Unerwarteter Erfolg: Der Japaner Kei Nishikori schlägt im Halb Final der US Open den Favorit Novak Djokovic – und zeigt ein Format von sich, das die Tenniswelt überrascht.
Wenn Michael Chang in den vergangenen Tagen die Club-Lounge des Grand Hyatt-Hotels in Manhattan betrat, konnte er sich der Glückwünsche kaum erwehren. Spitzenleute des Weltverbandes ITF schüttelten dem Amerikaner taiwanesischer Abstammung emphatisch die Hände, dicht gefolgt von Topfunktionären der United States Tennis Federation.
Sie alle versicherten dem einstigen Marathon-Mann der Branche ihrer höchsten Anerkennung, «welch fantastischen Job» er gerade als Cheftrainer des japanischen Tennis-Professionals Kei Nishikori mache. Chang, bescheiden und zurückhaltend wie immer, nickte freundlich mit dem Kopf, nahm die Komplimente entgegen, gesellte sich dann schnell zu Ehefrau Amber Liu und der dreijährigen Tochter Lani. «Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt, ich bleibe lieber im Hintergrund», sagte Chang noch am Freitagnachmittag, einen Tag vor dem Herren-Halbfinale bei den US Open.
Die Nishikori-Show
Dafür ist nun sein Schützling Kei Nishikori endgültig in den Fokus der Tenniswelt gerückt, der Mann, der bei den US Open 2014 das Turnier und das Tennis seines Lebens spielt – in endlosen Nachtshows, unter der glühenden Tagessonne von Flushing Meadows. Und eben auch in zugespitzten Turniersituationen, im Achtel-, im Viertel- oder auch in einem Grand Slam-Halbfinale.
Der Höhepunkt der Nishikori-Show kam nach bestechenden Leistungen zuvor gegen Milos Raonic und Stan Wawrinka nun äusserst überraschend am Super Saturday im Big Apple – und kein geringerer als der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic wurde beim 6:4, 1:6, 7:6, 6:3-Sieg des Japaners das jüngste, bei weitem aber prominenteste sportliche Opfer des Japaners.
Geschichte war da auch mit im Spiel: Denn als erster Spieler des Kaiserreichs überhaupt rückte Nishikori in ein Major-Finale vor, mit einer am Ende erstaunlichen Souveränität und Abgebrühtheit. «Ich bin überwältigt. Es ist einfach unfaßbar», sagte Nishikori nach der bisher größten Sensation bei diesem letzten ganz großen Saisonhöhepunkt. Auf Nishikori warten nun entweder Roger Federer oder der Kroate Marin Cilic, die das zweite Halbfinale bestritten.
Unverwüstlich, unermüdlich
Bei fast 30 Grad und drückender Schwüle hätte man eigentlich annehmen müssen, dass Nishikoris seinen langen Matches in den Runden zuvor hätte Tribut zollen müssen – doch abgesehen von einer Schwächephase zu Beginn des dritten Satzes wirkte der unverwüstliche, unermüdliche Japaner stets wie der fittere und zupackendere Mann. «Ich war sehr müde, aber ich habe mich immer wieder aufgerappelt», sagte Nishikori anschließend.
Besonders im vierten Satz, nach einem frühen Break, zeigte er Beharrungsqualitäten, hielt seinen Vorsprung eisern bis zum zweiten verwandelten Matchball durch. Djokovic erschien meistenteils gar nicht wie Djokovic selbst, oft komplett desorientiert, serienweise mit falschen Schlägen zum falschen Zeitpunkt. Wie der Capitano der Tenniswelt sah er nun wirklich nicht aus, wohl auch nicht nach dem Eindruck von Coach Boris Becker, der etwas fassungslos im Backofen des Arthur Ashe-Stadions schmorte.
Matchentscheidend war zweifellos der Verlauf des dritten Satzes, in dem Nishikori Mühe hatte, einen ebenfalls frühen Breakvorsprung zu halten. Bei einer 5:3-Führung gab er das Break mit Doppelfehler aus der Hand, ließ schließlich einen Tiebreak zu. 4:0 führte er in dieser Glückslotterie, Djokovic kam auf 5:4 heran, doch wie in allen kribbligen Situationen dieses Duells machte dann doch Nishikori die Big Points. Ganz einfach, weil er oft mit dem Format einer Nummer 1 spielte. Und nicht der Mann, der es laut Statistik war – Novak Djokovic, der große, sehr unerwartete Verlierer des Tages.