Wawrinka schlägt Titelverteidiger Murray

Stanislas Wawrinka schlägt den Titelverteidiger des US Open Andy Murray klar in drei Sätzen und zieht in den Halbfinal ein.

Stanislas Wawrinka schlägt Andy Murray deutlich. (Bild: David Goldman, AP)

Stanislas Wawrinka schlägt den Titelverteidiger des US Open Andy Murray klar in drei Sätzen und zieht in den Halbfinal ein.

Es hätte genügend Gründe zum Scheitern gegeben für Stanislas Wawrinka an diesem sonnigen Sommertag in New York. Er hätte von der schieren Grösse des mächtigen Arthur Ashe-Stadions und der aussergewöhnlichen Centre Court-Atmosphäre übermannt werden können.

Er hätte vor der Statur seines Gegenübers, des Wimbledon-Siegers und US Open-Titelverteidigers Andy Murray, kapitulieren können. Und er hätte nicht mit genügend Zuversicht, mit genügend starkem Ego aufspielen können in diesem Match, das ihm den Durchbruch auf mächtiger Grand Slam-Bühne bringen sollte.

Nicht davon geschah aber vor den 20’000 Zuschauern im grössten Tennistheater der Welt: Was sich abspielte, war stattdessen nicht weniger als die formvollendete Entzauberung Murrays durch den Freund und häufigen Trainingspartner.

Als nach 115 Minuten abgerechnet war in der gigantischen Arena, mit einem 6:4, 6:3, 6:2-Sieg Wawrinkas, war dessen prächtigster Karriereerfolg und gleichzeitig sein erster Vorstoss in ein Grand Slam-Halbfinale perfekt. «Ich bin einfach nur überglücklich. Das ist ein Augenblick, auf den ich lange gewartet habe», sagte Wawrinka (28), der seine Fäuste in den Himmel über Flushing Meadow ballte. «Andy in drei Sätzen zu schlagen, das ist fast kaum zu glauben.»

(K)eine Überraschung

Es war dem Papier nach eine Überraschung, doch wer in den letzten Tagen die Wege und Matches der beiden Duellanten verfolgt hatte, für den kam dieser Coup keinesfalls aus dem Nichts – schliesslich hatte Wawrinka gerade in der zweiten Turnierwoche neben den Grossmeistern wie Nadal und Djokovic den stärksten Eindruck hinterlassen.

Eins jedenfalls stand fest: Für den Augenblick, für dieses Majorturnier, hatte Wawrinka seinem Landsmann Federer gewaltig die Show gestohlen, war der eindeutig bessere eidgenössische Interessenswahrer. Und fürchten musste sich «Stan, the Man» nun wahrlich vor keinem mehr, auch nicht vor seinem Halbfinalgegner, der in der Partie zwischen dem Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic und dem Russen Michail Juschni ermittelt wird.

Schon im ersten Schlüsselmoment der Partie, dem zehnten und letzten Spiel des ersten Satzes, hatte Wawrinka die besseren Nerven – und damit auch das bessere Ende für sich. Fünf Satzbälle liess der Westschweizer zunächst ungenutzt verstreichen, auch weil Murray in der Not eindeutig das Tempo verschärfte und sich mit aller Gewalt gegen den Rückstand wehrte.

Als der Schotte dann doch seinen Aufschlag zum ersten Mal abgab und somit in die „roten Zahlen“ geriet, musste sein Schläger dran glauben – zunächst hackte er das Racket aufs Spielfeld und dann zur Sicherheit noch einmal auf den Boden nahe seines Pausenstuhls, und dort blieb das lädierte Gerät symptomatisch für den verkorksten Tag Murrays erst einmal als Stilleben liegen. Für seinen Wutanfall kassierte der Wimbledon-Champion zudem noch eine Verwarnung.

Wawrinka in grundsolider Verfassung

Unzufrieden mit sich und der Tenniswelt, kam Murray auch weiter nicht auf Touren. Ihm fehlte der nötige Schwung. Wawrinka besah sich die Kalamitäten des Freundes aus gebührender Distanz und spielte seinerseits in grundsolider Verfassung. Er musste gar nicht Traumschläge oder Zauberkunststückchen auspacken, um in diesem vierten Viertelfinale seiner Karriere die führende Rolle zu spielen.

Es genügte vielmehr, mit ausreichend Power und Präzision den Ball im Spiel zu halten. Dann aber auch bei den wichtigen Punkten hellwach zu sein, mit kontrolliertem Risiko die Szenerie zu beherrschen. So wie im fünften Spiel des zweiten Satzes, bei einer 3:2-Führung, als Wawrinka dem Schotten erneut den Aufschlag abnahm, nicht zuletzt dank einiger vortrefflicher Rückhandbälle.

Den Vorsprung verteidigte Wawrinka dann souverän bis zum 6:3 und festigte damit auch weiter sein Selbstbewusstsein. Das genaue Gegenbild bot Murray, der sich mit seiner Entourage in der Spielerbox anlegte und auch die Ballkinder ein ums andere Mal anpflaumte.

Zudem führte er in beinahe jeder Pause weinerliche Selbstgespräche auf seinem Stuhl. Und auch wenn es kaum möglich erschien, so wirkte die Miene von Trainer Ivan Lendl auf der Tribüne noch etwas finsterer und grimmiger als sonst – ein Eisblock in der strahlenden Sonne.

Die Nerven lagen beim Titelverteidiger blank

Die grosse Wende konnte Murray, ausreichend mit sich selbst und den flatternden Nerven beschäftigt, in Satz 3 nicht mehr inszenieren. So half er dann Wawrinka auch noch mit einem Doppelfehler zum nächsten und ersten Break in diesem Durchgang, beim Stand von 1:1.

Der Romand liess sich nicht lange bitten und preschte weiter nach vorn in Richtung Ziel. Er war schlicht in allen Belangen der bessere Mann, schlug dreimal soviele Winners wie Murray und machte, sehr wichtig, auch fast bei jedem ersten Aufschlag den eigenen Punkt. Nach zwei Stunden und 15 Minuten war dann alles vorbei. Für Murray. Nicht jedoch für Wawrinka, für den nichts mehr unmöglich scheint im Big Apple.

Nächster Artikel