Was zum Teufel ist los?

Nach dem frühzeitigen Aus von Rafael Nadal und Roger Federer in Wimbledon sind die Experten ratlos. Einst teilten sie sich das grüne Reich, nun sind sie beide enttrohnt. Den Schweizer trifft es aber noch härter.

Roger Federer of Switzerland walks off the court after being defeated by Sergiy Stakhovsky of Ukraine in their men's singles tennis match at the Wimbledon Tennis Championships, in London June 26, 2013. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - T (Bild: STEFAN WERMUTH)

Nach dem frühzeitigen Aus von Rafael Nadal und Roger Federer in Wimbledon sind die Experten ratlos. Einst teilten sie sich das grüne Reich, nun sind sie beide enttrohnt. Den Schweizer trifft es noch härter.

Am Abend dieses denkwürdigen Mittwochs meldete sich aus dem fernen Kalifornien auch noch der frühere US-Ballermann Andy Roddick zu Wort – mit einer ebenso lakonischen wie bezeichnenden Frage an die Twitter-Gemeinde:

 

Das war genau in dem Moment, als der Mann geschlagen vom Centre Court schlich, der im All England Club ein Jahrzehnt lang wie ein Sonnenkönig geherrscht hatte – Roger Federer, siebenmaliger Champion, Rasen-Flüsterer, Maestro und Magier. Und nun in der zweiten Runde entzaubert und abgefertigt in vier Centre Court-Sätzen (7:6, 6:7, 5:7, 6:7) von einem gewissen Sergej Stachowski aus der Ukraine, der Nummer 116 der Weltrangliste, bekannt bisher nur als bemühter Szene-Spassvogel. «Ich reise seit 36 Jahren im Tennis herum. Aber es gab keinen Tag, der auch annähernd so verrückt war wie der heute», sagte im BBC-Studio ein kopfschüttelnder John McEnroe, Superstar der 80er Jahre, «es ist so, als ob das hier gar nicht Wimbledon wäre.»

Ein schwarzer Tag

Und tatsächlich: Soviel Drama war nie in den Mauern des berühmtesten Tennisspektals des Planeten. Stunden der fallenden und gefallenen Stars, Verletzungs-Tragödien, sieben Aufgaben von angeschlagenen Profis, Sensationstriumphe, ein in seinen Grundfesten erschütterter Club, der sich für den Zustand seiner heiligen Rasencourts verteidigen muss – und dann noch der früheste Federer-Rausschmiss bei Grand Slam-Festspielen seit dem Frühling 2004.

Es war ein schwarzer Tag, an dem schliesslich auch nichts mehr Roger war. «Jetzt ist schon eine grosse Leere da», sagte der traurige Eidgenosse, der zuvor mit selbstverständlicher Sicherheit 36-mal hintereinander in Major-Viertelfinals eingezogen war. Doch wie im Falle seines lange Jahre kongenialen Gegenspielers Rafael Nadal, der schon am Montag körperlich angezählt in Runde eins ausgeschieden war, wirkte Federers jähes Ende wie ein Menetekel für die Zukunft – als Wink für verblassende Macht und Strahlkraft in der elitären Spitzengruppe des Welttennis. «Seine Aura als Unbesiegbarer von Wimbledon ist weg», sagte der amerikanische Ex-Weltklassespieler Brad Gilbert, «Federer ist menschlich geworden.» Als König ohne Reich.

Wimbledon 2013: Stunden der fallenden und gefallenen Stars, Verletzungs-Tragödien, Sensationstriumphe und ein in seinen Grundfesten erschütterter Club.

Viele rutschten auf den seifigen Wiesen von Wimbledon aus, beschwerten sich wie die ebenfalls schon ausgeschiedene Diva Maria Scharapowa über «gefährliche Plätze». Doch schliesslich war es der eine symbolische Fall, der die Tenniswelt mehr als andere kleineren und grösseren Grand Slam-Aufreger beschäftigte – der Zweitrunden-Knockout Federers genau zehn Jahre nach seinem ersten Triumph im grünen Grand Slam-Paradies. Zurückgeholt in die irdische Schwerkraft hatte den Meisterspieler dabei jener Sergej Stachowski, der kürzlich in Paris noch dadurch aufgefallen war, dass er nach einer umstrittenen Schiedsrichterentscheidung den Ballabdruck mit seinem Smartphone fotografiert hatte – und dafür mit einer 2.000-Dollar-Geldstrafe belegt worden war.

«Habe es nur mit ein bisschen Magie geschafft»

Doch in Wimbledon trat Stachowski nicht in der amüsanten Statistenrolle des knipsenden Gerechtigkeitsfanatikers auf, sondern als Gigantenkiller – als Mann, der den Turbulenzen des verrücktesten aller Grand Slam-Tage noch die Krone aufsetzte. «Wenn du nach Wimbledon kommst, siehst du überall Federer. Auf der Titelseite des Turniermagazins. Auf den Siegertafeln», sagte Stachowski, «du spielst gegen eine Legende. Und gegen das starke Ego dieses Mannes.» Den Sieg habe er nur «mit ein bisschen Magie» geschafft, gab Stachowski mit einem leichten Augenzwinkern zu Protokoll.

Auch in Wimbledon hatten Federer und Nadal jahrelang die Titel unter sich aufgeteilt – zwei Potentaten, die das Heer der Jäger allein schon mit ihrer überlebensgrossen Siegerstatur eingeschüchtert hatten. Niemand kam ihnen wirklich nahe, dem eleganten Maestro und dem bulligen Matador. Doch nun waren sie erstmals bei einem Grand Slam-Turnier, bei dem sie zusammen antraten, schon in der ersten Woche ausgeschieden – verletzt und wieder ausgezehrt der eine. Und nicht auf der Höhe seiner Tenniskunst der andere, der bloss normal gut, aber nicht genial aufspielende Federer. «Ich denke, dass die nächsten Jahre schwer werden für Federer. Er weiss nicht mehr wirklich, wie es sich anfühlt, all diese Niederlagen zu kassieren. Bei kleineren und grösseren Turnieren. Und jetzt auch in Wimbledon», sagte Analyst McEnroe.

Enttäuschende Saison von Federer

Bei seiner Abschiedsvorstellung gegen Stachowski wirkte Federer seltsam blass, manchmal auch uninspiriert. Und was ihn auszeichnete als Potentaten der Profis, die zupackende Kraft, in zugespitzter Lage die Big Points serienweise zu gewinnen, war völlig weg – einfach verschwunden, nicht im Repertoire vorhanden. «Ich weiss auch nicht, was los war. Ich bin mit dem gleichen Selbstvertrauen in dieses Spiel wie in hundert andere zuvor gegangen», sagte Federer später, aber vielleicht war das auch nur eine Selbsttäuschung des 31-jährigen Familienvaters.

Die «Sphäre des Aussergewöhnlichen», die den Schweizer jahrelang umgab, ist schlichtweg nicht mehr existent.

Denn mal abgesehen vom Sieg beim Vorbereitungsturnier in Halle, ist Federers Saison eher eine Saison der Enttäuschungen – mit keiner Grand Slam-Finalteilnahme, keinem Masters-Erfolg. Die «Sphäre des Aussergewöhnlichen» (New York Times), die den Schweizer jahrelang umgab, ist schlichtweg nicht mehr existent, auch nicht für einen Gegner wie Stachowski, der sonst eher nur ein Mitläufer im Tennissystem ist. «Ich habe vor, hier noch viele Jahre zu spielen», sagte Federer am Ende seines letzten Arbeitstages im 2013er-Wimbledon. Doch ob sie noch einmal den alten Glanz zurückbringen werden, ist seit Mittwoch fraglicher denn je.

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