In Russland beginnt am Samstag der Confederations Cup. Doch mehr als die Partien dürften Korruption, Zwangsarbeit und das Verhalten der russischen Behörden zu reden geben. Die Fifa gibt sich derweil für einmal eher kleinlaut.
Die Motorsäge läuft auf Anschlag, krachend fällt ein Baum. Am Tag vor Beginn des Confederations Cup wird überall noch gesägt und gewerkelt entlang der Allee, die von der Metro zum Stadion in Sankt Petersburg führt.
Karussells und Achterbahnen zur rechten Seite, Ententeiche zur linken, Denkmäler, Blumenbeete, weisse Parkbänke, stilvolle Wegweiser an gusseisernen Laternenmasten, ein Springbrunnen und, auch immer gern genommen, freies Internet auf den zwei Kilometern, an deren Ende sich Sankt Petersburgs neues Schmuckstück wie eine Raumstation erhebt.
Viel hübscher kann man es nicht herrichten, und das ist natürlich auch Kalkül – für heute, die nächsten Wochen und den nächsten WM-Sommer: Dass sich der Fan sich ästhetisch umschmeicheln lässt, dass der Einheimische stolz ist und der Fremde beeindruckt. Dass alle miteinander auf diesem prächtigen Weg die Geschichten vergessen, die hinter dem Bau stehen.
Von den nordkoreanischen Leiharbeitern, die gegen Devisen für ihr Regime teilweise buchstäblich bis zum Umfallen schufteten. Von der Korruption eines Oligarchenstaats, die zu einer Bauzeit von elf Jahren und einer Vervielfachung der geplanten Kosten führte – offiziell war zuletzt von 673 Millionen Euro die Rede, anderen Quellen zufolge belaufen sie sich auf weit über eine Milliarde.
Russland provoziert den Blick über die Stadien hinaus, wie es der schurkentolerante Sport nur selten erlebt.
Die Erfahrung zeigt, dass es oft so läuft: Rollt der Ball erst einmal, sind alle Kritiken passé. Doch wenn Gastgeber Russland zum Auftakt am Samstag 17. Juni auf Neuseeland trifft, könnten die Dinge anders liegen. Zum einen reicht die sportliche Bedeutung des Confed Cup kaum aus, die Welt wirklich in den Bann von Viererketten und Videoschiedsrichtern zu ziehen.
Ausserdem provoziert der Ausrichter den Blick über die Stadien hinaus, wie es der schurkentolerante Sport nur selten erlebt. Dopingskandal und Spionageaffäre, Repression und Krieg: die Nachrichten aus Russland. Zwar beschwert sich die Regierung von Präsident Putin häufig über Voreingenommenheit der internationalen Berichterstattung.
Doch dann übertraf sie selbst ihr negatives Image, als sie die Confed-Cup-Reporter bei der Akkreditierung auf eine reine Turnierbeschau verpflichtete. Weder von anderen Orten als den Spielstätten Petersburg, Moskau, Sotschi und Kasan noch über andere Themen als das Championat sollen die angereisten Journalisten informieren dürfen.
Vizepremier Witali Mutko betont die «politische Stabilität» Russlands. Die Fifa entsandte derweil nur Generalsekretärin Fatma Samoura. (Bild: Keystone)
Den Weltverband Fifa scheint das alles so zu überfordern, dass sich Präsident Gianni Infantino erst mal rar machte. Obwohl er mit seiner «neuen Fifa» (Eigenslogan) auf grosser Bühne debütiert, schickte der Schweizer seine Generalsekretärin Fatma Samoura zur Eröffnungspressekonferenz im Petersburger Stadion. Die versprach artig das «wahrscheinlich beste Turnier der Geschichte».
«Wir sind absolut bereit», betonten auch Russlands Sport-Faktoten, Vize-Premierminister und Turnierorganisationschef Witali Mutko, und sein Geschäftsführer Alexej Sorokin. Mit Protesten gegen Turnier, Fifa und Verschwendung wie vor vier Jahren in Brasilien rechnen beide nicht. Die Zustimmungsrate in der Bevölkerung betrage über 90 Prozent, betonte Sorokin, derweil Mutko Russlands «politische Stabilität» hervorhob. Wenn man die massiven Einschränkungen der Versammlungsfreiheit denn so bezeichnen will.
Ein Wechsel mehr in der Verlängerung
Der Fifa – zögerlich und lauwarm in ihrer Kritik an den Zuständen auf den Baustellen, inexistent in der Debatte um Bürger- und Freiheitsrechte – bleiben zur Gewissensberuhigung die verschärften Massnahmen bei rassistischen Zwischenfällen, den solche sind nicht gerade selten in Russland. Schiedsrichter dürfen eine Partie nun gegebenenfalls komplett abbrechen.
Ausserdem erhält der Videobeweis nach seiner missratenen Premiere bei der Klub-WM eine neue Chance. Ebenfalls neu: Im Falle von Verlängerungen darf ein vierter Wechsel vorgenommen werden.
Deutschland mit B-Elf
Für den Turniersieg gilt Europameister Portugal angesichts der deutschen B-Elf als favorisiert, relevant ist das Turnier sportlich aber vor allem für Russland. Zumindest eine Verbesserung gegenüber den leidenschaftslosen Auftritten bei der letzten Europameisterschaft sollte sichtbar werden, will der neue Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow auch das WM-Projekt leiten.
Der Confed Cup als Generalprobe: es könnte Tschertschessows letzter Auftritt sein. In der Fifa gibt es seit längerem Planspiele, das seit 20 Jahren veranstaltete, aber nie wirklich angekommene Championat der kontinentalen Meister wieder abzuschaffen. Samoura gab ihm gestern keine Bestandsgarantie («Entscheidung steht noch aus») und deutete nur an, dass die Winter-WM 2022 in Katar sowieso eine andere Lösung vonnöten mache.
Russland vor der Brust, Katar am Horizont: Ausnahmsweise wären die Fussball-Funktionäre derzeit wohl über jedes Turnier weniger ganz froh.