Xavi Hernandez verlässt den FC Barcelona, um in Katar bei Al-Sadd seine Karriere ausklingen zu lassen. Die Karriere des ruhigen Gemüts ist derart schillernd, dass sogar der spanische Fussballverband eine Ausnahme macht für diesen katalanischen Regisseur, der seiner Mutter lieber verheimlichte, dass ihn Barcelona eigentlich behalten wollte.
Weh tut es nur im Herzen, sagt Xavi Hernández, als er am Mittag vor den Reportern sitzt, die er so oft gesehen hat in all den Jahren. Manchmal werden seine Augen etwas feucht – wenn einer sich meldet, den er besonders gut kennt, oder wenn ihm eine Frage gestellt wird, die besonders auf die Gefühle zielt.
«Ihr wisst ja, ich bin sehr culé», sagt er mehrmals – ein sehr grosser Fan dieses FC Barcelona, der ihn so erfüllt hat, dass er jetzt behaupten kann: «Ich spüre eine vollkommene Glückseligkeit.»
Bei aller Nostalgie, Xavi verliert auch an diesem Tag nicht die Klarheit, die ihn das Spiel auch im grössten Getümmel immer so unmittelbar verstehen liess. Die Klarheit, die ihm stets die richtige Geschwindigkeit für den richtigen Passweg diktierte und seine Mannschaften zu Weltmeisterschaft, EM-Titeln und Champions-League-Siegen führte.
Nicht nur katalanisches, sondern auch spanisches Patrimonium
Denn ausser dem Herzen gibt es ja noch den Kopf, und der hat sich auch von einem letzten Werben des Vereins nicht umstimmen lassen. Der sagt nach 25 Jahren, davon 17 in der ersten Mannschaft: «Es ist der Moment, zu gehen.» Ab Sommer wird er in Katar spielen, Xavi Hernández, die Ikone von Klub und Land.
764 Partien zwischen 1998 und 2015 hat er allein für Barça absolviert. Einsamer Rekord. Die 765. folgt am Samstag, es wird eine Hommage vor 98’000 Zuschauern.
Barça hat die Liga bereits sicher, für Xavi ist es die 23. Trophäe mit dem Verein, ebenfalls ein Rekord, und weil er nun mal nicht nur katalanisches, sondern auch spanisches Patrimonium ist, macht der Fussballverband sogar eine Ausnahme von der Praxis, den Meisterpokal erst in der nächsten Saison zu überreichen: Nach dem Schlusspfiff der Partie gegen Deportivo La Coruña soll er dem Kapitän übergeben werden.
«Das Drehbuch ist wirklich perfekt», findet Xavi, da er in seinem 766. und 767. Spiel an den kommenden beiden Wochenenden ja auch noch die Finals um die Copa del Rey und die Champions League bestreiten könnte.
Sicher ist das deshalb nicht, weil er in dieser Saison mit seinen 35 Jahren nur noch die Nummer Zwölf war, der erste Einwechselspieler. Auch diese Rolle hat er allerdings mit der Klasse ausgefüllt, die ihn während seiner ganzen Karriere auszeichnete. Auf dem Rasen beruhigte er das Spiel, in der Kabine die Gemüter.
Der Vermittler zwischen Messi und Enrique
Ohne seine Vermittlung zu Jahresbeginn im Streit zwischen Luis Enrique und Lionel Messi wäre der Trainer wohl längst nicht mehr im Job oder der Star vor dem Absprung bei Barça. Vielleicht gäbe es keine Aussicht auf das zweite Triple der Vereingeschichte. Zum ersten, 2009, hatte Xavi entscheidend als Spielmacher beigetragen: als Fixstern, um den ein Planetensystem kreiste, das vielen Liebhabern als bestes der Fussballgeschichte gilt.
Das feuchte Auge des Abtretenden – Xavi zeigt bei seinem Auftritt vor den Medien Gefühle. (Bild: Keystone/MANU FERNANDEZ)
Es waren seine grössten Jahre, zwischen EM-Sieg 2008 und EM-Sieg 2012, gekrönt vom WM-Triumph 2010. Das spanische Zeitalter hing an den Füssen des kleinen Katalanen aus Terrassa, eine halbe Stunde entfernt von Barcelona, dem der ehemalige Nationaltrainer Luis Aragonés eines Tages beschied: «Hier bestimmen jetzt Sie!»
Es war eine Grundsatzentscheidung für den Stil, der als Tiki-Taka ins Lexikon einging: Passen, passen, passen. Und den Ball immer schneller laufen lassen als die Beine.
Vor der Mutter hält Xavi die Wechselabsichten geheim
Erst nachdem er die Nationalelf zum EM-Titel 2008 geführt hatte, durfte der Star der Barça-Schule auch im Klub den Taktstock schwingen. Wäre er nicht so heimatverbunden gewesen, er hätte früh eines der Angebote aus dem Ausland angenommen, als er zunächst vor der unbequemen Aufgabe stand, sein Idol Guardiola zu verdrängen; oder als ihm immer wieder neue Stars vorgesetzt wurden.
«Es war am Anfang keine einfache Karriere», erinnert er sich an diesem Mittag noch einmal. «Aber ich bin ein Dickkopf.» Und, klar, noch einmal: «Ich bin sehr culé.»
Übertroffen wird er darin nur noch von seiner Mutter. Der habe er lieber gar nicht erst gesagt, dass ihm der Klub in den letzten Wochen eine weitere Verlängerung seines sowieso noch bis 2016 laufenden Vertrags angeboten habe, scherzt Xavi. Sonst wäre das mit Katar nie etwas geworden.
In die Wüste wird er mit seiner ganzen Familie gehen, beim Klub Al-Sadd spielen, wo zuletzt auch Raúl González kickte, und sich nebenher an der Fussballakademie Aspire als Trainer und Sportdirektor ausbilden lassen. Gut möglich, dass er bei der WM 2022 eine Rolle spielen wird, vielleicht als katarischer Nationaltrainer.
«Hasta luego», nicht «Adiós»
Ganz sicher aber, dass er früher oder später wieder in der Heimat aufschlägt. «Ich will das gar nicht verhehlen: Ich bereite mich vor, um später wieder bei Barça zu arbeiten.»
Kein «Adiós» also, nur ein «Hasta luego» – das freut die Fans im Camp Nou, wo sie ihn erst seit neuestem mit Sprechchören feiern, weil der Prophet im eigenen Land eben lange am wenigsten galt. Xavi Hernández, Spaniens bedeutendsten Spieler aller Zeiten, dem die Worte nur etwas schwer fallen, als er aufgefordert wird, sich selbst zu würdigen.
«Einer, der alles gewonnen hat», sagt er dann, «einer, der immer an das Wohl der Gruppe dachte. Ein Liebhaber dieses Sports. Ein Fussballer bis ins Mark.»
Was eben auch zum Fussballer bis ins Mark gehört: Belagerung durch die Medien, dergestalt, dass es bezeichnend für die Karriere des Protagonisten ist. (Bild: Keystone/ALBERTO ESTEVEZ)