In einer für afrikanische Verhältnisse gewohnt schwierigen Gemengelage versucht Volker Finke (66) aus der Nationalmannschaft Kameruns jene Einheit zu formen, mit der er an der WM in einer Gruppe mit Gastgeber Brasilien, Mexiko und Kroatien bestehen kann. Und die Erwartungen in Kamerun gehen darüber hinaus.
Den Plan, seine Trainerkarriere mit einem letzten «grossen Ding» abzurunden, verfolgt Volker Finke schon seit einigen Jahren, aber dass das Ding so gross werden würde, hat dann doch sogar ihn überrascht. Finke hat die Chance, als Nationaltrainer Kameruns zu einem gefeierten Mann in Westafrika und auf dem ganzen Planeten bekannt zu werden. Denn die «unzähmbaren Löwen», die er seit gut einem Jahr trainiert, sind nicht irgendein WM-Teilnehmer. Die Mannschaft wurde in die spannende Gruppe mit Gastgeber Brasilien gelost.
Was auch immer die WM für Volker Finke und Kamerun bringt: In der nächsten Saison wird er zum festen Bestandteil des Expertenkreises werden, mit dem das Schweizer Fernsehen SRF seine Fussballübertragungen bestückt. Für den in TV-Pension geschickten Gilbert Gress wird Finke im Tandem mit Benjamin Huggel die Champions-League-Abende begleiten. Finke war schon einmal fest bestallt beim SRF als Experte während der Euro 2008.
Doch solche Überlegungen gefallen dem Mann, der 16 Jahre lang den SC Freiburg trainierte, gar nicht. Über sein eigenes Befinden hat er noch nie gerne gesprochen. Wenn man den 66-Jährigen fragt, ob er stolz sei, eine Weltmeisterschaft als Trainer zu erleben, spricht er von einer «unheimlich spannenden Geschichte», und seiner «Schwäche für den afrikanischen Fussball». Nicht ohne zu erwähnen, dass er noch nie ein Freund von journalistisch aufbereiteten Emotionalisierungen gewesen ist.
Das Übliche: eine Boykottdrohung
Finke will über den Sport sprechen, wobei auch das nicht ganz einfach ist in diesem Fall. Denn der Fussball auf dem Schwarzen Kontinent ist eine komplizierte Angelegenheit. Rund um die grossen Nationalmannschaften herrschen unübersichtliche Interessenkonstellationen.
Fast schon ein Ritual ist in Kamerun der auch diesmal schwelende Streit der Spieler mit dem Verband über die Prämien für die WM-Qualifikation, nach Informationen von «L’Equipe» drohten die Profis um den derzeit angeschlagenen Wortführer Samuel Eto’o sogar mit einem Boykott des Testspiels gegen Deutschland am Sonntagabend in Mönchengladbach.
Medien in Kamerun berichteten, dass die Nationalspieler für die WM-Qualifikation umgerechnet 182’000 Euro verlangen und dass sie auch das nachgebesserte Angebot der Regierung von 68’000 Euro abgelehnt haben sollen.
Die Erwartung lautet: Endspiel
Es läuft also immer noch vieles schief, öffentlich sprechen kann und will man als Funktionsträger wie Volker Finke über all diese Dinge aber nicht. Ständig droht die Gefahr, jemanden zu verärgern oder gar zu verletzen. Und der Sinn für eine realistische Selbsteinschätzung ist auch nicht besonders ausgeprägt in Kamerun.
«Im Grunde ist die Erwartungshaltung, dass wir ins Endspiel kommen», fasst Finke die Stimmung zwischen Maroua im Norden und Kribi im Süden zusammen. In seiner Neujahrsansprache hat Staatschef Paul Biya erklärt: «Liebe unbezähmbare Löwen, (…) wir wünschen uns, dass Ihr euren glorreichen Vorgängern von der WM in Spanien 1982 und der WM 1990 in Italien folgen könnt. Verzückt uns noch einmal.»
Von Details seiner Tätigkeit, die sich zum Teil in der Hauptstadt Yaoundé, in seinem Büro in Freiburg im Breisgau oder beim Besuch von Partien der über den europäischen Kontinent verstreuten Profis abspielt, möchte Finke in den Medien lieber nichts lesen. Er hat vor, irgendwann ein Buch über seine Erlebnisse in Afrika und auch seine Chaos-Zeit als Sportdirektor beim 1. FC Köln zu schreiben, einige Textpassagen gibt es schon.
Die WM 2010 – ein Desaster, angeführt von Eto’o
Aber jetzt ist erstmal WM, und auf die stimmen sich die Kameruner in einem Trainingslager in Kufstein ein, das mit dem Länderspiel gegen Deutschland endet. Unterstützt wird Finke dabei von Ibrahim Tanko, einem Ghanaer und ehemaligen Profi in Dortmund und Freiburg, der ihn auch schon beim Abstecher nach Japan begleitete. Ausserdem hat Finke sich von seinem früheren Club in Freiburg den Physiotherapeuten Uwe Vetter ausgeliehen.
Vor allem, sagt Finke, sei es in dieser Phase der Vorbereitung darum gegangen «eine Einheit zu formen, die zusammenhält, in der alle etwas zur Gemeinschaft beitragen.» Der Auftritt bei der Weltmeisterschaft vor vier Jahren, dem grossen Turnier auf dem eigenen Kontinent, dessen Gesicht Kameruns Superstar Samuel Eto’o hätte werden sollen, war in einem Desaster geeendet, weil die zerrüttete Mannschaft nie als Kollektiv funktioniert hatte.
Wie sich Volker Finke im August 2013 den Fragen bei Okabo-TV (okabol.com) stellte:
«Wenn jeder nur daran denkt, dass er unbedingt sich selbst zeigen will, dass genau er der beste Spieler Kameruns ist, dann ist das nicht mehr mannnschaftsdienlich», erinnert sich Stürmer Eric-Maxim Choupo-Moting, der in der vergangenen Saison für Mainz 05 spielte, «aber seitdem Finke da ist, hat sich das gebessert.»
Das Übliche: Stammesrivalitäten und Egoismen
Die Hauptursache für die Konflikte, die in ähnlicher Form auch immer wieder in Teams wie der Elfenbeinküste, Nigeria oder dem Senegal aufflammen, ist der Umstand, dass die Nationalspieler häufig die Versorger und der Stolz von Grossfamilien oder gleich von ganzen Stämmen sind. Wenn diese Fussballer bei ihren Clubs in Europa auf der Bank sitzen, ist das nicht so tragisch. Wenn sie aber im Nationalteam nicht zur ersten Elf gehören, leidet häufig das soziale Ansehen der gesamten Verwandtschaft.
Das erschwert es den Spielern, eigene Interessen zurückzustellen. Und Finkes Credo, mit dem er Kamerun trainiert, lautet: «Ich unterstütze jeden. Ich versuche die Individualisten zu ermutigen, aber dahinter muss das große Motiv stehen, dem Kollektiv dienen zu wollen. Man darf ein Individualist sein, aber kein Egozentriker.»
Nach der missratenen WM 2010 mit drei Vorrundenniederlagen und – noch demütigender – zwei verpassten Afrika-Cup-Endrunden gelang unter Finke immerhin sportlich eine Wende. Seit Finke im Mai 2013 die «unbezähmbaren Löwen» zu zähmen versucht, gewinnt die Mannschaft, wenn es darauf ankommt. «Er versucht einen Mix hezustellen zwischen deutscher Mentalität und der kamerunischen Lockerheit und der Kultur dort», sagt Choupo-Moting, «man kann die Kameruner nicht völlig ändern, das weiss er ganz gut.»
Volker Finke, von Ikone Roger Milla als inkompetent bezeichnet
Dabei waren die Grundvoraussetzungen für das «grosse Ding» alles andere als günstig. Es gab einen Konflikt Finkes mit Superstar Eto’o, der zwischenzeitlich (mal wieder) aus dem Team zurücktrat. Die nationale Fussballikone Roger Milla beschimpfte den Deutschen als «inkompetent», und der Verband war für einige Wochen aufgrund von politischer Einflussnahme von der Fifa suspendiert worden. Der Verbandspräsident landete im Gefängnis, aber seit dem 4:1 in den Playoffs gegen Tunesien, mit dem das Team sich für Brasilien qualifizierte, ist vieles einfacher, und Samuel Eto’o sagt sogar: «Wir können es bis in die Halbfinals schaffen.»
Das ist angesichts der schwierigen Gruppe mit Brasilien, Mexiko und Kroatien ein ziemlich optimistisches Ziel, aber die Vorbereitung läuft ganz gut bislang. Mazedonien wurde mit Choupo-Moting im Sturm und dem Schalker Joel Matip in der Viererkette nach einer guten Leistung mit 2:0 besiegt. Und am Donnerstagabend traf Choupo-Moting erneut bei der 1:2-Niederlage in Kufstein gegen Paraguay, Bei den Südamerikanern kam der neu vom FC Basel verpflichtete Derlis Gonzales die erste Halbzeit zum Einsatz.
Der in Deutschland aufgewachsene Choupo-Moting könnte eine tragende Rolle in Brasilien spielen, da neben Eto’o auch der von Finke hoch geschätzte Stürmer Pierre Webo (Fenerbahce) angeschlagen ist. «Wir können im Trainingslager nach unseren Vorstellungen arbeiten, und wollen die Vorrunde überstehen, das ist sicher», sagt Finke allen Unkenrufen zum Trotz. Er trotz den Hürden Spass gefunden an seinem letzten grossen Ding, «und wir sind ja nicht zum Urlaub machen in Brasilien».
Torhüter: Charles Itandje (Torku Konyaspor), Ndy Assembe (EA Guingamp), Sammy Ndjock (Fethiyespor), Loic Feudjou (Coton Sport)
Verteidiger: Allan Nyom (CF Granada), Dany Nounkeu (Besiktas Istanbul), Cedric Djeugoue (Coton Sport), Aurelien Chedjou (Galatasaray Istanbul), Nicolas Nkoulou (Olympique Marseille), Armel Kana-Biyik (Stades Rennes), Henri Bedimo (Olympique Lyon), Benoit Assou-Ekotto (Quens Park Rangers), Gaetang Bong (Olympiakos Piräus)
Mittelfeldspieler: Eyong Enoh (Antalyaspor), Jean II Makoun (Stades Rennes), Joel Matip (Schalke 04), Stephane Mbia (FC Sevilla), Landry Nguemo (Girondins Bordeaux), Alexandre Song (FC Barcelona), Cedric Loe (CA Osasuna), Edgar Sally (RC Lens)
Angreifer: Samuel Eto’o (FC Chelsea), Maxim Choupo-Moting (Mainz 05), Benjamin Moukandjo (AS Nancy), Vincent Aboubakar (FC Lorient, Achille Webo (Fenerbahce Istanbul), Mohamadou Idrissou (1. FC Kaiserslautern), Fabrice Olinga (Zulte Waregem)