2008 konnte Viswanathan Anand dem damals 16-jährigen Emporkömmling Magnus Carlsen noch eine Lektion erteilen. Beim jüngsten Duell im Juni dieses Jahres war es umkehrt. Eine Analyse dieser beiden Spiele zum Start der Schach-Weltmeisterschaft.
Der letzte Vergleich zwischen den beiden Rivalen um die Schach-Krone verheisst nichts Gutes für Weltmeister Viswanathan Anand. Beim Tal-Memorial Mitte Juni in Moskau nahm Magnus Carlsen den Inder nach einer ausgeglichen verlaufenden Eröffnungsphase schnell auseinander.
Weiss: Carlsen Schwarz: Anand
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 Lb4 4.e3 0–0 5.Sge2 d5 6.a3 Le7 7.cxd5 Sxd5 exd5 ist eigentlich gängiger. Topleute wie Anand bevorzugen aber offenbar das Schlagen mit dem Springer.
8.Ld2 Sd7 Sxc3 9.Lxc3 b6 spielte Anand 2004 auf Mallorca gegen Lewon Aronjan.
9.g3 Da der Läufer nur durch einen ungünstigen Springerzug von e2 weg ins Spiel kommt, entscheidet sich Carlsen für ein Fianchetto. b6 Schwarz hält auf der langen Diagonalen dagegen. S5b6 10.Lg2 und 9…S5f6 10.Lg2 jeweils mit dem schwarzen Bauernvorstoss nach e5 kamen auch bereits in der Grossmeister-Praxis vor.
10.Sxd5 exd5 11.Lg2 Lb7 12.Lb4! Programme plädieren ebenso für diesen Zug, der den schwarzfeldrigen Läufer abtauschen soll. Anand kann nun zwar dem Rivalen einen Doppelbauern verpassen, doch der ist eher lästig, weil er Vorstösse nach c5 und a5 erschwert. Sf6 c5 13.dxc5 bxc5 14.Lc3 beschert dem Nachziehenden zunächst Raumvorteil. Doch die hängenden Bauern können sich als angreifbar entpuppen.
13.0–0 Te8 14.Tc1 c6 15.Lxe7 Txe7 16.Te1 Dd6 17.Sf4 Die Stellung dürfte marginal günstiger für Carlsen sein. Viel hat er aber nicht aus der Eröffnung herausgeholt – doch das ist meistens der Fall, bevor er anfängt, den Gegner zu überspielen. Lc8 Anand möchte den «Grossbauern» aktiver postieren.
18.Da4 Tc7 19.f3! Nimmt dem Läufer die Perspektiven am Königsflügel. Le6 Lf5? entpuppt sich bereits als Fehler: 20.e4 b5 (dxe4 21.fxe4 Ld7 22.e5 kostet bereits eine Figur) 21.Dd1 dxe4 22.fxe4 Lg4 23.e5 Dd7 24.Dd3 Se8 25.h3 Lf5 26.De3 mit schrecklicher schwarzer Stellung. Td8 27.g4 Le6 28.Sxe6 fxe6 29.Ted1 a6 30.Dc3 Tdc8 31.Dc5 g6 32.Tf1 Sg7 33.Tf6 Dd8 34.Tcf1 De7 35.Db6 und Weiss steht auf Gewinn.
20.e4! dxe4? Schwarz sollte eher auf den Abtausch verzichten. So wird der Läufer auf g2 aktiviert, und der d-Bauern kann auch bei Gelegenheit vormarschieren. Passives Ausharren mittels Dd7 dürfte zäher sein: 21.Sxe6 Dxe6 22.e5 Se8 mit nur etwas Vorteil für Carlsen.
21.fxe4 Dd7?! Allein b5 verhindert den Zusammenbruch. Allerdings ist 22.Db4! Dxb4 23.axb4 Tac8 24.Tc3 Lg4 25.Tec1 wenig erbaulich. Die schwarze Position steht ebenfalls kurz vor dem Kollaps.
22.d5! cxd5 23.Dxd7 Txd7 24.Sxe6 fxe6
Diagramm 1
25.Lh3! Die Pointe der Abwicklung. Nicht d5, sondern e6 erweist sich als wunder Punkt in der schwarzen Stellung. Kh8 Te7 26.exd5 Sxd5 scheitert an 27.Lxe6+ Kf8 28.Lxd5. Bei 25…Te8 26.exd5 hat Anand wieder das Problem, dass er trotz dreier Schlagmöglichkeiten nicht auf d5 zugreifen darf: Tdd8 27.Lxe6+ Kh8 28.Ted1 mit weissem Mehrbauern.
26.e5 Sg8 27.Lxe6 Tdd8? Te7 verteidigt sich hartnäckiger: 28.Lxd5 Td8 29.La2 g6 30.Tcd1 Txd1 31.Txd1 Kg7 32.e6 Sf6 Carlsen hat aber auch bei dieser Fortsetzung Gewinnchancen.
28.Tc7 d4?!
29.Ld7
Diagramm 2
1:0. Anand gab die hoffnungslose Partie auf: Der e-Bauer kann nicht mehr vernünftig aufgehalten werden. Ein Beispiel: Se7 30.Td1 Sg6 31.e6 Kg8 32.e7 Sxe7 33.Le6+ Kf8 (Kh8 34.Txe7) 34.Tf1+ Ke8 35.Lf7+ Kf8 36.Lc4+ Ke8 37.Lb5+.
Die Lektion für den Kronprinzen
Beim Schnellschach-Mekka in Mainz 2008 hatte hatte der Blitzdenker Anand in der Vorrunde schon Mühe mit dem aufstrebenden 16-jährigen Magnus Carlsen. Der Norweger rang ihm in den Partien mit weniger als 30 Minuten Bedenkzeit zwei Remis ab. Erst im Endspiel erteilte der Inder seinem Kronprinzen zwei Lektionen. Die erste Partie entschied der Inder durch eine prächtige Eröffnungsvorbereitung mit dem Computer, auf die der Weltmeister auch jetzt in Chennai setzen muss. Dadurch war der Grundstein für einen leichten 3:1-Sieg gelegt.
Weiss: Anand Sschwarz: Carlsen
1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 g6 6.Le3 Lg7 7.f3 Sc6 8.Dd2 0–0 9.Lc4 Ld7 10.Lb3 Tc8 11.0–0–0 Se5 12.Kb1 a6 Te8 wurde von Carlsen auch schon versucht und ist beliebter als die Partiefortsetzung. Mit dem Turmzug vermeidet Schwarz den Läuferabtausch nach Lh6, wonach Lh8 folgt.
13.h4 h5 14.g4 In der Vorrunde vertraute Anand noch auf 14.Lh6 Sc4 15.Lxc4 Txc4 16.Lxg7 Kxg7 17.The1 Te8N 18.Sde2 Da5 19.Sf4 Tec8 20.Scd5 Dxd2 21.Txd2 Sxd5 22.Sxd5 Te8 23.Sb6 Tc7 24.e5 Le6 25.exd6 Tc6! und Schwarz hatte keine Probleme im Endspiel. hxg4 15.h5 Sxh5
16.Tdg1! Diese Verbesserung bereitete Anand vor, nachdem der Kubaner Leinier Dominguez vier Tage zuvor noch 16.Lh6 gegen Carlsen gezogen hatte. «Ich habe diesen Zug bei meiner Analyse der Partie nicht bedacht, aber Magnus, der diese Variante dreimal in der Woche spielt, sollte mehr Motivation haben, diesen Zug zu finden», scherzte der ukrainische Grossmeister Michail Golubew in der Online-Schachzeitung «Chess Today». Da5
17.Lh6 Txc3? Das verliert umgehend. Lf6!? ist eine Alternative. 18.fxg4 (18.Lxf8 Kxf8 19.fxg4 Lxg4 20.Dh6+ Lg7 21.De3 verspricht Weiss nicht viel) Lxg4 19.Df2 Txc3!? 20.Ld2 Tfc8 mit unklarer Stellung, weil 21.Lxc3? wegen des zweiten Qualitätsopfers Txc3! 22.bxc3 Dxc3 verliert. Der schwarzfeldrige Läufer auf f6 beherrscht das Geschehen in Verbindung mit der Dame, die ein Matt auf b2 latent in der Luft hängen lässt.
18.Lxg7!+- Kxg7 19.Txh5! Der K.o.-Schlag, der die Königsstellung öffnet. Txb3 gxh5? 20.Dg5+ Kh7 (Sg6 21.Dxa5) 21.Dxh5+ Kg7 22.Dg5+ Kh7 23.Th1 matt.
Diagramm 3 neu
20.Dxa5? Anand lässt sich vom Damengewinn blenden. Schneller gewinnt 20.Dh6+! Kf6 21.Dg5+ Kg7 22.Sxb3 Dd8 23.Tgh1 Tg8 24.Th7+ Kf8 25.Dh6+ Ke8 26.Th8 Txh8 27.Dxh8 matt. Txb2+! 21.Ka1 21.Kxb2 Sc4+ 22.Kb1 Sxa5 23.Txa5 e5 erweist sich wegen der schwarzen Bauernmasse als schwächer, auch wenn Weiss einen Turm mehr hat. gxh5 22.f4 Le6 23.Sxe6+ fxe6 24.fxe5 Tb5
Diagramm 4
Der erfindungsreiche Carlsen hält die Stellung trotz der Dame weniger am Leben.
25.Dc7 Txe5 26.Dxe7+ Tf7 27.Dxd6 Txe4 28.Th1! Anand muss energisch spielen. Erlaubt sich Weiss Nachlässigkeiten, baut Schwarz womöglich eine Festung mit den Türmen und den Bauern auf – oder noch schlimmer: g- und h-Bauer marschieren nach vorne und drohen sich umzuwandeln. Tf5
29.De7+ Kg6 30.De8+ Kg7?! Ein unverständlicher Zug, den Carlsen sofort aus dem Handgelenk spielte. Nach Kh6 wirkt der weisse Gewinnplan noch nicht ganz so offensichtlich: 31.Dh8+ Kg6 32.Dg8+ Kf6 33.Dh7 Tee5 34.Dxb7 a5.
31.Td1? Gegen 31.Txh5 spricht nichts. Td5? Tf7 erweist sich als zäher.
32.Txd5 exd5 33.Dxh5 b5 34.Dg5+ Kh7 35.Dxd5 Ta4 36.Dg5 Tc4 37.Kb2 Tb4+ 38.Kc1 Ta4 Obwohl die Partie schon fast 25 Züge lang verloren ist, zögert Carlsen das Ende weiter hinaus! Für eine Festung müsste der schwarze Monarch jedoch nach b6 gelangen. Dann hätte sich der Traum vom Remis verwirklichen lassen.
39.a3 Tc4 Txa3?? 40.De7+ Kg6 41.Dxa3. 40.Kd2 Td4+ 41.Ke1 Ta4 42.Kf1 Tc4 43.Kg1 Tc6 44.Dd5 Tg6 45.a4! bxa4 46.Dd7+ Kh6 47.Dxa4 Kg5 48.c4 Kf5 49.c5 Ke5 50.Dd7
Diagramm 5
Der c-Bauer marschiert durch, weshalb Carlsen die Waffen streckte. 1:0.
Die kürzeste Partie der Geschichte dauerte drei Züge.
Bei der theoretisch längsten Partie wären rein rechnerisch 5899 Züge möglich. Dieses Spiel würde umgerechnet etwa 100 Stunden dauern.
Tatsächlich zog sich das bislang längste Schachduell mit Unterbrechungen über 20 Stunden. Die Kontrahenten benötigten vor 24 Jahren 269 Züge, bevor sie die Partie schließlich mit einem Remis beendeten.
Die sich am längsten hinziehende Fernschachpartie dauerte 16 Jahre.
Das grösste Schachproblem lautet: Matt in 290 Zügen. Das kürzeste Matt, also Schach und Matt, wird auch als Narrenmatt bezeichnet. Es beendet die Partie etwa durch die folgende Zugkombination bereits nach zwei Zügen:
1. Zug: Weiß: f2 – f3; Schwarz: e7 – e5
2. Zug: g2 – g4; D d8 – h4 #
Beim Narrenmatt setzt Schwarz Weiß matt, obwohl Weiß den Vorteil des ersten Zuges hat. Allerdings muss der Verlierer zwei schlechte Züge ausführen. Da der Spieler mit den weißen Figuren seinen Gegner bei dieser Variante unterstützt, spricht man auch von einem Hilfsmatt. (Quelle: Schwäbische Zeitung)