Das Selbstvertrauen erodiert, im Angriff harmlos und in der Verteidigung anfällig – wie die Erfolgstruppe von Jürgen Klopp in den Abstiegskampf trudelte. Eine Analyse.
Jahrelang personifizierte Jürgen Klopp den dynamischen Fortschritt von Borussia Dortmund. Zurzeit aber muss sich der zweimalige Meistertrainer (2011/2012) auch Fragen nach einem eventuellen Rücktritt gefallen lassen. Die Eigendynamik des Misserfolgs hat die Mannschaft, die Klopp zu einer deutschen und europäischen Grösse geformt hat, und ihren Anführer in Sphären katapultiert, die für den Spitzenclub von gestern terra incognita und eine existentielle Herausforderung bedeuten.
Das Dortmunder Restprogramm bis Weihnachten: 5.12 Hoffenheim (h), 12.12. Hertha (a),
17.12. Wolfsburg (h), 20.12. Werder (a)
Der BVB Letzter, das erlebte der Verein zuletzt am 18. August 2007. Damals aber war gerade mal der zweite Spieltag einer Saison vorbei, an deren Ende die Westfalen Tabellen-Dreizehnte waren. Nach dem 0:2 in Frankfurt am Sonntag war schon die dreizehnte Runde vorbei – da muss man schon 29 Jahre zurückgehen, um Vergleichbares zu finden. Mit ähnlich niederschmetterndem Befund: dass sich die stolzen Borussen als Achtzehnte endgültig neu orientieren müssen.
«Wir sind mitten im Abstiegskampf angekommen», konstatierte Sportdirektor Michael Zorc, «spätestens jetzt ist Schluss damit, die Abstände zu den Champions-League-Plätzen auszurechnen.»
Klopp: «Ich kann ja gar nicht gehen»
Klopp, der das momentane Elend in Schwarz-Gelb gerade stehen muss, wird trotzdem nicht den Veh machen und sich wie sein Kollege, der den VfB Stuttgart vor einer Woche aus eigenem Antrieb verliess, verabschieden. «Ich habe hier die Verantwortung», sagte er nach der bittersten der bisher acht Niederlagen in der Meisterschaft, «und solange keiner kommt und sagt, dass sie einen haben, der es besser macht, kann ich ja gar nicht gehen.»
Sie haben keinen beim BVB, und sie wollen auch keinen anderen als Klopp haben, der nun vor der schweren Aufgabe steht, seine Mannschaft aus der Dunkelheit zurück ins Licht zu führen. Die harte Prüfung, die auf ihn und seine Spieler ab sofort zukommt, duldet keine Ausreden mehr. Schliesslich ist der BVB kein Zufallsletzter, sondern mittlerweile ein Team, dem das Selbstvertrauen in die eigenen Qualitäten mehr und mehr abhandengekommen ist.
Gegentore aus dem Kuriositätenkabinett
Symptomatisch dafür waren die beiden Frankfurter Treffer am Sonntag. Aus einem Befreiungsschlag von Russ machte Alexander Meier, mit acht Treffern der derzeit beste Liga-Torschütze, das 1:0 (5. Minute), weil es in dem Moment, als es passierte, keine Dortmunder Torabsicherung gab; aus einem slapstickhaft anmutenden Missverständnis der beiden Weltmeister Ginter und Weidenfeller (der eine war zu weit aus seinem Tor herausgelaufen, der andere köpfelte den Ball am Torwart vorbei) erzielte Seferovic das 2:0 (78.).
Klopp, der dem Verhängnis fast reglos aus der Coaching-Zone zusah, sagte danach: «Die erste Möglichkeit des Gegners ist fast immer ein Tor; das 2:0 passt in unser Kuriositätenkabinett.»
Es krankt vorne wie hinten
Was läuft da chronisch schief und warum überhaupt? Um ganz vorn zu beginnen: Die Borussia, die es in dieser Saison auf immerhin schon 85 Torchancen brachte (6,5 pro Spiel) trifft viel zu selten. 14 Treffer, das ist nach dem Hamburger SV, dem 1. FC Köln und Hannover 96 der viertschlechteste Wert der Liga.
Er kennzeichnet zum einen, dass der Abgang von Stürmerstar Robert Lewandowski, der im Vorjahr als Meisterschütze des Tabellenzweiten die Torjäger-Kanone eroberte, nicht zu kompensieren war; er deutet aber auch auf die Verkrampfung einer vom Gipfel ins Tal gestürzten Mannschaft, denen die neuen Angreifer Immobile (kam für 20 Millionen Euro als Torschützenkönig der Serie A vom FC Turin) und Ramos (von Hertha BSC für 9 Millionen Euro erworben) noch nicht weiterhalfen.
Die vermeintlichen Mittelfeldzauberer Shinji Kagawa (für acht Millionen Euro von Manchester United zurückgeholt) und Henrich Mchitarjan hängen aus Angst vor Fehlern bei allem unbestrittenen Eifer seit längerem durch. Da der beste Dortmunder Spieler, Marco Reus, nach Tritten grober Gegenspieler mehrmals in dieser Saison verletzungsbedingt wie derzeit passen muss, fehlt Klopp der Mann für die Knalleffekte.
Tiefer können sie nicht mehr sinken
Aber auch die Dortmunder Abwehr krankt. Torhüter Weidenfeller ist weit von seiner Bestform entfernt wie auch die Aussenverteidiger Piszczek und Durm. Der für zehn Millionen Euro vom SC Freiburg verpflichtete Innenverteidiger Ginter wirkt in diesem Ensemble der verunsicherten Stars noch immer sehr scheu; Neven Subotic, sein Nebenmann in Frankfurt, ist nach seinem Kreuzbandriss längst nicht auf der Höhe seiner Möglichkeiten; Weltmeister Mats Hummels schlägt sich in dieser Spielzeit mehr mit seinen Blessuren und Malaisen als mit irgendwelchen Gegenspielern auf dem Platz herum.
Der vielseitige Kämpfertyp Grosskreutz ist momentan auch kein Impulsgeber für das Dortmunder Spiel. Im Mittelfeld fassen die lange verletzten Gündogan und Sahin gerade erst wieder Fuss, so dass derzeit allein die defensiven Mittelfeldspieler Kehl und Bender als verlässliche Grössen des BVB einzuschätzen sind.
So gerät auch ein vermeintlich topbesetztes Ensemble wie das von Borussia Dortmund unter unglücklichen Umständen schon mal in die Bredouille. Tiefer können sie während dieser Saison nun nicht mehr sinken beim achtmaligen deutschen Meister mit Blickkontakt zur zweiten Liga.
Das A und O und das X vor dem U
Eine Gelegenheit, von ganz unten wieder nach oben aufzubrechen? Der unermüdliche Sven Bender sagt dazu: «Selbstzweifel sind fehl am Platz. Der Mut muss da sein. Wir können alle kicken, können alle kämpfen. Wir müssen das auf den Platz bringen. Das ist das A und O.»
Sollten sich die Borussen nicht länger ein X für ein U vormachen, besteht nach wie vor die Chance, bis Weihnachten wegzukommen aus dem gefährlichsten Krisengebiet der Liga und im neuen Jahr vieles viel, viel besser zu machen.