Die Debatte über die gerechte Lohnverteilung scheint Künstler und Sportler nicht zu berühren. Dabei wären sie von einer Annahme der 1:12-Initiative auch betroffen.
Wir haben dem Internet viel zu verdanken. Es zeigt uns die Menschen, wie sie wirklich sind. Es lässt uns in Abgründe blicken. Diese Woche war wieder so ein Tag, der Tag vor dem Champions-League-Halbfinale zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid, der Tag, an dem der Wechsel von Mittelfeldspieler Mario Götze von Dortmund nach Bayern München bekannt wurde. Auf der offiziellen Facebook-Seite von Götze gab es innert Minuten das bunteste Potpourri aus Fluchwörtern und Beschimpfungen deutscher Sprache zu lesen. Auffällig dabei war, dass das Gier-Argument – Götze hat bisher 4,3 Millionen Euro pro Jahr verdient, in Zukunft werden es bei den Bayern bis zu 15 Millionen sein – nie im Vordergrund stand. Die Fan-Basis in Dortmund stört sich mehr an der aus ihrer Sicht mangelnden Vereinstreue von Götze und wünscht ihm darum die ausgefallensten Verletzungen an den Hals (und die Beine natürlich).
«Millionarios»
Diese Beobachtung ist typisch für die Fussballszene. Zwar beschimpfen die Fans von Mittelfeld-Mannschaften ihre besser dotierten Gegner gern als «Millionarios», sehen dabei aber über die Millionengehälter im eigenen Klub hinweg.
Warum entfacht sich in der Schweiz und anderswo eine Debatte über die gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Wirtschaftswelt? Und warum wird dabei die Welt des Sports und der Unterhaltung aussen vor gelassen?
«Wollen Sie testen, wie blöd ich bin?», fragt der ehemalige Nationalspieler Andy Egli zurück. «Es sind die Emotionen! Das ist doch einfach! Wen interessiert es denn, wenn per Mausclick Milliarden verschoben werden in der Wirtschaft? Genau niemand».
Josef Zindel, der Medienchef des FC Basel, argumentiert auch mit dem Unterhaltungswert des Sports. «Es sind vor allem die Fans, die sich nicht daran stören», sagt Zindel. «Wenn 30’000 Menschen ins Joggeli kommen und gut unterhalten werden, ist es denen, salopp gesagt, egal, wieviel die Spieler verdienen.»
Ähnlich sieht es der Basler Soziologieprofessor Ueli Mäder, der als ehemaliger Spitzenhandballer und sehr passabler Hobbyfussballer eine gewisse Affinität zu Sportthemen hat. «Die Akzeptanz von Sportler-Löhnen ist so gross, weil im Sport das Leistungsprinzip gilt. Da werden Leistungen erbracht, die von den meisten auch einigermassen beurteilt werden können.»
Kommt hinzu: Sportler kann man sinnlich erleben, sie geben sich volksnah, man kann sich mit ihnen identifizieren. «Das funktioniert mit Managern nicht.» Gleichzeitig hat Mäder aber kein Verständnis für die Löhne der Fussballer. «Streller muss nicht mehr als zwölfmal so viel verdienen wie der Platzwart.»
Mehr als früher
Muss er das nicht? «Viele Leute haben auch eine falsche Vorstellung von den Fussballer-Löhnen», sagt Josef Zindel. «Wenn man fair ist, muss man einen Fussballer-Lohn immer auf ein ganzes Berufsleben rechnen – das bei einem Sportler viel kürzer als in anderen Jobs ist.» Auch stimme es nicht, dass die Spitzengehälter in den vergangenen Jahren exponentiell zugenommen hätten. Die durchschnittlichen Spieler würden zwar besser entlöhnt als noch vor zwanzig, dreissig Jahren, aber die Stars seien schon früher vergleichsweise sehr gut bezahlt worden. «Die durchschnittlichen Spieler müssen auch heute noch nach dem Ende ihrer Karriere weiter arbeiten.»
So wie Andy Egli. Er hält die hohen Gehälter im Fussball angesichts der Schuldenberge der Clubs nicht für gerechtfertigt. Gefordert seien die Club-Vorstände und vor allem: der gesunde Menschenverstand. Dieser habe in den letzten Jahren oft gefehlt.
Das Leistungsprinzip
Andy Egli ist eine Ausnahme: Innerhalb der Fussballbranche werden die hohen Löhne der Stars nur selten hinterfragt. Zu stark ist das Leistungsprinzip in den Spielern verankert. In seinem vor drei Jahren publizierten Buch «Wie Reiche denken und lenken» befragte Ueli Mäder auch den ehemaligen FCB- und Nationalspieler Benjamin Huggel, der zu diesem Zeitpunkt beim FC Basel eine geschätzte knappe Million Franken pro Jahr verdiente. Auf die Frage, ob er es okay finde, wenn einzelne Spieler so viel verdienen, antwortete Huggel: «Fussball funktioniert total nach den marktwirtschaftlichen Regeln von Angebot und Nachfrage. Es gibt in Europa vielleicht fünfzig Topstürmer, aber tausend starke Mittelfeldspieler. Da ist es halt logisch, dass die Stürmer mehr verdienen als die Mittelfeldspieler.»
In der Schweiz wären nur wenige Clubs von 1:12 betroffen.
Weniger logisch findet das SP-Nationalrat Cédric Wermuth, einer der Köpfe hinter der 1:12-Initiative. «Auch der Sport ist heute – leider – vor allem ein Business», schreibt er auf seinem Blog. Und natürlich gelte die 1:12-Formel darum auch für die Unternehmen des Sports, für die Spieler des FC Basel, für einen Grossverdiener wie Roger Federer. «Ich habe nie verstanden, warum es mehr wert sein soll, eine Filzkugel über das Netz zu schlagen als beispielsweise einen kranken Menschen zu pflegen.»
Wer ist mehr wert?
In der Schweiz wären wohl nur wenige Sportclubs direkt von der 1:12-Initiative betroffen, der FC Basel wäre sicher einer von ihnen. Die besten Spieler verdienen über eine Million Franken im Jahr, da ist das Verhältnis von 1:12 beim Medienchef wohl noch knapp gegeben (der laut eigenen Aussagen im genannten Buch von Ueli Mäder so viel wie ein Oberstufenlehrer verdient), aber sicher nicht bei der Waschfrau oder dem Platzwart.
Konkrete Gedanken über eine mögliche Umsetzung der Initiative hat man sich beim FCB aber noch nicht gemacht. «Wir halten es in diesem Fall wie die Chinesen», sagt Medienchef Zindel, «wir überlegen uns erst, wie wir über den Fluss gelangen, wenn wir am Ufer stehen.»
Die Sportler sind schuld
Dabei wäre es nichts als gerecht, wenn auch die Sportler in der Debatte um die gerechte Verteilung von Lohn und Vermögen bereits jetzt thematisiert würden. Sind sie doch laut den Autoren von «Wie Reiche lenken und denken» indirekt mitverantwortlich dafür, dass die Top-Manager in der Wirtschaft überhaupt so viele Millionen erhalten: Ein Grund für den rasanten Anstieg der Manager-Gehälter sei in der medialen Behandlung von Sportlern und Managern zu suchen. Über die Wirtschaftsführer von heute werde in einem ähnlich personalisierten Stil berichtet wie über die Fussballstars, was ihnen neben einem Bedeutungsgewinn auch mehr Lohn bringt. Dabei vereinen die Wirtschaftsführer das Beste aus zwei Welten: Sie verdienen gleich viel oder eher mehr als die Sportler und müssen – wenn sie nicht zufällig Daniel Vasella oder Brady Dougan heissen – nicht einmal einen Shitstorm überstehen, wenn sie von einem Verwaltungsrat zum nächsten wechseln.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13