Hohe Berge und menschliche Abgründe sind Thomas Theurillats (37) Lieblingsterritorien. Und auf diesen trimmt der Bergführer und Psychologe Bürolisten wie Extremathleten zu Bestform.
Abfahrern hilft Thomas Theurillat, möglichst viel Speed auf die Piste zu bringen. Ausdauer-Abenteurer Thomas Ulrich dagegen berät er, wie er seine Energie bei der geplanten 2000 Kilometer Solo-Ski-Expedition an den Nordpol am besten verwaltet. Und mit Gleitschirmpilot Chrigel Mauerer laufen soeben die Vorbereitungen an, um nächstes Jahr erneut das «X-Alps» zu gewinnen – ein 1000-Kilometer-Rennen per Pedes und Gleitschirm über den ganzen Alpenbogen von Salzburg nach Monaco. Keiner quert Bergketten schneller als das Erfolgsduo. Dreimal hat das X-Alps Team SUI1 das Ausdauerrennen gewonnen, dieses Jahr auch die Premiere des «X-Pyr», quer über die Pyrenäen vom Atlantik ans Mittelmeer.
Weltklasse-Gleiter Mauerer war auch der erste prominente Kunde von Theurillat nach Abschluss seines Psychologie-Studiums. Sein primäres Ziel ist jedoch nicht das Coachen von Spitzensportlern: «Bis jetzt haben nur Topshots wie Federer oder Vasella psychologische Hilfe beansprucht, um ihre Ziele zu erreichen. Doch heute suchen auch Normalbürger nach Möglichkeiten, ihr Potenzial voll zu entfalten.»
Er zieht eine Parallele zur physischen Trainingslehre von Sportlern, wo bis in die 70er Jahre nur die Spitze Krafttraining und Physiotherapie zur Leistungssteigerung nutzte. Dann kam Kieser mit seinen Muskelmaschinen für die Massen und machte Fitnesstraining zum Volkssport. «In der Psychologie findet nun ein ähnlicher Wandel statt, wo nicht mehr rein defizitorientiert, sondern auch auf Optimierung gearbeitet wird. Denn in unserer leistungsorientierten Gesellschaft will jeder seine Möglichkeiten ausschöpfen und sein Leben zu einem persönlichen Kunstwerk gestalten. Nur gut zu sein, reicht nicht mehr. Das ist anstrengend.»
«Vorgespräch-Tagesausflug-Schlussgespräch»
Um dieses Bedürfnis zu befriedigen, gründete Theurillat mit Bergführerkollege Markus Müller 2011 die Firma Oneday. Hier suchen sie mit der simpel klingenden Methode «Vorgespräch-Tagesausflug-Schlussgespräch» nachhaltige Lösungen für die Probleme ihrer Kunden. Theurillat: «Die Mehrheit sind Menschen zwischen 30 und 50 Jahren, die gut im Leben, aber auch dauernd unter Druck stehen.»
Das klingt mehr nach amerikanisch geprägtem Lifestyle-Luxus für die Upperclass, denn echter Lebenshilfe, doch Theurillat widerspricht: «Nur weil wir in einem reichen Land leben, wird im Tram nicht mehr gelacht als in einem Bus in Ruanda. Auch gut gebildete und situierte Personen haben reale Probleme. Etwa ein Geschäftsführer, der Mitarbeiter entlassen muss, und das nicht einfach weiterdelegiert, sondern nach einer möglichst anständigen Art dafür sucht. Und wenn eine Frau anruft, weil ihr Mann Selbstmord machen will. Da sitze ich nachher mit nassem T-Shirt im Stuhl.»
Kein Allesheiler
Alle Probleme kann Theurillat mit der Oneday-Methode nicht lösen. Sind etwa Alkohol oder Drogen im Spiel, braucht es eine längere Therapie. Auch Anfragen von Basejumpern hat Theurillat schon abgelehnt, obwohl er selbst im Springermekka Interlaken lebt und sich gerne mit Fallschirm oder im Wingsuit von den Felsen im Lauterbrunnen Tal stürzt. Theurillat: «Der Umgang mit Angst und Überwindung hat mich schon früh fasziniert.» So sprang er während seiner Schulzeit in Basel mit Freunden angeseilt von den Hafenkränen am Rhein oder bekletterte Schornsteine, Brücken und Häuser.
Einmal wurde er gar von der Polizei herunterzitiert, die ihn für einen Einbrecher hielt. Auch in den Bergen war Theurillat nicht zu stoppen: «Damals wollte ich alpin möglichst gut werden, dann alles abklappern und beweisen, dass man auch mit Baseldeutsch souverän durch die Eigernordwand klettern kann.»
Die Ausbildung zum Bergführer war die logische Folge. Heute kommt Theurillat, der dieser Tage zum zweiten Mal Vater wird, nicht mehr so oft in die Berge. «Es ist mir aber egal, dass mir ein paar 4000er im Portfolio fehlen. Was ich heute leiste, finde ich sinnvoller als Berge abgrasen.»
Die Idee, Psychologie zu studieren, kam ihm denn auch in den Bergen. «Nach einer anspruchsvollen Tour fragte ich meinen Gast, was ihm denn am besten gefallen hat und geblieben ist. Er nannte das Gespräch vor der Hütte sein Schlüsselerlebnis – dafür muss man doch nicht zehn Stunden Bruchklettern», sagt Theurillat.
Nicht zwingend in die Höhe
In die Natur muss er für seine Gespräche aber weiterhin: «Draussen ist das Ambiente einfach inspirierender. Ausserdem gehören zu einem guten Gespräch auch Pausen und die sind beim Wandern viel natürlicher und entspannter.» Je nach Fitnessstand kann das statt in den Alpen auch auf dem Bruderholz oder in den Langen Erlen stattfinden.
Anders wie als Bergführer, verantwortet Theurillat als Psychologe nicht mehr das Handeln seiner Klienten. Vielmehr coacht er sie, damit sie selbst entscheiden, wie und wohin sie wollen. Beraten hört er nicht gerne, denn «Ratschläge sind auch Schläge».
Das ist auch der Grund, weshalb das gute Gespräch unter Freunden nicht immer hilfreich ist. «Ausserdem spricht man dann oft nur über Probleme und negative Erlebnisse. Darauf sind wir seit der Schule getrimmt, wo nur die Fehler rot hervorgehoben werden.» Leider führt dies zu einer Vermeidungsstrategie, die blockiert. Theurillat sucht dagegen, was eine Person braucht, um ihre Ziele erfolgreich zu erreichen: «Die Lösung trägt jeder in sich. Die Schwierigkeit ist, an sie ranzukommen.»