Vom Zauderer zum Stanimal

Wieder war es ein epischer Match – und diesmal behielt Stanislas Wawrinka die Oberhand über Novak Djokovic. Der Schweizer hat nun bei den Australian Open die Chance, eine historische Veränderung herbeizuführen.

Stanislas Wawrinka of Switzerland celebrates after defeating Novak Djokovic of Serbia in their quarterfinal at the Australian Open tennis championship in Melbourne, Australia, Tuesday, Jan. 21, 2014.(AP Photo/Rick Rycroft) (Bild: Keystone/RICK RYCROFT)

Wieder war es ein epischer Match – und diesmal behielt Stanislas Wawrinka die Oberhand über Novak Djokovic. Der Schweizer hat nun bei den Australian Open die Chance, eine historische Veränderung herbeizuführen.

Am Ende meisterte Stanislas Wawrinka auch noch die letzte Herausforderung in dieser aufwühlenden Grand-Slam-Nacht von Melbourne. Von Krämpfen durchzuckt, von der Erschöpfung gezeichnet, stand der unwahrscheinliche Triumphator nach 240 intensiven Minuten auch noch Interviewer Jim Courier Rede und Antwort in der Rod-Laver-Arena. «Unheimlich erleichtert» sei er, sagte Wawrinka, der Riesentöter von Melbourne, der 2:6, 6:4, 6:2, 3:6, 9:7-Viertelfinal-Bezwinger von Titelverteidiger Novak Djokovic, «ich bin jetzt wirklich, wirklich, wirklich glücklich.»

Federer gegen Murray
am Mittwoch ab 9.00 Uhr

Roger Federers Viertelfinal gegen den Schotten Andy Murray  steigt am Mittwoch ab 9.00 Uhr MEZ in der Rod-Laver-Arena von Melbourne (SRF 2 live).

» Tableaus der Australian Open

Dreimal sprach er es aus, das Wort «wirklich», als könne man wirklich und ernsthaft an seiner tiefen Befriedigung und Genugtuung in diesem schönsten aller Momente seiner Profikarriere zweifeln.

Was lange währte in der Laufbahn des 28-jährigen Romand, wurde an diesem 21. Januar richtig gut: Wie die Vollendung eines langen, komplizierten und heiklen Anlaufs, die eigenen grossen Talente auf den bedeutenden Bühnen des Tennis umzusetzen, wirkte das Happy-End in diesem neuerlichen Fünf-Satz-Drama gegen Djokovic, einen der absoluten Marktführer der Tennisszene.

Das Endspiel ist nicht utopisch

Wawrinka, einst der grosse Zauderer und Zögerer, der Chancentod, der Hyper-Nervöse, der Mann ohne Durchschlagskraft in den entscheidenden Momenten, ist, so scheint es, ein für alle Mal bei den Grossen und Starken angekommen. Und nun auch willens und bereit, in Melbourne noch weiter für positiven Aufruhr und Turbulenzen in der Tennis-Hierarchie zu sorgen, mit einem Halbfinalsieg gegen den Tschechen Tomas Berdych am Donnerstag zunächst, vielleicht aber sogar noch ein weiteres Mal in einem keinesfalls utopischen Endspielauftritt am Sonntag.

«Stan hat sich das alles reiflich verdient», gab Landsmann und Turnier-Rivale Roger Federer zu Protokoll. Schneidet Federer bei diesen Australian Open nicht besser ab als Wawrinka (Federer spielt am Mittwoch, ab 9 Uhr MEZ, im Viertelfinale gegen Andy Murray), könnte es sogar zu einer historischen Veränderung in der nationalen Machtbalance kommen. In diesem Falle nämlich würde Wawrinka erstmals als Schweizer Nummer eins in der neuen, nächsten Montag veröffentlichten Weltrangliste grüssen.

Bitter für Djokovic und Becker

Den frischen Allierten Boris Becker und Novak Djokovic fügte der Mann, den sie in Tenniskreisen inzwischen auch «Stanimal» nennen, also ein Tier von einem Wettkämpfer, am Dienstag jedenfalls eine äusserst schmerzliche Niederlage zu. Wobei die tragikomische Pointe nach exakt vier Stunden Djokovic ausgerechnet mit einem völlig verunglückten Volleyball am Netz setzte, also mit einem Schlag, der früher zum Meisterrepertoire von Becker gehört hatte.

«Es ist schon bitter, dass dieses Turnier für uns beide so endet», sagte Djokovic, «aber wir haben sicher noch viel Grosses vor uns.» Knapp ein Jahr nach einer 10:12-Niederlage im fünften Achtelfinal-Satz gegen Djokovic triumphierte mit Wawrinka nun aber der Mann, der längst nicht mehr «der andere Schweizer» oder der «Schattenmann hinter Federer» ist. Sondern einer, der neben Djokovic und Nadal ja schon der stärkste Spieler der zweiten Saisonhälfte 2013 gewesen war.

Der wertvollste Sieg

Zwei Mal hatte der 28-jährige Wawrinka den «Djoker» in epischen Fünf-Satz-Schlachten zuletzt am Rand einer Niederlage gehabt, auch bei den US Open im letzten Sommer, ehe er nun den wertvollsten Sieg seiner spät auf volle Touren gekommenen Laufbahn feierte.

Im High-Noon-Tennis gegen Wawrinka mitten in der Nacht, in der vollgepackten Laver-Arena, war Hattrick-Gewinner Djokovic (2011 bis 2013) tatsächlich nur der zweitbeste Spieler – und somit auch der unübersehbar verdiente Verlierer. «Ich habe mein ganzes Herz in das Match geworfen, aber es reichte nicht», meinte Djokovic.

In dem hochwertigen, mitreissenden Zweikampf, dem bisher besten Spiel der laufenden Australian Open, konnte der Serbe tun und lassen, was er wollte: Der Mann, der ihm auf der anderen Seite des Netzes gegenüberstand, dieser eisenharte Bursche Wawrinka, war in seinem unbedingten Siegesehrgeiz und –drang nicht zu stoppen. Selbst ein 2:1-Breakvorsprung des Belgraders im fünften und letzten Akt schmolz mit dem 2:2-Rebreak Wawrinkas sofort wieder hinweg – es war auch ein Signal des Schweizers an den Rivalen, dass er, Wawrinka, weiter hartnäckig an den Erfolg glaubte.

Wawrinkas angestachelter Ehrgeiz

Wawrinkas Beharrlichkeit in diesem kritischen Moment kam nicht von ungefähr, sie war und ist das Produkt der in den letzten Monaten schwer und hart erlangten Gewissheit, jederzeit und überall mit den Superstars des Tennis mithalten zu können. Schliesslich war Djokovic so sehr unter Druck gesetzt von «Stan, the Man», dass er nervlich einbrach – mit zwei leichten Fehlern zum 7:9.

Wawrinka Ehrgeiz war mitnichten gestillt nach dem Coup auf dem Centre Court, nach dem ersten Halbfinaleinzug in Melbourne. Sondern angestachelt: «Meine Mission hier, die ist noch nicht zu Ende», sagte er. Kaputt, aber glücklich. Und das wirklich, wirklich, wirklich.

Wie Stanislas Wawrinka regeneriert:

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