Xhaka, Favre und Gladbach leiden

Längst überfällig nennt Lucien Favre die Klatsche für Borussia Mönchengladbach. Nach dem 0:5 in Dortmund setzt am Niederrhein die Identitätssuche ein und mittendrin grummelt Granit Xhaka.

Schwerer Stand: Granit Xhaka gegen den zweifachen Torschützen Marco Reus. (Bild: Keystone/Michael Probst)

Längst überfällig nennt Lucien Favre die Klatsche für Borussia Mönchengladbach. Nach dem 0:5 in Dortmund setzt am Niederrhein die Identitätssuche ein und mittendrin grummelt Granit Xhaka.

Natürlich war die die Laune von Granit Xhaka miserabel, als er am Samstagabend die Treppe aus dem Kabinentrakt des grandiosen Dortmunder Fussballstadions emporstieg, um sich im Mannschaftsbus zu verkriechen. «Nicht jetzt bitte», wiegelte er Journalistenfragen ab, der ehemalige FCB-Spieler, erlebt gerade die vielleicht schwerste Zeit seiner bisherigen Profi-Karriere. Mit 0:5 hatte seine Borussia beim Deutschen Meister verloren, Xhakas Frust war nicht zu übersehen.

Shaqiri mit den Bayern auf Wolke sieben

Neun Pflichtspielsiege en suite, sechs Siege in der Bundesliga, 19:2 Tore, die Tabellenspitze – und Bayern-Trainer Jupp Heynckes ist zu wenig Leben in seiner Mannschaft. In Bremen löste er das mit der Einwechslung von Xherdan Shaqiri für den pomadigen Toni Kroos in der 59. Minute. Dann erzielte Luiz Gustavo mit einem Kunstschuss die Führung in der 81. Minute, und Shaqiri bereitete zwei Minuten später bei einem Konter das 2:0 durch den ebenfalls eingewechselten Mario Mandzukic, der sein sechstes Saisontor markierte. (cok)

Zuvor, im Fernsehen, hatte Xhaka, vergangenen Donnerstag 20 Jahre alt geworden, noch eingeräumt, dass sein Team «die letzten Spiele nicht gut gewesen» sei, und als der Reporter den Begriff «Abstieg» erwähnte fauchte der Mittelfeldspieler: «Abstieg? Ich habe keine Sorge, für was denn?», und gewährte damit unfreiwillig in die Welt der vielfältigen Probleme seines neuen Clubs.

Im Moment ist nämlich ziemlich unklar, ob diese Borussia eher in die obere oder in die untere Tabelle der ersten Liga gehört. Während der zurück liegenden Jahre, in denen es für Gladbach permanent gegen Abstieg ging, und auch noch in der für fast alle Experten sehr erstaunlichen Saison 2011/2012, war der Club fast immer Aussenseiter.

Favres Mantra

Als grosse Mannschaft mit Ambitionen wurden das Team von Trainer Lucien Favre nie wahrgenommen. Das hat sich in diesem Sommer geändert. Natürlich sind der 10-Millionen-Franken-Transfer Xhaka, Luuk de Jong und Alvaro Dominguez, für die insgesamt rund 30 Millionen Euro ausgegeben wurden, eher davon ausgegangen, zu einem Spitzenteam zu wechseln.

Favre hatte hingegen den ganzen Sommer davon gesprochen, wie furchtbar der Verlust von Dante (zum FC Bayern) Roman Neustädter (nach Schalke) und Marco Reus (der am Samstag zwei grandiose Tore für Dortmund schoss) ist. Diese drei Säulen seien «nicht zu ersetzen», sagte er wie eine hängen gebliebene Schallplatte. Das war gut gemeint, Favre wollte der Gefahr vorbeugen, dass die Erwartungen der Fans und des Umfeldes allzu wild ins Kraut schiessen. Aber die Überzeugung, dass der Verlust der Stars nicht kompensierbar sei, war möglicherweise Gift für die Psyche des Teams.

Was ist kaputt gegangen?

Der Moral der Neuzugänge waren die Zweifel ihres Trainers bestimmt nicht zuträglich, und die alten Spieler haben ihre gute Balance zwischen Demut und Selbstbewusstsein verloren. «Ich habe schon vor ein paar Wochen gesagt, man kann nicht immer über die letzte Saison reden, dass die drei noch da waren, das ist vorbei», sagte Captain Filip Daems am Samstagabend. Es scheint, als sei mehr kaputt gegangen bei der Borussia vom Niederrhein, als viele vermutet haben. Der Verein sucht nach seiner Identität und droht bei dieser Suche immer weiter vom Weg abzukommen.

In den ersten Wochen stand das Team auch wegen solider Leistungen des Schweizer Nationalspielers Xhakas zumindest defensiv stabil, Favre hat mit seinen Spielern vor allem daran gearbeitet, das lahmende Offensivspiel in Gang zu bringen. Er hatte alle möglichen Formationen ausprobiert, in Dortmund verzichtete er in der Bundesliga zum ersten mal auf den vermeintlichen Reus-Nachfolger de Jong. Einen funktionierenden Angriff haben sie bisher nicht gefunden, statt dessen ging auch die defensive Ordnung verloren.

Die überfällige Klatsche

Wie eine Entzündung, für die es kein geeignetes Gegenmittel gibt, greift der Infekt auf andere zentrale Organe des Gladbacher Spiels über. «In der ganzen Diskussion hat man vergessen, was eigentlich unsere Basis war, das war das Spiel gegen den Ball und das haben wir total verloren momentan», analysiert Sportdirektor Max Eberl.

Im Vorjahr haben die Gladbacher in 30 von 34 Partien höchstens ein Gegentor zugelassen, mehr als zwei Tore hatte keine einzigen Mannschaft gegen die Borussia geschossen. Jetzt hat der Klub drei Tore gegen Nürnberg kassiert, in Leverkusen und gegen den HSV ergaben zahllose Grosschancen für die Gegner, nun gab es die längst überfällige «Klatsche» (Favre).

Das Dilemma

Wie eine «Juniorenmannschaft» habe sein Team verteidigt, sagte der Schweizer und säuselte mit seinem französischen Akzent:, «Wir haben ein wenig viel vergessen zu verteidigen», jetzt müsse man «arbeiten, arbeiten, arbeiten». Das akribische Üben auf dm Trainingsplatz ist eine der grossen Stärken dieses Trainers, aber weil die Borussia im Europapokal spielt, bleibt dazu praktisch keine Zeit.

Und das ist nur ein Aspekt des Dilemmas. Schon vorige Woche hatte Eberl die Vermutung geäussert, dass einige der Etablierten die nicht enden wollende Debatte um den Umbruch nach dem Verlust von Reus, Dante und Roman Neustädter als «Alibi» nutzen könnten. Längst geht es also um mehr, als um die schwierige Integration von Granit Xhaka und den anderen Neuzugängen.

 

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