Veterinär Markus Müller: «Es gibt zu viele Pferde, die 160 Zentimeter überspringen»

Seit Donnerstag springen Pferde und Reiter an den internationalen Prüfungen des sechsten CSI Basel (8.–11. Januar). Im Vorfeld äussert sich Markus Müller als Veterinär des Weltverbands über Missbrauch von Medikamenten, den Einsatz von Tierpsychologen und das Problem zu vieler Hengste im Stall.

Der Tierarzt Markus Mueller macht den medizinischen Check der Pferde fuer die FEI (Federation Equestre Internationale) im Vorfeld des CSI Basel in den aufgebauten Zelten neben der St. Jakobshalle in Basel am Mittwoch, 7. Januar 2015. Der CSI Basel findet vom 8. bis 11. Januar 2015 statt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas) (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)

Seit Donnerstag springen Pferde und Reiter an den internationalen Prüfungen des sechsten CSI Basel (8.–11. Januar). Im Vorfeld äussert sich Markus Müller als Veterinär des Weltverbands über Missbrauch von Medikamenten, den Einsatz von Tierpsychologen und das Problem zu vieler Hengste im Stall.

Herr Müller, was ist genau Ihre Aufgabe am CSI Basel?

Die erste Aufgabe ist der Test der Tiere. Jedes von ihnen muss bei uns antreten. Dabei wird zuerst anhand des Passes, den es zu jedem Pferd gibt, kontrolliert, ob es sich auch wirklich um dieses Tier handelt.

Wie kontrollieren Sie das?

Es gibt ein Signalement, anhand dessen man überprüft, ob das Tier die erfassten optischen Merkmale aufweist. Oder wenn es wie dieses hier (zeigt auf ein vorbeitrabendes Pferd) fast keine optischen Merkmale hat, dann greift man auf den implantierten Chip zurück.

Wo ist dieser Chip implantiert?

Unter der Haut, im Nackenfett. Mit einem Lesegerät können wir den Chip auslesen.

Wäre es nicht einfacher, gleich alle Pferde anhand des Chips zu identifizieren?

Den Chip haben tatsächlich alle Pferde. Aber es ist in gewissen Fällen für uns einfach, anhand des Passes die optischen Merkmale zu erkennen. Kommt dazu, dass es ab und an einen Chip gibt, den man mit dem Lesegerät nicht sofort findet, und dann fängt das Theater an. 

Pferde werden zum medizinischen Check gebracht im Vorfeld des CSI Basel in den aufgebauten Zelten neben der St. Jakobshalle in Basel am Mittwoch, 7. Januar 2015. Der CSI Basel findet vom 8. bis 11. Januar 2015 statt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Doping im Springreiten sind also vor allem Schmerzmittel?

Ja, das würde ich sagen. Was auch probiert wird, sind Mittel zur Stärkung der Muskulatur, also Hormone aller Art. Ähnlich wie bei den Gewichthebern oder den guten Bodybuildern. Das macht während des Springwettkampfs keinen Sinn, aber bei der Vorbereitung. Nur sind diese Hormone lange nachweisbar, deshalb haben wir damit fast nichts mehr zu tun.

Gibt es auch Schmerzmittel, die toleriert sind?

Die FEI hat zwei Listen aufgestellt, das hat zur Klarheit beigetragen. Die erste Liste umfasst die ganz verbotenen Medikamente, die nichts mit der Behandlung eines Pferdes zu tun haben. Da gehören beispielsweise die angesprochenen Hormone oder EPO dazu. Und auf der zweiten Liste stehen Medikamente, die wir Tierärzte zur Behandlung brauchen. Diese dürfen aber nicht nachgewiesen werden, wenn wir bei einem Wettkampf einen Test machen. Ich darf ein Pferd also mit Buta (Phenylbutazon, Anm. d. Red.) behandeln, muss dann aber wissen, dass das erst nach sieben Tagen nicht mehr im Körper ist.

Sie haben die Schmerzmittel angesprochen. Was ist mit Doping in der Regenerationszeit?

Da kann man natürlich auch etwas machen. Wenn einer ein Pferd hat, das sich sehr stark verausgabt, dann kann er nach dem Wettkampf natürlich solche Mittel einsetzen. Er darf dann einfach nicht mehr starten, bis die Substanz wieder aus dem Körper ist. Das ist dann sein Problem.



Die Paesse der Pferde werden nach dem medizinischen Check eingesammelt im Vorfeld des CSI Basel in den aufgebauten Zelten neben der St. Jakobshalle in Basel am Mittwoch, 7. Januar 2015. Der CSI Basel findet vom 8. bis 11. Januar 2015 statt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Jedes Tier besitzt einen Pass, anhand derer die Tierärzte die Tiere identifizieren. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)

Doping kann also beim Springreiten etwas bringen. Ist es ein reelles Problem in Ihrem Sport?

Ich würde sagen, solange wir die Proben machen, haben wir es im Griff. Und wenn wir einen positiven Fall haben, dann ist es meistens eine Verwechslung. Wenn beispielsweise der fütternde Stallmeister einem Pferd, das in einem Wettkampf zum Einsatz kommt, etwas ins Futter gibt, das eigentlich für ein anderes Pferd bestimmt wäre.

Eine bezeichnende Aussage, schieben doch die menschlichen Athleten positive Proben oftmals auf verunreinigte Lebensmittel.

Wir haben dieses Problem auch. Wenn in den Futtermitteln Substanzen vorkommen, die über dem Grenzwert liegen.

Also schieben die Besitzer positive Proben auch auf verunreinigtes Futter?

Ich würde sagen, dass 50 Prozent irgendeine Entschuldigung bringen, vielleicht sind es auch 80 Prozent. Sie versuchen sich herauszureden, was ihnen nicht viel bringt. Man macht eine A-Probe, danach eine B-Probe, bei der der Besitzer sagen kann, wo er diese machen lassen will, und wenn beide positiv sind, dann wird er bestraft. Wer auch immer schuld ist. Im Springsport ist der Reiter der Verantwortliche.

Nicht der Besitzer?

Nein. Im Rennsport ist beispielsweise der Trainer der Verantwortliche, nicht der Reiter. Denn dieser kommt von irgendwo her, setzt sich aufs Pferd und geht wieder. Im Dressurreiten ist es ebenfalls der Reiter.

«Wenn ich einen Hengst habe im Topsport und den nicht kastrieren muss, dann kann ich ihn nach der Pensionierung als Deckhengst nutzen. Das ist kein schlechtes Geschäft.»

Aus Ihrer Sicht als Tierarzt, als jemand, der mutmasslich durch die Tierliebe zu seinem Beruf gekommen ist: Ist der Umgang mit den Tieren im Springsport vertretbar?

Der ist ganz sicher vertretbar. Die Sache muss einfach so betrieben werden, dass die Tiere gut leben können, gut gefüttert werden und ein gutes Training haben. Sie können ein Pferd aber immer missbrauchen. Selbst im Dressurreiten kann man ein Pferd so lange einsetzen, bis es fast umfällt. Und auch im Springreiten können dem Pferd Hindernisse gestellt werden, bis es nicht mehr geht. Nur hat man dann das Problem, dass die Tiere irgendwann nicht mehr wollen. Das wird dann schwierig.

Wie nahe sind diese Tiere an ihrer Leistungsgrenze?

Am Grossen Preis am Sonntag, mit den 160 Zentimeter hohen Hindernissen, wird man das sehen. Der Parcoursbauer muss heute technisch bauen, mit Distanzen und Wendungen arbeiten. Denn es gibt viel zu viele Pferde, die 160 Zentimeter überspringen.

Ein Pferd kann aber höher springen.

Ja, in Rom gibt es beispielsweise noch eine Puissance. Das ist dann eine Mauer, die nach einem vorangehenden normalen Hindernis übersprungen werden soll. Das Höchste, das ich selber gesehen habe, ist 2 Meter und 30 Zentimeter. Der Reiter sieht auf dem Pferd sitzend nicht über diese Mauer.


Beispiel eines Sprungs über die hohe Mauer bei einer Mächtigkeitsprüfung

Auf ein solches Hindernis zuzugaloppieren entspricht nicht dem Instinkt des Tieres, oder?

Richtig. Das gibt es auch nur noch an ganz wenigen Orten. Die Zuschauer haben zum Glück das Bedürfnis nicht mehr.

An einer normalen Springprüfung überspringt das Pferd das Hindernis auch nur, weil es vom Reiter dazu bewegt wird.

Und weil man es trainiert. Kommt dazu, dass das Pferd über diese Sprungkraft verfügt. Es gibt ja auch viele, die auf der Weide über den Zaun springen. Diese Sprungkraft nützen wir aus, für unsere Zwecke. Aber unsere Aufgabe ist es, dass alles korrekt gemacht wird. Ich sage immer, dass wir eine Art Anwalt für die Pferde sind.

«Wir haben heute sehr viele Hengste, was uns beispielsweise im Stall Probleme bereitet. Die rasten dann zwischendurch aus und machen irgendetwas kaputt.»

Vor einem Wettkampf misst der Reiter die Distanzen zwischen den Hindernissen ab und rechnet es um auf die Galoppsprünge des Pferdes. Wäre das Tier im Wettkampf nicht besser, wenn es diese Distanzen intuitiv angehen würde?

Es gibt schon Pferde, die mithelfen. Das sieht man bei unerfahrenen Reitern. Wenn Sie ein Pferd kaufen, das viel kann, und ein Kind darauf setzen, das nicht viel kann, dann hilf das Pferd dem Kind. Erfahrene Reiter, und da spreche ich von den Profis, die hier am Start sind, können dem Pferd tatsächlich helfen.

Wenn man ein Pferd dazu bringen könnte, den Parcours ohne Reiter zu absolvieren, dann wäre es also nicht schneller als mit dem Reiter?

Ja, im Springsport ist das vielleicht so. Im Rennsport ist das wieder etwas anderes.

Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen Stuten, Wallachen und Hengsten im Wettbewerb?

Zwischen Wallachen und Stuten gibt es wenig Unterschiede. Wir haben heute sehr viele Hengste, was uns beispielsweise im Stall Probleme bereitet. Die rasten dann zwischendurch aus und machen irgendetwas kaputt. Beim Hengst ist es also so, dass er ab und an etwas macht, womit der Reiter nicht unbedingt rechnet.

Kann man also sagen, dass Hengste etwas wettbewerbsorientierter, dafür aber schwerer zu führen sind?

Es geht wahrscheinlich in diese Richtung. Wenn ich einen Hengst habe im Topsport und den nicht kastrieren muss, dann kann ich ihn nach der Pensionierung als Deckhengst nutzen. Das ist kein schlechtes Geschäft.

Kann ein Hengst Springtier und Deckhengst zugleich sein?

Das gibt es, aber dann muss er charakterlich sehr gut sein.

Damit er mit diesen beiden Rollen umgehen kann?

Wenn ein Hengst normal deckt und eine Stute sieht, dann ist er meistens schon ein wenig im Schuss, auch wenn diese nicht ganz rossig ist. Und die Geschlechter sind ja überall zusammen, hier beim Abreiten (zeigt in die Halle) und im Stall. Aber es gibt tatsächlich Hengste, die das hinkriegen.

Sie haben vorhin vom Problem der vielen Hengste gesprochen. Ist das allein ein Problem des sozialen Gefüges in den Stallungen?

Der Hengst, und ich spreche da nicht von den braven, ist normalerweise in seiner Umgebung gefährlicher als eine Stute oder ein Wallach. Weil er teilweise durchdreht, auf die Hinterbeine geht und dergleichen. Wir hatten gerade eben zwei solche hier in der Halle. Für den Veranstalter gibt das Probleme: Er muss schauen, dass er gewisse Boxen separieren kann, was dann wiederum den Pflegern vielleicht nicht passt, weil ihre Tiere nicht zusammen stehen.



Pferde schauen aus ihrer Box im Vorfeld des CSI Basel in den aufgebauten Zelten neben der St. Jakobshalle in Basel am Mittwoch, 7. Januar 2015. Der CSI Basel findet vom 8. bis 11. Januar 2015 statt. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

So geordnet geht es in den Stallungen nicht immer zu und her – gerade wenn Hengste im Spiel sind. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)

Im Wettkampf muss es aber für den Veranstalter wunderbar sein, wenn ein Hengst während des Parcours auf die Hinterbeine geht. Das gibt schliesslich wunderbare Bilder.

Wenn er das im Parcours macht, dann ist das Ungehorsam. Und es ist ja nicht ein Zirkus. Das kann er beim Knie machen.

Faszinieren Sie die Pferdenummern im Zirkus eigentlich noch?

Ja, als Tierarzt habe ich auch für die Knies einiges gemacht. Das ist eine schöne Arbeit.

Wir sehen hier sehr grosse Tiere. Muss ein Springpferd zwingend gross sein?

Nein, es gibt auch ganz berühmte Springpferde, die sehr klein waren. Es muss zusammenpassen mit dem Reiter, keinen Sinn macht es, dass jemand auf einem kleinen Pferd fast die Beine am Boden hat.

Apropos Boden: Wie schätzen Sie diesen hier in Basel ein?

Der ist gut, das sehen Sie sofort. Wenn die Pferde ausrutschen bei Wendungen beispielsweise, dann müssen Sie beim Boden etwas unternehmen. Es kann im schlimmsten Fall auch zu gesundheitlichen Problemen bei den Pferden kommen, wenn der Boden nicht stimmt.

Ist die Wahl des Bodens eine Gratwanderung zwischen der sportlichen Leistung und der Gesundheit der Tiere?

Ja. Heute sind wir zum Glück so weit, dass der Bodenbau eine ganze Industrie geworden ist. Gegenüber den Anfängen hat man unheimliche Fortschritte gemacht.

Fortschritte gab es auch in anderen Bereichen. Arbeiten die Reiter zum Beispiel mit Pferdepsychologen?

Das gibt es. Allerdings bin ich der Meinung, dass es während der Wettkampftage wenig bringt. In der Vorbereitung hilft es aber sicher. Wenn der Reiter schwierige Tiere hat, die beispielsweise das Wasser scheuen. In der Vorbereitung kann ein Tierpsychologe sicher sehr Gutes bewirken, jedes Tier ist schliesslich ein Individuum.

Machen das ausschliesslich ausgebildete Tierpsychologen?

Das sind die richtigen, würde ich meinen. Zu denjenigen, die die Hand auflegen, möchte ich mich nicht äussern. Davon gibt es wahrscheinlich auch welche.

CSI Basel, 8.–11. Januar 2015, St. Jakobshalle 

Programm und Resultate
(» zu den detaillierten Resultaten)

Donnerstag
Profis
Die Goldene Trommel von Basel. Int. Springprüfung mit Stechen (1.55 m). CSI5*. Sieger: Gregory Wathelet (BEL) auf Conrad de Hus
Int. Springprüfung nach Fehlern und Zeit (1.45 m). CSI5*. Sieger: Olivier Philippaerts (BEL) auf King de Papignies Z
Int. Springprüfung nach Fehlern und Zeit (1.40 m). CSI5*. Sieger: Werner Muff (SUI) auf Gertje vh Scheefkasteel
Amateure
Int. Springprüfung nach Fehlern und Zeit (1.30 m). Siegerin: Iris Gautschi (SUI) auf Naiade d’Auvers
Int. Springprüfung nach Fehlern und Zeit (Hindernishöhe: 1.20 m). Siegerin: Stephanie Breitenstein (SUI) auf Louisiana B

Freitag
Profis
Int. Springprüfung mit Stechen (1.55 m). CSI5*.
Int. Punktespringprüfung mit 2 Jokern (1.50 m). CSI5*.
Int. Springprüfung nach Fehlern und Zeit (1.45 m). CSI5*.
Amateure
Int. Zwei-Phasen-Springprüfung (1.30 m).
Int. Zwei-Phasen-Springprüfung (1.20 m).

Samstag
Profis
Int. Springprüfung mit Stechen (1.50 m). CSI5*.
Int. Zeitspringprüfung (1.45 m). CSI5*.
Amateure

Amateurfinal. Int. Springprüfung mit Stechen (1.35 m).
Int. Springprüfung mit Stechen (1.30 m).
Int. Springprüfung mit Stechen (1.20 m).

Sonntag, nur Profis
Grand Prix. Int. Springprüfung mit 2 Umläufen (1.60 m). CSI5*.
Int. Springprüfung nach Fehlern und Zeit (1.45 m). CSI5*.

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