«Wir haben unseren Nimbus definitiv verloren»

Marco Streller nimmt 24 Stunden nach Abpfiff in Zypern Stellung zum europäischen Scheitern des FC Basel. Der Sportdirektor gibt sich dabei in einem kleinen Raum im Euroairport selbstkritisch.

«Wir haben uns den Kopf hart angeschlagen», sagt ein selbstkritischer Basler Sportdirektor Marco Streller nach dem Ausscheiden aus dem internationalen Geschäft.

Kurz nach 20 Uhr betritt Marco Streller im Business-Center des Euroairports zwei Stockwerke über der Check-in-Halle den Raum «Echo». Dort, auf vielleicht 20 Quadratmetern und auf zwei Seiten eines grossen Konferenztisches sitzend, warten 14 Medienschaffende der regionalen und nationalen Presse auf den Sportdirektor des FC Basel.

Streller trägt Jeans, Turnschuhe, einen grünen Pullover und einen dunkelblauen Trenchcoat, und mit der schwarzen Brille wirkt er wie ein Geschäftsmann in Privatkleidung. Das ist Streller in seinem ersten Beruf nach der Karriere als Fussballer irgendwie auch. Doch vor allem ist der Mittdreissiger mit Herz und Seele mit seiner Aufgabe verbunden, und die beinhaltet rund 24 Stunden nach dem Abpfiff der Partie in Limassol das Erklären des historischen Scheiterns seiner Mannschaft im Europacup.

Der Flughafen ist um diese Uhrzeit nur noch schwach frequentiert, hier und da dringt durch die offene Tür des Konferenzraumes der Name einer verspäteten Passagierin, die ihren Flug zu verpassen droht. Es ist die Geräuschkulisse, die das Team des FC Basel erst wieder in der Winterpause hören wird, wenn es ins Trainingslager nach Spanien fliegt. Andere Flugreisen bleiben aus, es ist ab sofort dem FC Zürich und den Young Boys vorbehalten, die Schweizer Punkte für den Uefa-Koeffizienten abzuholen.

Der FC Basel bleibt zu Hause. Und Marco Streller sagt:

«Die Enttäuschung ist riesig, wir haben eines unserer Saisonziele verpasst. Man kann diskutieren, ob das Kader gut genug ist für die Champions League. Aber die Europa League wäre drin gelegen. In den letzten Jahren haben wir es nicht mehr erlebt, dass der FCB nicht europäisch dabei war. Das ist schwer zu akzeptieren. Jetzt müssen wir unsere Situation analysieren. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig.»

Mikrofone vor und Augen auf Marco Streller (in Grün, links von ihm Mediensprecher Simon Walter). Der Raum «Echo» im Business-Center des Euroairports.

Zu dieser Analyse gehört auch die Selbstkritik des Sportdirektors. Streller weiss um seine eigenen Fehler, insbesondere wenn er rückblickend den Zeitpunkt der Entlassung des Trainers Raphael Wicky reflektiert:

«Der richtige Zeitpunkt für die Trennung wäre nach der letzten Saison gewesen. Dann hätte der neue Trainer die ganze Vorbereitung gestalten können. Wir hätten konsequenter sein müssen und haben aus diesem Fehler gelernt. Aber ich muss auch festhalten, dass ich diese Entscheidungen nicht alleine treffe. Wir mussten reagieren, weil es ja auch hätte sein können, dass wir mit dem Trainerwechsel eine Runde weiterkommen. Rückblickend betrachtet war es eine Massnahme, die kurzfristig international nicht aufgegangen ist.»

Zudem fügt Streller an:

«Wir müssen uns auch an der eigenen Nase nehmen, weil wir vielleicht etwas zu forsch kommuniziert haben. Gewisse Dinge wollten wir zu schnell umsetzen, obwohl wir uns drei Jahre gegeben hatten. Der Umbruch war einfach sehr gross. Aber unser Konzept ist nicht gescheitert, wir haben mehr Junge im Kader, mehr aus dem eigenen Nachwuchs. Das ist ein Fakt. Aber der Erfolg ist eben auch wichtig, und den haben wir nicht.

Wir haben uns den Kopf hart angeschlagen, jetzt haben wir es halt so gelernt. Nach der grossartigen Ära (unter Präsident Bernhard Heusler und Sportdirektor Georg Heitz, d. Red.) haben wir übernommen, das war auch mutig, denn eigentlich konnten wir nur verlieren. Ich rede für mich und meine Kollegen: Wir alle sind mit Herzblut dabei, das ist kein normaler Job, und wir haben versucht, nach dem grossen Erdbeben, nach diesem Umbruch zu helfen.»

Bewegtbild von einem bewegten Mann.

Zu den Konsequenzen des europäischen Scheiterns sagt Streller:

«Aufgrund der Spielerverkäufe können wir das Ausscheiden finanziell verkraften. Nur ein zweites oder ein drittes Mal verträgt es das nicht. Der FCB hat sich in den letzten Jahren auch über die internationalen Spiele definiert. Und dieses Schaufenster haben wir jetzt nicht. Auf der anderen Seite kann jetzt auch etwas wachsen, weil wir nicht wieder jede Menge Wechsel haben werden und der Trainer Zeit hat, mit dem Team zu arbeiten. Es ist eine Chance, dass sich langfristig etwas entwickelt.»

Die unmittelbarste Konsequenz ist, dass dem FCB der Cup und die Super League bleiben. Dort treffen die Basler am Sonntag (16 Uhr) im St.-Jakob-Park auf den FC Thun, bevor die nationale Liga wegen der Nationalmannschaftspause ruht.

«Momentan ist wichtig, dass wir zurück zur Stabilität finden und in der Meisterschaft Punkte holen. Wir müssen in dieser Situation aber nicht auf die Young Boys schauen, die einen guten Job machen, sondern auf uns. Jetzt zu sagen, dass wir YB angreifen wollen, wäre vermessen. In einen Cupfinal kann man aber immer kommen. Wir müssen an einem Strick ziehen und versuchen, in die Erfolgsspur zu kommen. Wir haben unseren Nimbus definitiv verloren. Und den gilt es zurückzuholen. Aber das braucht Zeit.»

«‹Demut› ist zwar ein religiöser Begriff, aber wir müssen sie wieder lernen.»

Streller spürt nach eigenen Aussagen auch in diesen Tagen den Rückhalt sowohl vom Präsidenten Bernhard Burgener als auch von der Anhängerschaft:

«Das Umfeld in Basel ist toll. Es ist emotional und kritisch, aber nach dem verlorenen Meistertitel war trotzdem viel Sympathie da. Es herrschte eine ‹Jetzt-erst-recht›-Stimmung. Wir Basler reklamieren für uns, dass wir ein bisschen speziell und aussergewöhnlich sind und die Geschichte zeigt, dass wir immer zusammenhalten. Jetzt wird sich zeigen, ob wir auch in dieser Situation zusammenhalten. ‹Demut› ist zwar ein religiöser Begriff, aber wir müssen sie wieder lernen.»

Streller blickt auf die vergangenen Wochen und Monate zurück und sagt, dass er eine «dicke Haut» gebraucht habe. Die mediale Kritik hat sich über den Basler Sportdirektor ergossen, und er sagt: «Die Presse hat es auch immer mit Menschen und nicht mit Maschinen zu tun.»

Diese Zeit, in der der FC Basel steckt, geht «nicht spurlos an mir vorbei», sagt Streller, «ich leide ja auch, ich will ja auch erfolgreich sein». Wegen der Misserfolge den Hut zu nehmen, kommt für den Sportdirektor nicht in Frage. Das stellt er gleich zu Beginn der spontan einberufenen Medienkonferenz klar.

Eine gute halbe Stunde später verlässt Streller den Raum «Echo» wieder, bespricht sich mit seinem Pressechef auf dem Gang hoch über dieser Halle des Euroairports und verschwindet in der Tiefgarage, um nach Hause zu seiner Familie zu fahren. Und man erinnert sich in diesem Moment an die Worte, die er zuvor auch noch gesagt hat: «Das alles ist kein Weltuntergang. Es gibt Schlimmeres, als was momentan passiert.»

Nächster Artikel