Während Stan Wawrinka in einem spektakulären Match am Franzosen Richard Gasquet scheitert, zieht Roger Federer nach seinem souveränen Sieg gegen Gilles Simon ins Halbfinal, wo er auf Andy Murray trifft.
Es schien lange Zeit der Freitag der Superlative zu werden, der Auftritt der vier besten Spieler der Welt. Roger Federer, Novak Djokovic und Andy Murray hatten an diesem Mittwoch schon das Halbfinale der Offenen Englischen Meisterschaften 2015 erreicht, doch in einem der besten Spiele in der jüngeren Wimbledon-Geschichte endete am Abend der Wimbledon-Traum von Stan Wawrinka – und damit auch die Hoffnung, die «Fabulous Four» des Männertennis im Wimbledon-Halbfinale spielen zu sehen.
Nach 208 Minuten und einer Niederlage von 4:6, 6:4, 6:3, 4:6 und 9:11 scheiterte der French-Open-Champion unglücklich am Franzosen Richard Gasquet. Zwar holte Wawrinka mit starken Nerven und leidenschaftlichem Kampfgeist noch einen 3:5, 0:15-Rückstand im dramatischen Schlussakt auf, wehrte bei 9:10 zwei Matchbälle Gasquets ab, aber den Knockout im Viertelfinale konnte er doch nicht mehr verhindern. «Es ist bitter, so zu verlieren. Aber ich habe alles gegeben, was ich hatte», sagte Wawrinka später.
Nervtötendes Stop-and-Go
Nun ruhen alle Erwartungen wieder einmal auf Roger Federer, der sich mit dem 6:3, 7:5 und 6:2-Sieg gegen Gilles Simon (Frankreich) in einem von mehreren Regenunterbrechungen gepeinigten Spiel zum schon zehnten Mal für das Wimbledon-Halbfinale qualifizierte. Und damit für das ewiggrüne Duell mit Andy Murray, der den Kanadier Vasek Pospisil 6:4, 7:5 und 6:4 ausschaltete. Statt einer Neuauflage des French-Open-Endspiels kommt es nun im anderen Halbfinale zum Zweikampf von Gasquet mit Wimbledon-Titelverteidiger Novak Djokovic, der 6:4, 6:4 und 6:4 gegen Marin Cilic gewann. Djokovic hatte 2014 den Wimbledon-Titel in fünf dramatischen Sätzen gegen Federer gewonnen.
Im nervtötenden Stop-and-Go-Tennis spielte Federer die ganze Erfahrung von 17 Wimbledon-Teilnahmen aus, war einmal mehr der gefürchtete Rain-Man an der Church Road – der Spieler, der kühlen Kopf in den Wetterturbulenzen bewahrte. «Die Regenunterbrechungen waren eher eine Hilfe als eine Behinderung für mich», sagte der Maestro, der guten Grund für diese Einschätzung hatte.
Nach der zweiten Regenpause, beim Stand von 6:5 und 15:0 im zweiten Satz, schlug der Schweizer erbarmungslos zu, holte sich mit zwei Assen und einem unreturnierbaren Aufschlag den Durchgang und dann im dritten Satz auch früh das wegweisende Break zum 2:1. «Federer war jederzeit Herr des Geschehens», sagte Andy Roddick, in diesem Jahr erstmals für die BBC als Experte im Einsatz, «seine Form hier ist phänomenal.»
«Ich bin froh, dass das grosse Bild stimmt», sagt Roger Federer nach seinem Sieg gegen den Franzosen Gilles Simon. (Bild: PAVEL GOLOVKIN)
Nie geriet Federer in ernste Gefahr, vor allem nicht, weil er Simon genau so wie andere machtlose Konkurrenten mit seinem präzisen, variablen Aufschlag dominierte. Dass er nach 116 gewonnenen Servicespielen hintereinander einmal ein Break zuliess, konnte Federer hinterher mühelos verschmerzen: «Ich konzentriere mich auf andere Dinge, bin froh, dass das grosse Bild stimmt», sagte Federer, der nach 95 Minuten unter den Augen seines Idols Rod Laver den zweiten Matchball verwandelte.
Federer kontra Murray – das weckt vor allem Erinnerungen an den Sommer 2012, an das von Federer gewonnene Grand-Slam-Endspiel gegen den Lokalmatador. Und an das olympische Finale drei Wochen später, in dem Murray sich an der Church Road seinen und den Traum der ganzen Nation von Tennis-Einzelgold verwirklichte. «Ich glaube, das haben wir uns ganz gut aufgeteilt», sagte Federer, «es war eine unglaublich intensive, spannende Zeit damals.» Im Kopf-an-Kopf-Vergleich führt Federer mit 12:11 gegen den schottischen Braveheart, das letzte grosse Aufeinandertreffen datiert zurück zur ATP-WM, da deklassierte der 33-Jährige den Heim-Spieler mit 6:0 und 6:1. «Andy war damals sehr müde, da konnte er seine wahre Klasse nicht zeigen», so Federer.
An der Netzkante hängen geblieben
Wawrinka liess seine Chancen auf den ersten Halbfinaleinzug an der Church Road vornehmlich im vierten Satz liegen – bei einer 2:1-Satzführung in diesem hochklassigen Match voller denkwürdiger Ballwechsel. Statt energisch nachzulegen bei diesem Vorsprung und Gasquet unter Druck zu setzen, verlor der 30-jährige Romand seine spielerische Linie, leistete sich zu viele Konzentrationsfehler und wurde für den Schlendrian mit dem 2:2-Satzausgleich bestraft. Im letzten Durchgang lief Wawrinka andauernd der Führung Gasquets hinterher, meisterte diese Prüfung aber lange Zeit gut.
Das Break zum 3:5 konterte er umgehend, verkürzte auf 4:5, glich zum 5:5 aus. Dann hatte er nach beiderseits souverän bestrittenen Aufschlagspielen plötzlich eine Breakchance zum 10:9, doch sein Return blieb unglücklich an der Netzkante hängen. Anscheinend hatte das Spuren bei Wawrinka hinterlassen, denn bei seinem nächsten Servicespiel kassierte er sofort ein 0:40-Defizit. Und mit dem dritten Matchball Gasquets kam dann auch das Aus für «Stan, the Man». Seine Wimbledon-Hoffnungen muss er nun aufs nächste Jahr vertagen.