Zahnärzte, Piloten & Film-Produzenten – die Isländer steigen ins Turnier ein

Die Isländer starten am Dienstag (21 Uhr) in Saint-Etienne gegen Portugal in die Europameisterschaft. Mit Spielern, deren Lebensläufe vielseitiger kaum sein könnten. Auch deswegen verlassen fast zehn Prozent der Bevölkerung die Insel und reisen nach Frankreich.

Football Soccer - Euro 2016 - Iceland Training - Complexe Sportif d'Albigny, Annecy-le-Vieux, France 10/6/16 - Iceland's coach Lars Lagerbaeck and players during training REUTERS/Denis Balibouse

(Bild: Reuters/DENIS BALIBOUSE)

Die Isländer starten am Dienstag (21 Uhr) in Saint-Etienne gegen Portugal in die Europameisterschaft. Mit Spielern, deren Lebensläufe vielseitiger kaum sein könnten. Auch deswegen verlassen fast zehn Prozent der Bevölkerung die Insel und reisen nach Frankreich.

Cristiano Ronaldo sollte sich in Acht nehmen. Die Drohung, die den Superstar von Real Madrid dieser Tage ereilte, war jedenfalls gewaltig. Körperliche Schmerzen kündigte der 2,06 Meter grosse Muskelprotz Hafthor Julius Björnsson dem schönen Portugiesen in einem Video an, sollte er es tatsächlich wagen, bei der Europameisterschaft im Gruppenspiel am Dienstag ein Tor gegen seine Isländer zu schiessen.

Björnsson hat Oberarme wie Baumstämme, ist in der Kultserie «Game of Thrones» als «The Mountain» bekannt und belegte mehrmals vordere Plätze beim Wettbewerb der stärksten Männer der Welt. Am Ende des Clips musste dann aber auch der Tim-Wiese-Verschnitt aus Island lachen, was CR7 vielleicht doch ruhiger schlafen lässt.

Björnssons Drohung in Richtung Ronaldo:

Diese Isländer sind schier unglaublich. Starke Männer haben sie, schöne Frauen auch, was drei Siege bei der «Miss World»-Wahl belegen. Dass sie gut Handball spielen können, ist auch bekannt. Schliesslich hat der Isländer Dagur Sigurdsson gerade erst Deutschland zum Europameister gemacht.

Aber Fussball? Erstmals hat es die kleine Insel aus dem Nordatlantik zu einem grossen Turnier geschafft und damit schon jetzt für einen Rekord gesorgt. Mit 329’000 Einwohnern, also exakt so viele wie Bielefeld bei der letzten Zählung, ist Island das kleinste Land der Turniergeschichte.

Der schwedische Realist als Trainer

Der Coup hat daheim im Land der Vulkane einen Run auf die Tickets ausgelöst. 27’000 Isländer haben die weite Reise aufs europäische Festland angetreten, was immerhin acht Prozent der Bevölkerung ausmacht. Zum Vergleich: Hätte Weltmeister Deutschland eine ähnliche Unterstützung, wäre die Grande Nation jetzt von 6,4 Millionen Bundesbürgern belagert.



epa05354623 Iceland players during a training session of the Iceland team in Annecy-le-Vieux, France 10 June 2016. EPA/CJ GUNTHER

Umgeben von Natur, so, wie sich das die Isländer von zuhause gewohnt sind. (Bild: Keystone/CJ GUNTHER)

Die sportbegeisterten isländischen Fans wollen Teil der Geschichte sein, die bei der EM ihre Fortsetzung finden soll. «Ich bin kein Träumer, ich bin Realist», sagt Trainer Lars Lagerbäck und redet natürlich nicht vom Titel. Doch der Achtelfinal-Einzug sei ein realistisches Ziel, ist der Schwede sicher.

Belächeln sollten die grossen Nationen den Aussenseiter jedenfalls nicht, das hat der WM-Dritte Niederlande in der Qualifikation gerade erst schmerzlich erfahren. Zwei Niederlagen gab es für Oranje, was dazu führte, dass Arjen Robben und Co. in diesen Tagen schon im Urlaub sind, während die Isländer am traumhaften Lac d’Annecy ihr EM-Quartier aufgeschlagen haben.

Hinter dem Erfolg steckt eine Systematik der Förderung

Was wie eine Geschichte von Asterix und dem gallischen Dorf klingt, ist tatsächlich aber das Ergebnis einer vor über 15 Jahren beschlossenen Massnahme. Da die Rasenplätze in Island wegen der Wetterverhältnisse nur zwischen Mai und Oktober bespielbar sind, begann das kleine Land kurz vor der Jahrtausendwende mit dem Bau von Hangar-grossen Allwetterhallen. Sieben sind es inzwischen, dazu kommen rund 100 Allwetterplätze.



epa05354838 Iceland player Gylfi Sigurdsson (L) talks with head coach Lars Lagerback during a training session of the Iceland team in Annecy-le-Vieux, France, 10 June 2016. EPA/CJ GUNTHER

Trainer Lars Lagerbäck mit seinem wichtigsten Spieler Gylfi Sigurdsson. (Bild: Keystone/CJ GUNTHER)

Auch in die Trainerausbildung wurde kräftig investiert. Inzwischen sind 800 Isländer mit einer Uefa-Lizenz ausgestattet. Eine derart hohe Dichte kann kein anderes europäisches Land vorweisen.

Dazu wurden kluge Entscheidungen getroffen, wie etwa die Verpflichtung von Lagerbäck Ende 2011. Der detailverliebte und taktisch erfahrene Schwede hatte zuvor bereits zweimal sein Heimatland zu einer WM geführt. Ihm gleichberechtigt zur Seite steht Heimir Hallgrimsson. Dessen eigentlicher Beruf ist Zahnarzt, Fussball war für ihn erst ein Hobby, später dann eine Berufung. Hallgrimson weiss, worauf es in Frankreich ankommt. Seine Mannschaft werde nicht die besten Einzelspieler und nicht den meisten Ballbesitz haben.

Der 105 Kilogramm schwere Filmemacher ist Torhüter

«Deshalb müssen wir hart arbeiten, diszipliniert spielen und fokussiert sein», sagt der Coach, der nach der EM in Alleinregie weitermacht, weil sein 67 Jahre alter Partner in den Ruhestand geht. Ob Hallgrimsson dann noch Zeit hat, um mit Fans nach den Spielen in der Kneipe ein Bier zu trinken, wird sich zeigen. Seine Praxis will er jedenfalls schliessen.



Football Soccer - Euro 2016 - Iceland Training - Complexe Sportif d'Albigny, Annecy-le-Vieux, France 10/6/16 - Iceland's Eidur Gudjohnsen during training REUTERS/Denis Balibouse

Die gute Laune im isländischen Trainingscamp – mit Eidur Gudjohnsen im Zentrum. (Bild: Reuters/DENIS BALIBOUSE)

Es ist schon eine besondere Gruppe, die so gar nicht in die heutige Fussball-Glitzerwelt passt. Zum Beispiel Torhüter Hannes Halldorson, der vor zehn Jahren noch 105 Kilogramm wog, irgendwann mal bei einem Amateurklub im Tor aushalf und plötzlich in der Nationalelf landete. Eigentlich hatte er sich längst auf das Filmgeschäft konzentriert, unter anderem drehte er den isländischen Beitrag zum Eurovision Song Contest 2012.

Der Pilot ein früherer Spieler des FC Barcelona

Oder Birkir Mar Saevarsson, der mit 17 mit dem Fussball abgeschlossen hatte und stattdessen Pilot werden wollte. Dabei konnte er früher fliegen als Auto fahren, bis seine Liebe zum Fussball wieder durchkam. Jetzt spielt er in Schweden bei Hammarby IF und ist bei der EM.

Alle 23 isländischen Spieler sind im Ausland aktiv, eine Profiliga daheim gibt es nicht. Auch Birkir Bjarnason vom FC Basel, Alfred Finnbogason vom FC Augsburg und Jon Bödvarsson vom 1. FC Kaiserslautern gehören dazu. Star des Teams ist Gylfi Sigurdsson von Swansea City, der von 2010 bis 2012 für die TSG Hoffenheim spielte.

Den grösseren Namen hat aber Eidur Gudjohnsen, der früher für den FC Chelsea und den FC Barcelona spielte. Mit 37 Jahren ist er aber nur noch als Joker eingeplant. Gudjohnsen hat damit kein Problem, alle Spieler ordnen sich dem grossen Ziel unter. Und wenn das nicht reicht, hat Island ja noch seine starken Männer.

Nächster Artikel