Ein zäher Test war es, bei dem sich das Publikum in Luzern selbst aus der Narkose holt, um zu erleben, wie der zunächst geschonte Xherdan Shaqiri in den Schlussminuten den Unterschied ausmacht beim 2:0 (0:0) gegen Peru. Ein Fazit des ersten Teils der Schweizer WM-Vorbereitung.
Es ist ein grosser Schweizer Langmut, der die Nationalmannschaft in Richtung Brasilien trägt. Vier Tage nach einem mehr oder weniger belanglosen Spiel gegen Jamaika mit einem Tor in der Schlussphase gegen die Nummer 81 des Weltrankings, ging auch der letzte Test gegen Peru den Weg vieler Freundschaftsspiele. Es passierte – so gut wie nichts. In der ausverkauften Swissporarena dudelte eine Guggemusik penetrant vor sich hin, und das genügsame Publikum holte sich dann und wann selbst mit einer La-Ola-Welle aus der Narkose.
Wenn das der WM-Modus ist, auf den Ottmar Hitzfeld seine Auswahl am Dienstagabend in Luzern umschalten wollte, dann heisst das fürs Turnier: 75 Minuten gepflegte Langweile. Und dann hilft der liebe Gott oder Xherdan Shaqiri.
Es war eine Vorsichtsmassnahme, dass der Ex-Basler nicht von Beginn an spielte. Nach drei Muskelverletzungen in der zurückliegenden Saison habe sich Shaqiri, so schildert es Ottmar Hitzfeld, «nicht sicher gefühlt» und der Nationaltrainer wollte kein Risiko eingehen. Das ist unbedingt nachvollziehbar, denn auch die 90 Minuten gegen Peru, die Fifa-Nummer 42, verdeutlichten, in welchem Masse angewiesen diese Nationalmannschaft auf Shaqiri ist.
Shaqiri macht den Unterschied
In der 64. Minute eingewechselt für seinen ehemaligen Clubkollegen Granit Xhaka war es Shaqiri, der die Lücke fand. Das ist kein Wunder, denn er war es mit dem FC Basel gewohnt, gegen Betonwände anzurennen, und das geht ihm mit Bayern München nicht anders. Sein Diagonalpass durch die vielbeinige Abwehr der Südamerikaner öffnete in der 78. Minute den Raum. Zuvor war keiner der Schweizer Aufbauer in der Lage gewesen, einen solchen präzisen und überraschenden Pass zu spielen.
Eigentlich war schon nach drei Minuten die Luft raus, zumindest aus dem Ball, der ausgetauscht werden musste. Mit Ausnahme einer knackigen Balleroberung Valentin Stockers und einem schönen, aber letztlich gestoppten Zusammenspiels mit Admir Mehmedi waren die Schweizer 77 Minuten lang nicht in der Lage gewesen, vor dem Tor nennenswert gefährlich zu werden. Und dass gegen ein Peru, das mit einer B-Auswahl ohne seine Stars aufgekreuzt war und mit eiserner Disziplin in der Defensive sowie ein paar schnellen Kontern Hitzfelds uninspirierter Elf das Leben schwer machte.
Lichtsteiners grundsätzliche Kritik
Bis Shaqiri kam und der erlösende Treffer. Ein Aussenverteidigertor. Ricardo Rodriguez schlug eine weite, hohe Flanke, auf der im Fachjargon Juni-Schnee lag, und Stephan Lichtsteiner machte mit gütiger Mithilfe seines kleiner gewachsenen Gegenspielers ein nicht unhaltbar erscheinendes Tor, sein fünftes im 63. Länderspiel.
Der Routinier freute sich zwar darüber, das man wieder ohne Gegentor geblieben ist, sah aber auch Flüchtigkeitsfehler und übte grundsätzliche Kritik: «Wir sind zwischen Abwehr und Angriff zu weit auseinander gestanden. Für uns Aussenverteidiger bedeutet das lange Wege, 80 Meter hin und zurück. Wir müssen geschlossener sein, das kann in Brasilien viel ausmachen.» Sein Fazit: «Wir sind noch nicht soweit, wie wir uns das vorgestellt haben.»
Hitzfelds Abschied vom Schweizer Publikum
Aber die Schweiz hat einen Shaqiri, der für einmal «ein fantastischer Joker» war, wie Hitzfeld mit einem strahlenden Lächeln sagte. Natürlich weiss er, dass bei seiner letzten grossen Mission viel vom Wohl und Weh und vom Oberschenkel Shaqiris abhängen wird. Wenn nicht alles. Wie der kleine Wirbelwind in der 84. Minute einen fein getimten langen Ball von Gökhan Inler im vollen Lauf verarbeitete und zwischen den Hosenträgern des peruanischen Schlussmanns mit dem schönen Namen George Patrick Forsyth Sommer zum 2:0 durchsteckte, war ein weiteres Muster seiner Klasse.
Die 15’000 Nationalmannschaftsfans applaudierten zum Schluss höflich, aber auch nicht mehr, die Guggemusik dudelte und Hitzfeld verabschiedete sich – ohne grosse Gesten – in seinem 1034. Spiel als Trainer vom Schweizer Publikum, nicht weit von dem Ort entfernt, in Zug, wo 1983 diese aussergewöhnlich erfolgreiche Trainerkarriere begonnen hat. Und die mit dem letzten Spiel der Schweiz in Brasilien ihr Ende finden wird.
Xhaka oder Mehmedi?
Auch wenn das Peru-Spiel eine zähe Angelegenheit war, so sieht der Trainer die intensiven Trainingstage von Weggis gut genutzt: «Wir sind auf dem richtigen Weg.» Was der Mannschaft im letzten Test an Spritzigkeit abgegangen ist, sei, so Hitzfeld, im Trainingsaufbau bis zum WM-Startspiel am 15. Juni erst nach Ankunft im Basis-Quartier in Porto Seguro auf dem Plan.
Hitzfeld wird die Zeit bis zum Abflug nach Brasilien am späten Freitagabend für einen Familienbesuch und eine Runde Golf («Um den Kopf frei zu bekommen») nutzen. In taktischer und personeller Hinsicht wird sich nicht mehr viel verändern. Die Startelf steht, und als einzige Variante scheint derzeit Admir Mehmedi anstelle von Granit Xhaka denkbar zu sein. Gegen Peru gehörten beide neben Josip Drmic und Valentin Stocker zu den vier Offensiven in Hitzfelds Gerüst. Diese vier dürfen sich vorne austoben, sie rochieren viel ohne dabei einem erkennbaren Masterplan zu folgen.
Für Mehmedi spricht die Form nach einer guten Saison in Freiburg, für ihn spricht seine Beweglichkeit, sein Radius und vor allem seine Aggressivität, wenn es darum geht, den Ball zurück zu erobern. Für Xhaka spricht, dass Hitzfeld gerne auf Bewährtes setzt, und Xhaka war ihm ein wertvoller Gehilfe auf dem Weg zu dieser WM. Gegen Xhaka spricht, dass er im Nationalteam auf einer Position eingesetzt wird, die er im Club nie spielt.
Ohne grosse Euphorie, aber mit Selbstvertrauen
Immerhin ist der Nationaltrainer fürs Erste frei von Verletzungssorgen, und sollte dies bis zum Turnierstart so bleiben, ist dieser Schweizer Nationalmannschaft alles zutrauen: dass sie ebenso kläglich scheitert wie vor vier Jahren, oder dass sie die Achtelfinals, das erklärte Ziel, erreicht.
Die ganz grosse Euphorie begleitet die Mannschaft nicht nach Brasilien, dafür ist ihr Stil zu nüchtern, aber das Selbstvertrauen, eine gefestigte, eine stabile Einheit zu verkörpern, das nimmt sie mit. Und eines darf man nicht vergessen: Die souveräne Qualifikation ist der Schweiz in einer Gruppe gelungen, die ein Geschenk des Himmels war. Und kommt einem bisweilen die WM-Vorrunde mit Ecuador (15. Juni), Frankreich (20. Juni) und Honduras (25. Juni) nicht auch ein bisschen so vor?
––
Brasilien im Fokus: Die TagesWoche widmet sich die kommenden Tage dem Gastgeber der Weltmeisterschaft 2014 – eine Übersicht der Artikel liefert das Dossier zum Thema.