebaut hat Heiko Vogel auch seinen Mitarbeiterstab. Seit Jahresbeginn bereits dabei ist Assistenzcoach Markus Hoffmann, aus Goalie Massimo Colomba ist ein Goalietrainer geworden, ein neuer Videoanalyst schafft zu, im Trainingslager war ein Ernährungsberater, und es gibt Christian Marcolli. Der Sportpsychologe arbeitet auf Mandatsbasis für den FCB, zählt schon seit Längerem Yann Sommer, Marco Streller oder Valentin Stocker zu seinen Klienten, und seit dem Wechsel von Fink zu Vogel ist Marcolli immer häufiger im Umfeld der Mannschaft anzutreffen.

Marcolli, 39-jährig und aus Bättwil stammend, hat Anfang der Neunzigerjahre für den FCB und die Old Boys in der Nationalliga B als Stürmer gespielt und besitzt das Trainer-A-Diplom. Aspekte, die ihm den Zugang zu den Spielern erleichtern, um seine Kenntnisse einzubringen, die er sich an den Universitäten Zürich und Ottawa erworben hat. Den jungen Roger Federer hat er begleitet, und heute lebt Marcolli im Aargau, hat sein Büro in Zug, betreut etliche Schweizer Sportler und ist für global operierende Unternehmen tätig.

Den punktuellen Einsatz eines psychologischen Beraters nennt Heiko Vogel «einen Bereich, bei dem im Fussball die Ressourcen noch nicht ausgeschöpft sind». Wobei der Trainer keine Missverständnisse aufkommen lassen will: «Er legt keinen auf die Couch und sagt dann zu mir: Hör zu, der macht dir 40 Tore.» Marcolli geht nicht gezielt auf Spieler zu: «Wenn einer will, bin ich da», erklärt er, «und ich habe auch nicht den Drang, ständig Motivationsreden vor der Mannschaft zu halten, das kann nur aufgesetzt wirken.»

Ein Coach für den Trainer

Einen Grundpfeiler für Erfolg nennt der Psychologe, dass die Spieler sich nicht nur an Ergebnissen und Punkten messen lassen: «Die Tabelle darf nicht die einzige Relevanz besitzen. Erfolg ist zwar der zentrale Massstab, sollte aber nicht isoliert betrachtet werden.» Für Marcolli lautet die ideale Paarung: «Bescheidenheit einerseits und hohes Selbstvertrauen andererseits.» Zwei Prädikate, die unter Vogel so als vorgelebt gelten dürfen.

Worauf sich der Trainer und sein Psychologe bereits geeinigt haben: Die neuen Spieler im Kader sollen nicht mit denen verglichen werden, die nicht mehr da sind. Das will man steuern, indem keine oder nur wenige Videosequenzen von der alten Saison gezeigt werden. «Mohamed Salah soll nicht Shaqiri sehen, weil er es nicht ist. Er soll seine Eigenheiten einbringen. Die neuen Spieler werden dem FCB ihren Stempel aufdrücken. Vergleiche sind da nutzlos.»

Es dreht sich in dieser Zusammenarbeit viel um Austausch und um Reflexion. Um die Rahmenbedingungen, in denen Profifussball stattfindet, um einen gesunden und natürlichen Umgang mit Ruhm und Glamour in einem Spiel, in dem das Ergebnis signifikante Auswirkungen hat – zum Beispiel auf die Finanzen eines Clubs. «Topleistung muss aber auch immer ausbalanciert werden», sagt Marcolli, «durch Normalität und Entspanntheit und eine gewisse Demut. Nur so holt man sich Kraft und Stabilität. Das muss zwingend weitergelebt werden.»

Und wenn man Vogel und Marcolli etwa während der Vorbereitung am Tegernsee vertieft ins Gespräch den Trainingsplatz auf und ab schlendern sah, kann man erahnen, dass Marcolli auch der Mentalcoach für den Trainer ist: «Er hält auch mir mal den Spiegel vor», schildert Vogel, «Kommunizieren ist mein Zugang zu den Spielern, und da macht er mich aufmerksam auf Banalitäten, auf meine Macken oder Unarten.» Vogels Beispiel dafür: «Vier Minuten Nachspielzeit stressen mich. Aber was bringt es der Mannschaft, wenn ich draussen fuchsteufelswild werde?»

Wenig jedenfalls, wenn es um die nächste Gipfelbesteigung geht.

Heiko Vogel vor dem Saisonstart über …

… seine Saisonziele: «Die einfachste Antwort würde lauten, dass es eine erfolgreiche Saison wird, wenn wir den Status Quo erhalten. Wobei es gerade in Cup und Champions League immer das nötige Quäntchen Glück braucht, um erfolgreich zu sein. Die Ansprüche des FCB sind zu Saisonbeginn natürlich immer dieselben, die brauche ich gar nicht zu benennen. Ich denke, dass wir die Qualität haben, um die Gruppenphase der Champions League zu erreichen.»

… die Veränderungen im Team: «Der Club steht für eine bestimmte Philosophie, für einen spielbetonten Fussball, für die nötige Demut auch. Darum werden wir keinen komplett neuen FC Basel erleben, aber einen veränderten. Uns haben einige Leistungsträger verlassen, das ist der Lauf der Dinge. Und es ist doch auch schön, wenn es Veränderungen gibt. Ich jedenfalls freue mich auf einen Marcelo Diaz, auf einen Gaston Sauro, auf einen David Degen oder einen Mohamed Salah. Wir haben mehr Geschwindigkeit im Team als letzte Saison. Und Geschwindigkeit kann im modernen Fussball beim Gegner Stress verursachen. Sonst möchte ich keine Vergleiche anstellen.»

… die Rollenverteilung zwischen Gilles Yapi und Marcelo Diaz im Mittelfeld: «Beide sind Spieler, die das Spiel von hinten heraus ankurbeln wollen. Ich sehe darin allerdings kein Problem für uns, im Gegenteil. Für mich als Trainer ist das ein Geschenk, weil wir so für die Gegner schwieriger auszurechnen sind. Darum will ich hier auch keine Hierarchie festlegen, sondern einfach dieses Abenteuer zulassen.»

… Gilles Yapi: «Über ihn mache ich mir keine Gedanken. Er kommt aus einer Saison, die von einer Verletzung geprägt war. Aber er ist daraus gestärkt hervorgegangen. In der Vorbereitung hat er genau das gemacht, was ich von ihm verlange. Ich habe viel mit ihm gesprochen und ihm gesagt, dass ich auf ihn baue.»

… die Neuzugänge Diaz, Sauro und Salah: «Es ist sicher kein Vorteil, dass sie erst spät zu der Mannschaft gestossen sind – oder den Saisonstart verpassen. Aber bezüglich der Integration in die Mannschaft habe ich keine Bedenken. Ich kenne den Charakter meiner Spieler. Darum weiss ich, dass die Neuen schnell und gut aufgenommen werden.»

… den frühen Beginn der Qualifikation zur Champions League: «Ich glaube, dass die Qualifikationsspiele auch in der Liga ein Vorteil für uns sein werden. Es gibt keine Anlauf-Phase, wir müssen von Anfang an bereit sein.»

… eine Vorbereitung mit Degen-Zwillingen im Team: «Mit den Degens im Team musst du als Trainer immer das richtige verbale Florett in der Hand halten. Wir sind mit Sicherheit um einiges kommunikativer geworden (lacht). Mir macht es unglaublich Freude, den beiden zuzuschauen. Es ist schön, wenn man zwei Menschen sieht, die soviel Energie haben. Sie können einen energetisch bereichern – und manchmal ziehen sie halt auch Energie ab, weil sie ab und an nerven können. Aber es ist mit Sicherheit sehr positiv, David und Philipp Degen in der Mannschaft zu haben.»

… Gennaro Gattuso als Neuzugang in Sion: «Ich freue mich riesig auf ihn. Ich habe ihn schon immer bewundert, weil er sehr unangenehm ist für den Gegner. Er bringt viel Biss mit und kann im richtigen Moment die Mannschaft auch noch einmal aufrütteln. Ich hoffe, dass er der Schweizer Liga bessere Publicity bringt, als sie zuletzt hatte. Weil ich denke, dass die Schweizer Liga stärker ist, als sie gemeinhin wahrgenommen wird.»

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.07.12

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