Während Novak Djokovic den Sieg in Paris will, ist sein Finalgegner Stan Wawrinka der klare Aussenseiter. Doch für den wettkampferprobten Schweizer ist klar: «Ich werde kämpfen und rennen bis zum Umfallen.»
Vor zwölf Jahren waren sie alle auch schon einmal in Paris, bei den Grand Slam-Festspielen im Westen der französischen Hauptstadt. Allerdings noch auf den kleinen Nebenbühnen, im Hinterhof des Centre Court – beim Junioren-Turnier, dem Schaulaufen der Stars von Morgen. Andy Murray also war am Start, der verrückte Gael Monfils, der bullige Jo–Wilfried Tsonga, damals der beste Nachwuchsspieler der Welt, dazu der filigrane Novak Djokovic.
Und auch Stan Wawrinka, ein schüchternes Schweizer Bürschchen.
Gleich in der ersten Runde drohte ihm, dem Talent aus Lausanne, das schnelle Aus, auf Platz 7 verlor er den Auftaktsatz im Tie-Break gegen den heimischen Josselin Quanna, stiess so heftige Flüche aus, dass man ihn beinahe im gegenüberliegenden Pressezentrum hören konnte. Aber der junge Wawrinka riss sich zusammen, gewann dieses Match und ein paar Tage später auch den kleinen Grand Slam–Pokal, im Finale gegen den US–Amerikaner Brian Baker.
Wawrinka, ein gefürchteter Wettkämpfer
«Ich kann mich fast an jedes Detail erinnern. Für mich ging schon damals ein Traum in Erfüllung», sagt Wawrinka, «die French Open waren immer mein Lieblingsturnier. Hier wollte ich unbedingt spielen, einfach nur spielen. Einen Pokal zu holen, daran dachte ich gar nicht.»
2015 steht er etwa fünfzig Meter Luftlinie entfernt wieder in einem Endspiel, und so kurz wie die Distanz zwischen den beiden Schauplätzen ist, zwischen Platz 7 und dem Court Philippe Chartrier, so weit war der Weg dahin für Wawrinka. Den Mann, der nach vielen Jahren der Enttäuschungen und Entbehrungen, nach Jahren der verpassten Chancen und gescheiterten Anläufe zu einem gefürchteten Wettkämpfer geworden ist, der überall für einen spektakulären Coup gut ist.
Nicht mehr von Zweifeln und Ängsten erfüllt ist dieser gereifte Dreissigjährige, sondern plötzlich ins Gelingen verliebt – so sehr, dass ihm auch im Endspiel der Internationalen Französischen Meisterschaften gegen den guten alten Bekannten Djokovic (er besiegte im anderen Halbfinale am Samstag Murray mit 6:3, 6:3, 5:7, 5:7 und 6:1) keinesfalls eine bescheidene Aussenseiterrolle zukommt.
Wieso auch? Schliesslich hat der Weltranglisten–Neunte in der prickelnden zweiten Grand Slam-Woche zuerst sein eigenes Idol Roger Federer und dann auch den Lokalheroen Tsonga besiegt, einen weiteren Weggefährten aus gemeinsamen Juniorenzeiten. Siege von hoher Symbolik waren das für Wawrinka, der sich aus Federers langem Schatten befreit hat und nun dabei ist, sich selbst als Tennis–Marke zu etablieren.
Vom schwermütigen Berufsspieler zum Siegkandidaten
Nicht ganz unbeteiligt an der Verwandlung vom eher schwermütigen Berufsspieler zum Siegkandidaten auch für die schönsten Trophäen ist Wawrinkas ruhiger Übungsleiter Magnus Norman. Der Schwede war selbst einmal die Nummer 2 der Welt, einer der weiss, was zu tun und zu lassen ist in den Topmatches auf Grand Slam–Niveau. «Wir sind uns charakterlich sehr verwandt», sagt Norman, «ich wusste, was Stan durchmachte als Profi, welche Probleme ihn plagten. Und wie man das lösen kann.»
Norman stand auch einmal im Endspiel der French Open, 2000 war das gegen Gustavo Kuerten, den magischen Charmeur und Sandplatzkünstler aus Brasilien. Ihn, den Seriensieger vom Zuckerhut, konnte Norman nicht stoppen. Aber als Unterstützer von «Stan, the Man» soll nun, was schwer genug ist, Djokovic aufgehalten werden – der Unbezwingbare, der seit letztem Herbst kein einziges Spiel mehr bei Masters- oder Grand Slam–Turnieren verloren hat.
Djokovic will den Sieg unbedingt
Für Djokovic ist es sozusagen ein Rendezvous mit der sportlichen Unsterblichkeit, als erst vierter Spieler der Tennis–Moderne nach Agassi, Federer und Nadal könnte er den sogenannten Karriere-Grand Slam erringen, den Sieg wenigstens einmal bei allen vier Major–Turnieren. Und genau dieses grosse Verlangen Djokovics stellt aus Sicht von Wawrinka auch eine grosse Chance dar: «Novak will diesen Titel so sehr, das wissen alle. Er wird mit seinen Nerven kämpfen im Endspiel», sagt der Schweizer, auf dem Papier der klare Aussenseiter. Ausserdem ist offen, wie der Serbe den Vier–Stunden–Marathon gegen Murray über zwei Tage überstanden hat.
Denkt Wawrinka an Djokovic, tut er es mit einem erstaunlich guten Gefühl – trotz einer 3:17-Bilanz. Aber als er 2013 gegen den Djoker in Melbourne verlor, in einem Klassiker, der mit einem 10:12 im fünften Satz endete, da hatte er zum ersten Mal die Gewissheit, «mit den ganz Grossen mithalten zu können.» So viel Selbstbewusstsein verlieh ihm selbst diese Niederlage, dass er zwölf Monate später im Australian Open–Halbfinale in fünf Sätzen gegen den Serben gewann und danach auch den Titel gegen Nadal holte.
Es war die Geburtsstunde des neuen Wawrinkas, des vielbeschworenen Fighters mit dem Kosenamen «Stanimal». Genau jenen Wettkämpfer soll Djokovic in der idealen Welt Wawrinkas auch im Pariser Finale wieder kennenlernen: «Ich werde kämpfen und rennen bis zum Umfallen.»