Von eiskalt zu lauwarm

Nach zwei Siegen muss man ernsthaft damit rechnen, dass sich die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft für die WM 2014 qualifiziert. Eine kleine Bestandsaufnahme.

Zwei Weitschüsse, ein Zufall und ein Penalty (hier Gökhan Inler gegen Albanien) – das reichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft zu zwei Siegen. (Bild: freshfocus/Valeriano Di Domenico)

Nach zwei Siegen muss man ernsthaft damit rechnen, dass sich die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft für die WM 2014 qualifiziert. Eine kleine Bestandsaufnahme.

Die neue Zusammenarbeit zwischen Ottmar Hitzfeld und Ringier hat schon mal gut angefangen. Der «Blick» zeigte Freitag vor einer Woche einen Copacabana-Hintern im String-Tanga und verkündete sinngemäss: «Da wollen wir hin.» Brasilien und die WM 2014 sind das Ziel, und wenn der neue Lohnschreiber und Repräsentant der Sportredaktion das nicht hinbekommt, dann wird es «kalt». Und zwar «eiskalt». So hat das Blatt gedroht.

Darauf kann Ottmar Hitzfeld ja bei der nächsten Redaktionssitzung zurückkommen. Vorerst steckt er diese Warnung weg, so wie er zwei unterkühlte 2:0-Siege der Schweizer Nationalmannschaft ohne Wimpernzucken zur Buchhaltung gegeben hat.

Zwei Siege zum Start einer Quali­fikation, das hat es für die Schweiz seit 18 Jahren nicht mehr gegeben. Jubel, Trubel, Heiterkeit also allenthalben? Nicht ganz. Noch ist nicht klar, was zu halten ist von dieser Mannschaft und der Stimmung, die um sie herum herrscht. Immerhin: Solidarisch wirken die Spieler auf dem Feld. Das ist schon mal was, nachdem Schweizer Nationalteams in der Vergangenheit gerne in Grüppchen zerfielen. Der Basler Tisch aber ist vorerst hochgeklappt. Und wo mehr Profis mit kosovarischen Wurzeln auflaufen als Romands, ist das Wort Röstigraben knapp vom Hörensagen her bekannt.

Eine Aufregung wie im Kita

Geblieben ist die Lust des Boulevards, das Tagesgeschäft der Nati mitzubestimmen. Zwar hat Hitzfeld keine Kampagne zu befürchten, wie sie Schnauzträger Artur Jorge vor der EM 1996 erlebte, als im «Blick» lustige Bärte zum Ausschneiden abgedruckt und der Portugiese zum Abschuss freigegeben wurde. Aber wehe, ein Spieler bewegt nicht seine Lippen, wenn die Nationalhymne erklingt. Da herrscht gleich eine Aufregung, wie wenn in der Kinderkrippe die Kekse ungleich verteilt werden

Sollte es dereinst knapp werden mit der WM-Qualifikation, muss sowieso wieder eine Sau durchs Dorf getrieben werden. Wen es wohl trifft? Den Trainer mit seinem Beratermandat eher nicht. Und Alex Frei fällt seit seinem Rücktritt als Sündenbock auch weg. Möglich, dass die nächste Kam­pagne wegen zu guter Resultate noch etwas auf sich warten lässt.

Vielleicht ist diese Qualifi­­ka­­tions­­gruppe nämlich noch schwächer als jene vor vier Jahren mit Griechenland, Lettland, Israel, Luxemburg und Moldawien. Es sieht jedenfalls schwer danach aus: Nach zwei Durchgängen haben alle Mannschaften schon mindestens einmal verloren, die Slowenen sogar zweimal und nur die Schweiz steht unbefleckt da. Mal abgesehen vom unappetitlichen neuen Nebenjob des Nationaltrainers. Die gefürchteten Norweger verlieren gleich mal auf Island und gewinnen bloss dank einem Elfmetergeschenk das zweite Spiel gegen Slowenien. Blieben als Angstgegner eigentlich noch die Zyprioten, wenn die nicht gegen biedere Albaner verloren hätten.

Verändert hat sich – eigentlich nichts

Verändert hat sich demgegenüber im Schweizer Auftreten seit den spielerischen Tiefpunkten gegen Wales und Montenegro in der zurückliegenden EM-Ausscheidung eigentlich – nichts. Bis auf die Resultate natürlich. Es ist nüchterner Fussball, der geboten wird, Ergebnisfussball, wie ihn der Resultatstrainer Hitzfeld mit Borussia Dortmund und Bayern München während seines glanzvollen Clubkarriere vor­geführt hat. Inspiration sucht man da vergebens, Fussball wird gearbeitet.

Für die vier Tore gegen Slowenien und Albanien benötigte die Schweiz zirka fünf Chancen, genauer: zwei Weitschüsse, einen Zufall und einen Penalty. Das ergibt unterm Strich: «Selbstvertrauen», sagt Goalie Diego Benaglio, «das wir nun mitnehmen müssen.»

Bloss wohin? Und was wird aus diesem Selbstvertrauen werden? Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka jedenfalls werden gute Schienbeinscho­ner bitter nötig haben. Denn dass das Schweizer Offensivkonzept praktisch deckungsgleich mit ihrer individuellen Klasse ist, haben schon Slowenen und Albaner durchschaut – und mit entsprechend kerniger Gangart darauf reagiert.

Kalt, eiskalt ist dank den zwei Siegen bislang bloss der Eisspray, der ihre Blessuren lindert. Brasilianische Hitze aber verströmt das Team noch nicht. Auf dem Weg an die Copacabana ist die Temperatur bei lauwarm angelangt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12

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