Wirtschaftsstudent, Held und Aussenverteidiger

An einem der traurigsten Tage des ägyptischen Fussballs weigerte sich Omar Gaber zu spielen. Er wurde ein Held der Fans. Nun lernt der FC Basel einen gebildeten 24-Jährigen kennen, dessen Verpflichtung ein Hin und Her war – Rencontre mit einem rivalisierenden Fan inklusive.

30.06.2016; Rottach-Egern; Fussball Super League - Training FC Basel; Derek Kutesa (Basel) Neftali Manzambi (Basel) Omar Gaber (Basel) Seydou Doumbia (Basel) Adama Traore (Basel) (Andy Mueller/freshfocus)

(Bild: Andy Mueller/freshfocus)

An einem der traurigsten Tage des ägyptischen Fussballs weigerte sich Omar Gaber zu spielen. Er wurde ein Held der Fans. Nun lernt der FC Basel einen gebildeten 24-Jährigen kennen, dessen Verpflichtung ein Hin und Her war – Rencontre mit einem rivalisierenden Fan inklusive.

Omar Gaber kennt Birkir Bjarnason bisher nur aus dem Fernsehen. Der Ägypter verfolgt das erste Spiel der Isländer an der Europameisterschaft und sieht, wie sein zukünftiger Mannschaftskollege das 1:1 gegen Portugal erzielt. Der erste Turniertreffer für den Kleinstaat erinnert Gaber daran, wie er vor fünf Jahren selbst einen historischen Moment erlebte, an der U20-Weltmeisterschaft in Kolumbien. Die jungen Ägypter waren gegen den späteren Weltmeister Brasilien früh in Rückstand geraten, Gaber glich in der 26. Minute aus. Das erste Länderspieltor «war einer der schönsten Momente meines Lebens». 

Der damals 19-Jährige sicherte seinem Team einen Punkt und beeindruckte die Scouts auf der Tribüne – darunter die des FC Basel, der sich «diese sehr gute ägyptische Generation» anschaute, wie es Sportchef Georg Heitz ausdrückt: In der Startformation standen auch Mohamed Salah und Mohamed Elneny, die ersten Ägypter in Basler Diensten. 

Inzwischen ist Gaber beim FC Basel der vierte Spieler aus dem Land am Nil. Seit dem Auftritt in Kolumbien hat ihn der Club nicht mehr aus den Augen gelassen und beobachtete ihn unter anderem, als die ägyptische Olympia-Auswahl im März 2012 auf dem Rankhof antrat. Der FCB organisierte damals dieses Testspiel, um Mohamed Salah noch einmal unter die Lupe zu nehmen.

«Als Student im zweiten Jahr werde ich für die Prüfungen von Basel nach Ägypten fliegen.»

Gabers Wechsel nach Basel wurde im März 2016 konkret. «Als mein Agent sagte, dass der FCB Interesse habe, war ich sehr glücklich», sagt der 24-Jährige. Im Mai unterzeichnete er einen Vierjahresvertrag – und das ist auch Mohamed Salah geschuldet. Als Ersatz für Xherdan Shaqiri war dieser gekommen, die erste Verpflichtung eines Ägypters «brauchte Mut», sagt Heitz. Inzwischen zahlt sich das aus: Über die Jahre habe sich beim FCB ein grosses Verständnis für andere Kulturen entwickelt, das erkannten die ägyptischen Vereine – und insbesondere all jene Spieler, die den FCB als Arbeitgeber erlebten.

Heitz erzählt, dass Basel für Gabers Verpflichtung Elneny eingeschaltete habe, «und wenn einer wie Elneny sagt: ‹Den Menschen beim FCB kannst du vertrauen›, dann ist eine Verpflichtung einfacher.» Sowohl mit Elneny, im Winter zum FC Arsenal weitergezogen, als auch mit Salah sei er fast täglich in Kontakt gewesen und er habe «nur Gutes von Basel gehört», erzählt Gaber. Erst zur Vertragsunterschrift kam der Spieler in die Schweiz. Er hat sich also voll und ganz auf die Einschätzungen seiner Freunde verlassen, die beim selben Spielervermittler unter Vertrag sind.



29.06.2016; Rottach-Egern; Fussball Super League - Training FC Basel; Omar Gaber (Basel) (Andy Mueller/freshfocus)

«Die Fans lieben mich in Ägypten, thank God. Aber ich weiss auch, dass es nun wieder von vorne beginnt. Ich muss meinen Status in meiner Heimat vergessen.» (Bild: Andy Mueller/freshfocus)

Der FCB ist zu einer Art Eingangspforte für ägyptische Fussballer nach Europa geworden und hat sich den Ruf erarbeitet, bei späteren Transfers keine Steine in den Weg zu legen: «Wenn ein Spieler geht, dann geht er im Guten», sagt Heitz. Trotz dieses Rufs waren die Verhandlungen mit Gabers Verein zäh. Aus der französischen Ligue 1 hatte Bordeaux ein Angebot abgegeben, «aber Zamalek SC hat abgelehnt», sagt der Spieler. Der Verein wolle zu viel Geld, aber jetzt «bin ich Zamalek sehr dankbar, dass sie Basels Offerte angenommen haben».

Für Heitz war der Transfer ein Hin und Her. Der Sportchef wartete zwei Tage in Kairo, bevor er nachts um 22 Uhr zum Verhandeln empfangen wurde: Geschätzte 1,8 Millionen Franken zahlte Basel an Zamalek.

Erstmals weg von zu Hause kommt Gaber zugute, dass Urs Fischer «dem positiven, sehr herzlichen und aufgestellten Jungen» Zeit zum Anpassen einräumen will. Der Trainer sieht den Rechtsfuss am ehesten auf den Seiten, kann sich aber auch vorstellen, ihn im zentralen Mittelfeld einzusetzen. Fischer kommuniziert in englischer Sprache, die Gaber hervorragend beherrscht.

Gabers Mutter gehört eine Textilfabrik, der ältere Bruder, einst selbst Fussballer, führt die Geschäfte in Mutters Firma, und der Vater ist Juniorentrainer in Qatar bei Umm Salal.

Die Eltern entschieden, ihren Sohn auf eine amerikanische Schule zu schicken, wo die Lektionen in Englisch und seltener in Französisch waren. Neben der sprachlichen Ausbildung profitierte er auch davon, dass diese Schule «einfacher ist als die ägyptische», wie Gaber sagt. Er hatte somit mehr Zeit, seine Fussballkarriere voranzutreiben, hat Bildung und Sport unter einen Hut gebracht – und er tut das heute noch: Nach der Schule studierte Gaber an der Universität zwei Jahre Logistik und wechselte dann zu den Wirtschaftswissenschaften.

«Als Student im zweiten Jahr werde ich für die Prüfungen von Basel nach Ägypten fliegen. Aber die Uni weiss, dass ich in Europa Fussball spiele, deswegen sind sie nicht ganz so streng mit mir», sagt Gaber. Und sein neuer Chef Georg Heitz ist sicher: «Das wird er schon irgendwie arrangieren können.»

Er brauche Bildung, weil er in einer gebildeten Familie aufgewachsen sei, sagt Gaber: Der Mutter gehört eine Textilfabrik, der ältere Bruder, einst selbst Fussballer, führt die Geschäfte in Mutters Firma, und der Vater ist Juniorentrainer in Qatar bei Umm Salal. In Ägypten stand Mahmoud Gaber an der Seitenlinie bei Aswan und zuletzt bei Ismaily, beides Vereine der obersten Spielklasse.



29.06.2016; Rottach-Egern; Fussball Super League - Training FC Basel; Omar Gaber (Basel) (Andy Mueller/freshfocus)

«Wenn ich meinen Freunden in Ägypten erzähle, dass mein Tag hier um 7 Uhr beginnt, dann sind alle schockiert.» (Bild: Andy Mueller/freshfocus)

Omar Gaber wuchs in Ägyptens Hauptstadt Kairo auf, zwei Gehminuten entfernt vom Stadion des Zamalek SC, seines bisher einzigen Vereins, bei dem er rund 20 Jahre verbrachte. «Am Anfang habe ich mich in der Schweiz ein bisschen einsam gefühlt, aber ich gewöhne mich an das neue Umfeld, und meine Frau und mein 14 Monate alter Sohn werden bald kommen», sagt Gaber in Rottach-Egern, wo er mit dem FCB im Trainingslager ist. Es ist Montagabend, Gaber sitzt im Hotelgarten, hat als gläubiger Moslem im Ramadan an diesem Tag noch nichts gegessen und ist «etwas müde».

In Basel ist Gaber auf Wohnungssuche, im Trainingslager teilt er das Hotelzimmer mit Adama Traoré. Was sein ivorischer Mitspieler bereits kennt, daran muss sich Gaber erst noch gewöhnen. «Wenn ich meinen Freunden in Ägypten erzähle, dass mein Tag hier um 7 Uhr beginnt, dann sind alle schockiert. In meiner Heimat ging ich um 1 oder 2 Uhr morgens schlafen, hier endet der Tag um 23 Uhr», sagt Gaber und freut sich, dass er im Urlaub wieder in den ägyptischen Rhythmus zurückfallen wird.

«Omar Gaber ist der einzige Spieler von Zamalek, den wir von Al-Ahly akzeptieren können.» –

ein Fan des Rivalen

Eine andere Umstellung ist das Leben in der Öffentlichkeit. Massen von Fans hatten in Gabers letzten Tagen in Kairo dessen Haus belagert und ihren Spieler verabschiedet, in Basel kam er als Unbekannter an. «Die Fans lieben mich in Ägypten, thank God. Aber ich weiss auch, dass es nun wieder von vorne beginnt. Ich muss meinen Status in meiner Heimat vergessen.»

Gaber ist einer der bekanntesten und beliebtesten Spieler in Ägypten, wie diese Anekdote zeigt: Als Georg Heitz und Omar Gaber in einem Kairoer Restaurant zu Abend assen, bediente sie ein Kellner, der Anhänger von Al-Ahly war, dem grossen Rivalen von Gabers Zamalek SC. Der Kellner habe sofort um Fotos gebeten und gesagt: «Omar Gaber ist der einzige Spieler von Zamalek, den wir von Al-Ahly akzeptieren können.»

Mit ein Grund für Gabers Beliebtheit ist eine traurige Geschichte, die sich am 8. Februar 2015 ereignete: Vor dem Spiel zwischen Zamalek und Enppi verloren beim Zusammenstoss von Fans und Polizei 19 Menschen ihr Leben. Die Partie wurde trotzdem angepfiffen, Gaber aber weigerte sich zu spielen. Ägyptische Medienschaffende erzählen, dass Gabers Protest dem Spieler viel Sympathien eingebracht habe – er sei zum Helden geworden.

Omar Gaber am 8. Februar 2015 – der Ägypter bekundet seine Verbundenheit mit den Fans, nachdem 19 Menschen ihr Leben verloren haben. Gaber weigert sich, an diesem Tag zu spielen.

Omar Gaber am 8. Februar 2015 – der Ägypter bekundet seine Verbundenheit mit den Fans, nachdem 19 Menschen ihr Leben verloren haben. Gaber weigert sich, an diesem Tag zu spielen. (Bild: FilGoal.com (zvg))

Inzwischen ist es am Tegernsee fast halb zehn Uhr abends, Zeit zum Essen. Während die anderen des Teams gemeinsam längst ihre Mahlzeit eingenommen haben, speist Gaber alleine auf seinem Zimmer; der Mann, der vor seinem Haus in Kairo von Tausenden Fans gefeiert wurde, der Mann, der auf seine Frau und seinen Sohn wartet.

Bald endet der Ramadan. Die Tage des alleine Essens sind gezählt, die Tage der Einsamkeit auch.

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