Wie wird das Tennisjahr 2017? Eine Auslegeordnung

Das erste Highlight der Tennis-Saison steht an: die Australian Open. Bevor der Tenniszirkus sich in Melbourne ausbreitet, stellt sich die Frage: Was bringt das Tennisjahr? Eine Auslegeordnung.

Serbia's Novak Djokovic laughs as he holds a water bottle during a training session ahead of the Australian Open tennis tournament in Melbourne, Australia, January 11, 2017. REUTERS/David Gray

(Bild: REUTERS/David Gray)

Das erste Highlight der Tennis-Saison steht an: die Australian Open. Bevor der Tenniszirkus sich in Melbourne ausbreitet, stellt sich die Frage: Was bringt das Tennisjahr? Eine Auslegeordnung.

Für Liebhaber des Unerwarteten hatte 2016 im weltweiten Tenniszirkus schon einiges bereitgehalten: Da war der unheimliche und unheimlich beständige Aufstieg von Angelique Kerber, da war eine fast unbekannte Olympiasiegerin aus Puerto Rico, die sympathische Monica Puig.

Da war aber auch die zweigeteilte Saison im Herrentennis mit den Halbzeit-Herrschern Novak Djokovic und Andy Murray. Und da waren schliesslich noch der fatale Dopingfall Maria Scharapowa und die Seuchenserie von Roger Federer, der nach Wimbledon schon in den unzeitigen Teilzeit-Ruhestand trat – erstmals das Opfer hartnäckiger Verletzungspein.

Und was kommt nun, im gerade begonnenen Tennisjahr 2017?

Mehr Gewissheit und mehr Vorhersagesicherheit gewiss nicht. Wenn nicht alles täuscht, hat 2017 in der Welt der Tingeltour das Zeug für mindestens genau so viel Überraschungspotenzial wie die vergangenen Monate. Wohin man auch blickt: Fragen über Fragen – und kaum Verlässlichkeit.

Tennisjahr 2017? Fragen über Fragen – und kaum Verlässlichkeit.

Gerade im Damentennis weiss man eigentlich nur, dass man nichts weiss. Was, zum Beispiel, wird in den nächsten Monaten aus der langjährigen Dominatorin Serena Williams? 2016 hatte sie die meisten grossen Matches verloren, schon gleich in der australischen Final-Bewährungsprobe gegen Kerber. Nur in Wimbledon verteidigte Williams den Titel in ihrem grünen Grand Slam-Paradies, es war der 22. Titel ihrer glanzvollen Karriere, der Sieg, mit dem sie zu Steffi Graf aufschloss.

Wahrscheinlich ist Wimbledon auch der Schauplatz, an dem die Amerikanerin die grössten Chancen auf einen weiteren Major-Triumph hat. Eher unwahrscheinlich ist, dass sie noch einmal dauerhaft in voller Pracht und Herrlichkeit im Tennis-Universum aufscheint und die Rangliste über Monate anführt. Doch, andererseits, kann man bei der alten Meisterin wirklich etwas ausschliessen?



Britain's Andy Murray serves during a training session ahead of the Australian Open tennis tournament in Melbourne, Australia, January 12, 2017. REUTERS/David Gray

Hat eigentlich keinen Grund zum Schrauen: Sir Andy Murray hat eine tolle Saison hingelegt – an ihm müssen die anderen vorbei. (Bild: REUTERS/David Gray)

Ein wenig mehr Klarheit verspricht das Herrentennis schon, denn hier darf man wenigstens mit einem anhaltenden Gerangel der Herren Andy Murray (neuerdings Sir Andy) und Novak Djokovic um Platz 1 und die Spitzenpokale rechnen. Gleich beim ersten gemeinsamen Turnier- und Finalauftritt im katarischen Doha lieferten die beiden Superstars eine Ahnung, mit welcher Rasanz und Klasse sie ihr Gigantenduell fortsetzen könnten.

Djokovic wirkte dabei wiederbelebt nach der Motivations- und Sinnkrise des zweiten Halbjahres 2016, in dem er auch seinen Gipfelrang verlor. «Die Toptitel werden nur über dieses Duo vergeben», sagt Ex-Champion John McEnroe, «sie sind im Moment ein Stück entfernt vom Rest der Szene.»

Und damit auch von Roger Federer und Rafael Nadal, den alten Titanen der Centre Courts?



Switzerland's Roger Federer hits a shot during a training session ahead of the Australian Open tennis tournament in Melbourne, Australia, January 12, 2017. REUTERS/David Gray

Muss beweisen, dass er wieder der Maestro sein kann: Roger Federer. (Bild: REUTERS/David Gray)

Mühsam wird das Comeback sowohl für den Schweizer Ästheten wie den spanischen Matador, aber ein letztes grosses Hurra in Paris (für Nadal) oder in Wimbledon (für Federer) ist auch keineswegs Utopie. Und wo entfaltet der unberechenbare Stan Wawrinka dieses Mal seinen Zauber, eine Frage ist das, auf die Wawrinka sicher gern selbst eine Antwort wüsste.

Seit drei Jahren hat Wawrinka nun stets einen Grand Slam gewonnen, in Melbourne 2014, in Paris 2015 und in New York im vorigen Herbst. Eigentlich wäre nun Wimbledon dran, wenn Wawrinka seine Erfolge weiter so ordentlich verteilt. Aber bei dem Romand bleibt wohl das Unbeständige und Unvorhersehbare weiter die Konstante.

Kann Kerber ihre Vorjahres-Leistungen bestätigen?

Zurück zu den Frauen. Und hier wäre man bei Angelique Kerber, bei der Frau, der das Kunststück des Thronsturzes von Little Sister Serena gelang? Der Vormarsch an die Weltranglisten-Spitze, hinauf in die dünnste Höhenluft auf dem Gipfel, war schwer genug für die tüchtige Kielerin. Doch die phänomenale Saison 2016 und die kostbaren Siege zu bestätigen, wird erst recht zur gewaltigen Herausforderung für die Frontfrau aus Deutschland.

Zumal, wenn man weiss, wie sehr die ehrgeizige Perfektionistin auch jetzt noch stets und überall beweisen will, dass die vergangenen Erfolgsmonate kein Zufallsprodukt waren – sondern Teil einer spielerischen und charakterlichen Fortentwicklung auf allerhöchstem Niveau.



Germany's Angelique Kerber hits a shot during a training session ahead of the Australian Open tennis tournament in Melbourne, Australia, January 12, 2017. REUTERS/David Gray

War im vergangen Jahr das Mass der Dinge im Frauentennis: Angelique Kerber. (Bild: REUTERS/David Gray)

So oder so: Melbourne, der Auftakt-Grand Slam, wird erste Hinweise auf die Verfassung und Gemütslage Kerbers liefern – ohne dass damit alles über den Ausgang dieses Jahres gesagt wäre. Nur soviel dürfte klar sein. Ohne herausragende Grand Slam-Vorstellungen wird sich die Chartstürmerin nicht ganz vorne halten können.

Gegen wen sie ihren sonnigen Führungsplatz zu verteidigen hat, ist offen: Alte Bekannte kommen einem da in den Sinn, die polnische Kerber-Freundin Agnieszka Radwanska etwa. Oder dann auch junge, aufstrebende Konkurrenz wie Elina Svitolina aus der Ukraine und Karolina Pliskova (Tschechien), die Gegnerin aus dem US Open-Endspiel.

Aber eine Unbekannte taucht auch noch auf: Eine gewisse Maria Scharapowa, die am 26. April beim Stuttgarter Porsche Grand Prix ihren Comeback-Auftritt nach verbüsster Sperre geben wird.

  • Frage eins dazu ist: Wozu ist die Russin nach der dann 15-monatigen Zwangspause fähig?
  • Frage zwei, nicht ganz zu trennen von Frage eins, lautet: In welchem Arbeitsklima wird die kühle Russin künftig aufschlagen, eine Frau, die abseits der Dopingthematik schon immer selbstbewusste, sehr eigene Wege ging?

Was bleibt angesichts dessen für die Schweizerinnen, was ist von Belinda Bencic und Timea Bacsinszky zu erwarten?

Sie kämpfen in diesen Tagen nicht nur mit ihren Gegnerinnen, sondern auch mit vielen kleineren und grösseren Wehwehchen, schon früh in der Saison. Bencic gab nach dem gemeinsamen Start mit Roger Federer beim Hopman Cup zuletzt beim Turnier in Sydney wegen eines gebrochenen Zegennagels auf, Bacsinszky trat beim Wettbewerb im chinesischen Shenzhen wegen einer Bauchmuskelverletzung erst gar nicht an.

Ein guter Serienstart im Wanderzirkus sieht anders aus.

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Mehr zum Turnier in der Übersicht auf der Open-Website.

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