Mitte dreissig und kein bisschen müde: Tommy Haas schlägt in Miami die Nummer 1 Novak Djokovic glatt in zwei Sätzen. Die abermalige Rückkehr des Deutschen ist irgendwo angesiedelt zwischen Hollywood und Disneyland.
Auf den letzten Metern und in den letzten Sekunden war er in seiner ganzen späten Herrlichkeit zu bestaunen. Der standhafte Altmeister Tommy Haas, das Phänomen des Tennis-Wanderzirkus. Es stand 5:4 im zweiten Satz in dieser kühlen Frühlingsnacht von Miami gegen den Nummer-1-Mann Novak Djokovic, Haas servierte zum Sieg, und es war einer jener Augenblicke, in denen noch alles möglich ist – der eigentlich unmögliche Triumph, aber eben auch das nervöse Scheitern, die jähe Angst vorm grandiosen Sieg über den Branchenführer. Haas hat das alles auch schon erlebt, das Versagen bei den Big Points, die verrückten Umschwünge, den Frust und die Selbstzweifel danach.
Doch nicht an diesem Tag, nicht in dieser Nacht, nicht in seiner Nacht. In der grössten Nacht, die es beim letzten seiner vielen mühsamen Comebacks gegeben hat. Wie ein grosser Champion beendete Haas sein meisterliches Werk, mit einer Mischung aus Power und Präzision, mit eiskalter strategischer Überlegung und kämpferischer Leidenschaft – mit der Attitüde eines Mannes, der nicht mehr darauf wartet, dass das Tennisglück zu ihm kommt. Sondern eines Mann, der sich dieses Glück greifen muss, zupackend, entschlossen, mutig, couragiert. 6:2 und 6:4 gewann Haas gegen den nominell besten Profi des Planeten schliesslich, verdient und unfassbar zugleich.
Der erste Sieg gegen eine Nummer 1 seit 1999
Unfassbar nur, weil man sich immer vor Augen halten muss, woher diese wirklich sensationellen Erfolge kommen. Nach Jahren, in denen die ärztlichen Bulletins und seine Krankengeschichte länger waren als seine Erfolgsliste, dreht der unermüdliche Deutsche noch einmal auf, als wäre er in einen Jungbrunnen gefallen. «Ich bin glücklich und stolz, dass ich das noch erleben kann», sagte Haas am späten Dienstagabend, nach dem Coup gegen Titelverteidiger Djokovic, «es war eins der besten Spiele meiner Karriere.» Nicht nur das: Es war auch der erste Sieg gegen eine Nummer 1 seit den fernen Grand-Slam-Cup-Tagen des Jahres 1999, damals schlug Haas den Amerikaner Andre Agassi.
Fast wie der spätberufene Agassi, der auch jenseits der Dreissig eine neue Blütezeit erlebte, macht nun auch Haas das scheinbar Unmögliche mit einer schönen Regelmässigkeit möglich. Vor zwei Jahren startete er in sein vorerst letztes Comeback-Abenteuer von Platz 212 der Weltrangliste, irgendwo zwischen ewigen Vagabunden und Jungspunden hielt er sich da auf, im Niemandsland der globalen Hitliste. Inzwischen rangiert Haas wieder auf Platz 18.
Durch die Niederungen im Tennis-Wanderzirkus
Es war keine Hoppla-jetzt-komm-ich-Rückkehr damals, alles andere als das. Haas kassierte Erstrunden-Niederlagen auf der Tour, er machte sich in die Niederungen der Zweiten Liga auf, spielte in der Provinz bei Challenger-Turnieren, holte sich auf kleineren Bühnen aber Selbstbewusstsein und Matchhärte zurück. So wurde bald aus dieser Mission eines halbwegs versöhnlichen Abschieds vom Tennis ein echter Sturm zurück in die Weltspitze – ganz nach dem Motto: Der alte Mann und das Mehr.
Der Sieg gegen Federer in Halle 2012 war für den bald 35-jährigen Hass die Initialzündung.
Und wie eine Initialzündung und massive Selbstbestätigung wirkte da im letzten Frühling der Finalsieg im westfälischen Halle, der Coup gegen Roger Federer. Haas, kein Zweifel, war wieder da. Ganz so, als ob er nie weggewesen wäre.
Und nun also auch dieses verrückte Stück in Miami, mit Haas als Hauptfigur einer Story zwischen Hollywood und Disneyland. Dabei gibt es niemanden in diesem Egoisten-Geschäft des Profitennis, in diesem Löwenkäfig, der dem nächsten Mittwoch seinen 35. Geburtstag feiernden Haas diese Siege und Sensationen nicht gönnen würde.
Der einsame König des Pechs
Schliesslich war Haas über Jahre und ein ganzes Jahrzehnt der einsame König des Pechs, ein Spieler, der wie kein anderer von seinem Körper im Stich gelassen wurde. Der sich durch immer neue Verletzungsmalaisen und Rehazeiten kämpfte. Und der von den wahnwitzigsten Missgeschicken heimgesucht wurde.
In Wimbledon trat er vor neun Jahren einmal auf einen umherkullernden Ball und zog sich einen Bänderriss zu. «Wenn einer diese grossen Momente verdient hat, dann ist es Tommy Haas», sagt die amerikanische Trainerlegende Nick Bollettieri, der Coach, bei dem Haas Anfang der 90er Jahre in die Ausbildung gegangen war. Als Federer im letzten Jahr in Halle gegen den gebürtigen Hamburger verloren hatte, sagte er hinterher, dass ihm kein Sieger («ausser mir selbst») so lieb sei wie Haas: «Ich weiss nur zu gut, was er durchgemacht hat.»
Der Unvollendete
Haas ist wahrscheinlich der talentierteste Spieler, der in dieser Tennis-Epoche keinen Grand-Slam-Sieg geholt hat – oder holen konnte. Er hatte das Spiel dafür, das grosse Spiel, wie die Amerikaner sagen. Die wuchtigen Schläge, das harte Service, die Offensivkraft, auch den nötigen Mumm bei den Big Points. Doch immer wieder warfen ihn die Verletzungen zurück, nagten an seiner Moral. Und, wie er selbst sagte, auch manchmal am «Glauben, dass es irgendwie gerecht zugeht in dieser Welt.»
Das Schicksal rüttelte und schüttelte Haas durch, es bescherte ihm sogar solche Horror-Momente wie den schweren Unfall seiner Eltern, in Florida übrigens, wo er nun wieder in den Schlagzeilen ist, als Tennis-Held der ganzen Welt. Aus dem Motorrad-Crash von Vater und Mutter, sagt Haas, habe er im nachhinein sogar innere Kraft gewonnen, vor allem aus der Unbeugsamkeit, mit der sein schwer verletzter Vater sich wieder ins Leben zurückgefightet habe.
Haas hat es noch einmal allen gezeigt. Und wo wird das alles nun noch enden, dieses Comeback, diese Tour der Freuden nach der Tour der Leiden. Der Deutsche, der in Miami im Viertelfinale nun gegen Gilles Simon im Viertelfinale anzutreten hat, ist auf dem besten Weg zurück in die Top 10. Das Beste, was man über ihn sagen kann, ist dies: Überall und immer ist mit ihm zu rechnen. 35 Jahre, fast – und kein bisschen müde. «Ein bisschen wie im Traum ist das schon alles», sagt Haas.
Weltrangliste der Männer vom 18.3.2013 | ||||
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Rang | Vorname | Nachname | Land | Punkte |
1. | Novak | Djokovic | Serbien | 13280 |
2. | Roger | Federer | Schweiz | 8715 |
3. | Andy | Murray | Grossbritannien | 8350 |
4. | Rafael | Nadal | Spanien | 6745 |
5. | David | Ferrer | Spanien | 6630 |
6. | Tomas | Berdych | Tschechien | 5010 |
7. | Juan Martin | Del Potro | Argentinien | 4830 |
8. | Jo-Wilfried | Tsonga | Frankreich | 3750 |
9. | Janko | Tipsarevic | Serbien | 3090 |
10. | Richard | Gasquet | Frankreich | 2960 |
11. | Marin | Cilic | Kroatien | 2570 |
12. | Nicolas | Almagro | Spanien | 2435 |
13. | Gilles | Simon | Frankreich | 2300 |
14. | Juan | Monaco | Argentinien | 2185 |
15. | Kei | Nishikori | Japan | 2135 |
16. | Milos | Raonic | Kanada | 2095 |
17. | Stanislas | Wawrinka | Schweiz | 1960 |
18. | Tommy | Haas | Deutschland | 1925 |
19. | Andreas | Seppi | Italien | 1785 |
20. | Sam | Querrey | USA | 1760 |
151. | Marco | Chiudinelli | Schweiz | 355 |
281. | Henri | Laaksonen | Schweiz | 158 |
326. | Michael | Lammer | Schweiz | 128 |
342. | Sandro | Ehrat | Schweiz | 123 |
403. | Adrien | Bossel | Schweiz | 95 |
437. | Stéphane | Bohli | Schweiz | 83 |
633. | Alexander | Sadecky | Schweiz | 34 |