Er sieht aus, als könne er Knochen brechen. Dabei gilt Walter Samuel eher als schüchtern. Der 36-jährige entstammt einer Fussballergeneration, die von José Pekerman geprägt wurde: gross auf dem Platz, ernsthaft im Leben. Beim FC Basel klingt die schillernde Karriere des Vorzeige-Innenverteidigers nun aus.
Angefangen hat alles auf den Bolzplätzen des Dorfes Firmat in der argentinischen Provinz. Dort kickte Anfang der Neunzigerjahre ein Junge, der wenig sprach und den seine Mitspieler bei seinem Vornamen Walter riefen. Knapp 18’000 Menschen lebten damals in Firmat, die Fussballplätze waren hart und staubig, die Tore aus Holzlatten, und die Partien wurden erst abgebrochen, wenn die Sonne unterging.
Für Walter waren die Bolzplätze nicht nur eine Sportstätte, sie waren seine Lebensschule. Bald schon spielte er beim lokalen Club Atlético Argentino de Firmat und gab am 16. Juni 1996 sein Erstligadebüt: für den legendären Club Newell’s Old Boys aus der nahegelegenen Provinzhauptstadt Rosario. Die Partie gegen Banfield endete 1:1, und der junge Mann aus Santa Fe spielte fortan als Amateur, ohne Profivertrag und erhielt ein Preisgeld pro Einsatz. Walter bestritt diese Zeit noch mit seinem Geburtsnamen: Walter Luján. Doch davon später.
Inzwischen ist Walter Samuel 36 Jahre alt, 18 Profijahre liegen hinter ihm. Der FC Basel dürfte seine letzte Station sein. Wenn er auch langsamer geworden ist, mit Samuel kommt ein Spieler an den Rhein, der im Weltfussball unendlich viel erlebt hat. Sechsmal italienischer Meister, einmal Champions League gewonnen, einmal Club-Weltmeister, einmal Südamerikameister, an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen, U-20-Weltmeister, 56 Einsätze als Nationalspieler.
Die Schule der seriösen Innenverteidiger
Es kommt nun einer zum FC Basel, der einstmals der edelsten Generation von argentinischen Nachwuchskickern angehört hat, angeleitet vom Fussballlehrer José Pekerman, jüngst bei der Weltmeisterschaft in Brasilien Trainer Kolumbiens. Und es kommt einer aus der Schule der seriösen argentinischen Innenverteidiger, die meist übersehen werden, weil Diego Maradona und Lionel Messi, Gabriel Batistuta und Hernán Crespo auf (und neben) dem Platz mehr Wirbel veranstalten.
Dabei sorgten Roberto Ayala, Nicolás Burdisso, Gabriel Milito früher und Ezequiel Garay heute im eigenen Strafraum unaufgeregt für Ordnung. Sie sind extrem unangenehme Gegenspieler und disziplinierte Fussballarbeiter. Wie Walter Samuel. Ein Typ, der aussieht, als könne er Knochen durchtreten und dabei eher schüchtern ist. Er spielt hart, setzt seinen wuchtigen Körper ein – und hat in seiner Karriere trotzdem nur zweimal die rote Karte (dazu zweimal Gelb-Rot) gesehen – erstaunlich für einen Spieler auf seiner Position.
Pekerman – das heisst gross auf dem Platz und ernsthaft im Leben.
Samuel zählte während seiner Zeit bei der AS Roma (2000 bis 2004) wohl zu den besten Innenverteidigern der Welt, in Fabio Capellos 3-5-2-System war er eine der Stützen. Nach schweren Verletzungen und einem enttäuschenden Jahr bei Real Madrid schaffte er es bei Inter Mailand (2005 bis 2014) ein zweites Mal auf Weltklasseniveau.
Quelle: transfermarkt.ch/wikipedia | ||||
Die Karriere des Walter Samuel | ||||
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Wettbewerb | Einsätze | Tore | Gelbe Karten | Rot/Gelb-Rot |
Primera Division Argentinien | 119 | 4 | ? | ? |
Serie A Italien | 292 | 23 | 77 | 2 x Rot |
Primera Division Spanien | 30 | 2 | 13 | 2 x Gelb-Rot |
Champions League | 68 | 3 | 22 | — |
Südamerika Kontinental-Wettbewerbe | 26 | 1 | ? | ? |
Europa League, CL/EL-Qualifikation | 20 | 1 | 4 | — |
Länderspiele Argentinien | 56 | 5 | ? | ? |
Walter Samuels wichtigste Titel: 2010 Champions League (Inter Mailand), 1997 U20-Weltmeister, 6 mal Italienischer Meister (AS Roma, 5 mal mit Inter Mailand), 2 mal argentinischer Meister und Copa Libertadores (Boca Juniors) |
Unter José Mourinho wurde er 2010 italienischer Meister, holte er die Copa Italia und gewann die Champions League. Walter Samuel übte zusammen mit dem Brasilianer Lucio in der Abwehrzentrale so etwas wie die absolute Luftraumkontrolle aus. Der Argentinier passte perfekt in Mourinhos Konzept: Er ist schnell, hat ein fast fehlerfreies Stellungsspiel und antizipiert genau. Und dazu eine Autorität auf dem Platz und in der Kabine. Der frühere Roma-Präsident Franco Sensi soll einmal gesagt haben: «Walter hat einen Magneten. Dort wo er hingeht, kommt der Ball hin.» Die Fans der Roma gaben ihm den Namen «il muro», die Wand.
Die Einführung in modernen Fussball
Trotz seiner für einen Innenverteidiger überschaubaren 1,83 Metern Körpergrösse ist Walter Samuel ein Garant für den Luftkampf. Er hat Sprungkraft und Timing – ebenso wie Roberto Ayala, der mit 1,75 Meter noch kleiner ist. Mit 17 Toren in neun Dienstjahren bei Inter Mailand ist Samuel kein Torjäger. Aber wenn es darauf ankommt, ist er zur Stelle.
So beim 4:3-Sieg von Inter gegen Siena im Januar 2010: Samuel wird in er Nachspielzeit an der gegnerischen Strafraumkante von Mittelstürmer Diego Milito angespielt, läuft allein auf den Torwart zu und schiesst ins rechte untere Eck ein – wie sonst Milito.
Innenverteidiger war Walter Samuel von Beginn an, aber ausgebildet wurde er als Jugendnationalspieler von José Pekerman. Pekerman bedeutet: gross auf dem Platz und ernsthaft im Leben. Ein Jahr nach dem Erstliga-Debüt wurde Samuel 1997 in Malaysia U-20-Weltmeister.
Pekerman nennen sie den Professor. Ruhig, seriös, fleissig. Als Jugendtrainer war er ein Phänomen. Für ihn bedeutet Fussball Ballbesitz, hohes Pressing, schnelles Umschalten. Scharen von jungen Spielern gab er das, was sie in ihren Clubs in Argentinien oft nicht lernen: eine Einführung in den modernen Fussball.
Samuel stand als Innenverteidiger bei Pekerman sehr weit vom eigenen Tor entfernt. Die Laufleistung von Pekermans Mannschaften ist enorm. Und wenn sie funktionieren, erinnert ihr Spiel in den besten Momenten an Ballett: Jeder weiss immer, was der andere tut. In Malaysia waren damals neben Samuel noch Esteban Cambiasso, Juan Román Riquelme, Pablo Aimar dabei. 2001 wurde Pekerman wieder U-20-Weltmeister. Aus seinen Teams gingen Spieler wie Juan Pablo Sorín, Maxi Rodriguez, Andrés d’Allessandro oder Javier Saviola hervor.
Der Talismann Walter Samuel
Das Jahr 1997 ist nicht nur das Jahr, in dem Samuel U-20-Weltmeister wurde. Es ist auch das Jahr, in dem aus Walter Luján Walter Samuel wurde. Seinen leiblichen Vater hat er nie kennengelernt, aufgewachsen ist er mit seiner Mutter Gladys und deren Lebensgefährten Oscar Samuel. Als er volljährig war, nahm er den Nachnamen des Mannes an, der ihn seit seinem vierten Lebensjahr begleitet hat.
Über die Geschichte mit dem Nachnamen spricht er nicht gerne. «So war das und fertig», sagte er einmal, «ich bin stolz darauf, dass ich es getan habe.» Als Samuel nach Rom ging, zogen seine Mutter und Oscar nach. Auch die beiden Schwestern kamen mit und gingen in eine Schule, in der auf Spanisch unterrichtet wurde.
In Rom entdeckten sie dann noch eine weitere Eigenschaft von Samuel: Er ist ein Talisman. Nachdem er von den Boca Juniors aus Buenos Aires im Jahr 2000 nach Italien gekommen war, wurde die Roma in seiner ersten Saison nach 18 Jahren zum ersten Mal wieder italienischer Meister. In vier Jahren hat die Mannschaft in acht Spielen gegen den Lokalrivalen Lazio nicht einmal verloren.
Später bei Inter Mailand, verloren die Blau-Schwarzen nur ein einziges Mal gegen den Stadtrivalen AC Milan. Während Samuels einjähriger Spielzeit bei Real Madrid ging ebenfalls keine Partie an Atletico. Samuel ist eine Wand – gerade in den wichtigen Spielen.
Es ist, wie FCB-Sportdirektor Georg Heitz schildert, stets das gleiche: Ein Spieler wird von irgendjemandem angeboten, und die Transferverantwortlichen prüfen die Seriösität der Anfrage. Walter Samuel wurde dem FC Basel im Frühjahr ein erstes Mal angetragen, aber dass ein Spieler seines Formats nach Basel kommen wollte – das hielt man zunächst für reichlich unrealistisch. Bis vor zwei Wochen eine zweite Anfrage kam.
Dann ging es schnell. Trainer Paulo Sousa traf sich persönlich mit dem Champions-League-Sieger von 2010, lotete dessen mögliche Rolle im Team aus, besprach die Erwartungen des Spielers, was Einsatzzeiten anbelangt. Und dann war der Weg frei für die Verpflichtung für vorerst ein Jahr.
Walter Samuel, der in Italien viele Millionen verdient hat, macht finanzielle Abstriche und somit seine Gage passend fürs Basler Lohngefüge. Er soll nicht einmal zu den Topverdienern gehören. Die Zukunft für den Club bedeutet ein 36-jähriger Verteidiger auch nicht – aber mit seiner riesigen Erfahrung soll er den Jungen ein Beispiel geben. (cok)