Österreichs Nationalheld, der 1976 Bernhard Russi den Olympiasieg in der Abfahrt wegschnappte, feiert seinen 60. Geburtstag. Und das Land feiert mit.
Kaiser hin, Kaiser her. «Der Gastgeber hat die Pflicht», sagt Franz Klammer, «beim Zusammenräumen zu helfen und das Lokal als Letzter zu verlassen.» Und so wird es Klammer, den sie in Österreich einen Kaiser nennen, auch am Samstag halten, wenn er in Bad Kleinkirchheim in Kärnten seinen eigentlich bereits am 3. Dezember, also heute, fälligen 60. Geburtstag begeht.
Das unvermeidliche Legendenrennen wird in die unvermeidliche Nachbesprechung münden. Hochleben werden sie ihn lassen, spät wird es werden. Aber Klammer wird durchhalten, ihm wird auch diesbezüglich eine gewisse Kondition nachgesagt.
Schon in den vergangenen Tagen hat Österreich sozusagen geklammert, was das Zeug hielt. Der ORF zeigte am Sonntagabend eine Klammer-Dokumentation, und der grosse Skifahrer selbst hat in diversen Interviews nicht nur seine Siegesfahrt in der Olympia-Abfahrt 1976 in Erinnerung gerufen, sondern sich vor allem bei seiner Familie bedankt. «Die hat mich seinerzeit immer ganz genau gleich empfangen, egal ob ich gewonnen hab, oder ob es mich zerbröselt hat. Wahrscheinlich bin ich deshalb immer auf dem Boden geblieben.»
Als Vorbild sieht sich Franz Klammer nicht
Schon vor zehn Jahren, zu Klammers Fünfzigstem, war das Brimborium ein ähnliches. Auch damals galt es zwei etwa 25 Sekunden lange Riesentorläufe zu absolvieren, und es ging nicht um Bestzeiten, sondern darum, im zweiten Lauf möglichst nahe an die erste Zeit heranzukommen.
Einer der vielen Gäste war der US-Amerikaner Bill Johnson, Olympiasieger 1984, ihn verbindet mit Klammer besonders viel. Johnson war 2001 bei einem Hobbyrennen ins Koma gestürzt, er musste das Reden, das Gehen und das Skifahren erst wieder lernen. Dabei wurde er von der «Franz Klammer Foundation» nach Kräften unterstützt.
Sie waren die grossen Kontrahenten ihrer Zeit auf den Abfahrtspisten dieser Welt. Im November 2011 erzählten sie im Schweizer Fernsehen davon.
Klammers Stiftung hilft Unfallopfern des Sports und benachteiligten Jugendlichen, er hat sie auch im Sinne seines Bruders Klaus gegründet, der 17-jährig in einem Rennen so schwer zu Sturz kam, dass er seither querschnittgelähmt ist. «Klaus meistert sein Leben bestens, er ist Steuerberater», sagt Klammer und fügt hinzu: «Solche Menschen sind die wahren Vorbilder.»
Sich selbst, obwohl er olympisches Gold sowie 25 weitere Abfahrtssiege und fünfmal den Abfahrtsweltcup gewann, würde Klammer nicht als Vorbild bezeichnen. Eher schon als «Schmähbruder». Und natürlich wird der Schmäh, auf gut Österreichisch, auch am Samstag wieder laufen.
Christian Neureuther hat Klammer vorab schon gepriesen: «Der Franz war immer ein grosser Gegner. Der hat das deutsche Mädchen-Team praktisch abgegrast.» Oder Roland Collombin: «Der Franz ist der grösste Abfahrer aller Zeiten – nach mir.» Oder Erik Haker: «Es gibt viele Geschichten. Aber die kann man leider nicht erzählen.»
Der wilde Hund mit dem gewinnenden Wesen
Franz Klammer ist eine der beiden österreichischen Sport-Ikonen schlechthin – ihm ist der eine Sieg zu verdanken, der für das Selbstbewusstsein der Alpenrepublik so wichtig war und ist, jener am 5. Februar 1976 am Patscherkofel in Innsbruck. Für den anderen Sieg zeichnete Hans Krankl verantwortlich, diesen Sieg feierten Österreichs Fussballer bei der WM 1978 in Cordoba, Argentinien, gegen Deutschland.
Natürlich gab es auch Niki Lauda, Thomas Muster und Hermann Maier. Doch Krankls 3:2 und Klammers Bestzeit (1:45,73 Minuten), mit der er den Schweizer Bernhard Russi um 0,33 Sekunden auf Platz 2 verwies, sind die Höhepunkte der rotweissroten Sportgeschichte.
Freilich war es nicht der Erfolg allein, der Klammer einen Platz in den Herzen der Österreicher sicherte. Es war sein – in doppelter Hinsicht – gewinnendes Wesen, es war seine Spitzbübigkeit, sein Lächeln. Der renommierte Wiener Soziologe Roland Girtler hat den Ski-Rennfahrer einmal generell «einen wilden Hund» genannt und ihn mit dem Wilderer und dem Räuberhauptmann verglichen.
«Sie alle sind oft sympathisch, stammen aus ärmlichen Verhältnissen, treten mit aller Kraft für etwas ein. Sport hat schon etwas mit Kampf zu tun, da wie dort setzt man sich grossen Gefahren aus, das gefällt den Menschen.» Klammers Vorname «Kaiser» kommt laut Girtler aber nicht von ungefähr. «Kaiser ist eine Position, die der kleine Mann nie erreichen kann. Zum Kaiser blickt er auf.»
«It’s a great pleasure for you to meet me»
Freilich blickt Franz Klammer auf niemanden herunter, er ist, wie die Österreicher sagen, «einer von uns geblieben». Dazu beigetragen haben viele Geschichten, die auch in Bad Kleinkirchheim wieder aufzuwärmen sind. Der frühere «Zwischenzeit-Weltmeister» Werner Grissmann könnte dabei wieder einmal das grosse Wort führen, manche Dinge ändern sich schliesslich nie.
Gerne gibt Grissmann zum Besten, wie Klammer seinerzeit einen englischen Satz auswendig lernte, weil die Skifahrer zu einer Audienz bei der belgischen Königin Fabiola geladen waren. «Steht der Franz vor der Königin», erzählt Grissmann, «und sagt doch tatsächlich: Your royal highness, it’s a great pleasure for you to meet me.»
Klammer ist ein unpolitischer Typ, hat diesbezüglich mit seiner Meinung stets hinter dem Berg gehalten, sich nie aus dem Fenster gelehnt. Bei Klammers Fünfziger schaute Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider, der fünf Jahre später tödlich verunglücken sollte, nur kurz vorbei und hängte dem Jubilar den Kärntner Landesorden in Gold um.
Klammer rührt, obwohl seit vielen Jahren gemeinsam mit seiner Frau Eva in Wien wohnhaft, für Bad Kleinkirchheim und Kärnten immer wieder, wo auch immer, die Werbetrommel. Auch er selbst lebt von Promotion besser als früher von Preisgeldern, amerikanische Firmen oder arabische Prinzen lassen es sich nach wie vor vierstellige Euro-Summen kosten, um mit Klammer einen Tag Ski zu fahren oder Golf zu spielen. «Ich bin», sagt Franz Klammer, «von Beruf Franz Klammer.» Kaiser hin, Kaiser her.