Der Champions-League-Sieg, eine Milliarde Euro für ein neues Stadion und eine neue Liga – Zenit St. Petersburg hat grosse Pläne, von treibenden Kräften aus Politik und Wirtschaft befördert. Und ein paar Probleme, zum Beispiel mit seinen Fans, hat der russische Meister ebenfalls.
Die Fussball-Welt von Zenit St. Petersburg war schon immer etwas ungewöhnlich. Zur Zeiten der Stalinschen Diktatur etwa zählte der berühmte Komponist Dmitrij Schostakowitsch zu den glühenden Anhängern des Clubs von der Newa. Über ihn gibt es die wunderbare Anekdote, wie er eines Tages, als seine Frau verreist war, alle Spieler nach Hause einlud, um sie anständig zu bewirten und ihnen danach höchstselbst am Klavier ein paar Stücke vorzuspielen.
Es wird erneut keine grosse Kulisse im St.-Jakob-Park geben: Für den Achtelfinal-Match in der Europa League am Donnerstag (21.05 Uhr) gegen Zenit St. Petersburg waren am Dienstagnachmittag beim FC Basel etwas mehr als 11’000 Tickets abgesetzt. In der Runde zuvor waren es gegen Dnipro Dnipropetrowsk schlussendlich nur knapp über 8000 Zuschauer gewesen. (cok)
Seit Mitte der Achtziger tragen die Fans einen der kuriosesten Spitznamen der Fussball-Szene: «Meschki», zu deutsch «Säcke». Diese Bezeichnung entstand, als in Anbetracht des ersten Meistertitels der Vereinsgeschichte Tüten mit der Aufschrift «Zenit – Champion» bedruckt wurden und plötzlich viele Bewohner der Stadt mit diesen Tüten über die Strasse gingen.
Zenits einflussreiche Sympathisanten
Heutzutage wiederum darf sich Zenit St. Petersburg über besonders einflussreiche Anhänger freuen. Als die bekanntesten Fans des Clubs gelten Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew – der Staats- und der Ministerpräsident Russlands.
Dem Erzählen nach treibt Medwedjew dabei eine echte Fussball-Leidenschaft, den Kampfsport-Liebhaber Putin hingegen eher ein pragmatischerer Ansatz, aber was soll’s? Bei solchen Sympathisanten deutet jedenfalls schon viel darauf hin, welche wichtige (sport)politische Rolle der Europa-League-Gegner des FC Basel (Donnerstag, 21.05 Uhr, St.-Jakob-Park) in Russland einnimmt.
Für Gazprom ist Zenit das zentrale Prestigeobjekt
In einer Liga, in der sich zahlreiche Oligarchen, Staatsfirmen und Regionalregierungen mit teilweise üppigen Beträgen finanziell engagieren, ragt Zenit noch einmal heraus. 1997 stieg der staatlich kontrollierte Erdgasförderkonzern Gazprom über eine Tochterfirma als Sponsor ein und baute das sukzessive aus; im Dezember 2005 übernahm er schliesslich die Aktienmehrheit und unter der Führung von Unternehmenschef Alexej Miller, einem langjährigen Vertrauten von Putin, ist Zenit bis heute ein zentrales Prestigeobjekt des Energieriesen.
Spalletti und Beiersdorfer sollen Champions League gewinnen
Unglaublich viel Geld hat er in den vergangenen Jahren in die Mannschaft gepumpt, 22 Millionen Euro für Bruno Alves beispielsweise, 30 Millionen für Danny oder im vergangenen Sommer fast 100 Millionen Euro für Axel Witsel und Hulk. Der Lohn: Der Sieg in der russischen Meisterschaft in den Jahren 2007, 2010 und 2012 sowie der Uefa-Cup-Triumph 2008.
Der Gewinn der Champions League in den nächsten Jahren ist das erklärte Ziel der Clubverantwortlichen, an dem mit dem italienischen Trainer Luciano Spalletti und dem deutschen Sportchef Dietmar Beiersdorfer gerade zwei Ausländer an vorderster Front werkeln.
Präsidentenposten als Personalkarussell
Schon des Öfteren zeigte sich deutlich, wie politisiert der Club ist. Als 2007 der Ukrainer Anatolij Timoschtschuk von Schachtjor Donezk zu Zenit wechselte, hielt sich hartnäckig das Gerücht, die Ablösesumme sei auch über Gaslieferungen zwischen den Ländern verrechnet worden. Zudem blieb kaum verborgen, wie sehr der Präsidentenposten des Clubs Teil des allgemeinen Personenverschiebekarussells ist.
Den Club drängt es nach sportpolitischer Einflussnahme
Witalij Mutko (Präsident bis 2003) arbeitet heute als Sportminister. Sein Nachfolger Sergej Fursenko, der gemeinsam mit Putin zu den Gründen jener sagenumworbenen Datschen-Kooperative «Osero» (zu deutsch: See) zählt, die sich am Rande von St. Petersburg ein paar schicke Anwesen errichtete, stand vorher wie nachher an der Spitze von Gazprom-Tochterfirmen. Und der amtierende Clubchef Alexander Djukow, seit 2008 im Amt, arbeitet nebenbei bei Gazprom-Neft.
Da ist es keine Überraschung, dass es den Club auch im sportpolitischen Bereich zu grosser Einflussnahme drängt. Seit dem Einstieg von Gazprom schien es eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass der Vorsitzende des russischen Verbandes aus dem St. Petersburger Lager stammt.
Zwei Geisterspiele nach Pyro-Attacke
Das änderte sich erst, etwas überraschend, im vergangenen Jahr: Der als neuer Föderationschef ausgeguckte Sergej Prjadkin geriet massiv in die Kritik, weil er parallel zu seiner Tätigkeit als Funktionär ins Spieleragentengeschäft involviert war – ein Verstoss gegen die Regularien.
Die Strippenzieher hatten die Dynamik dieser Vorwürfe wohl unterschätzt, jedenfalls wählten die Delegierten am Ende den Gegenkandidaten Nikolaj Tolstych zu ihrem neuen Vorsitzenden. Dieser versucht seitdem, den Verband personell umzustrukturieren; zudem fiel ein Sportgerichtsurteil gegen St. Petersburg aus.
Nachdem im November im Spiel gegen Dynamo Moskau aus dem Zenit-Block ein Feuerwerkskörper ins Gesicht des gegnerischen Torwarts geflogen war und der Schiedsrichter das Spiel abbrach, ahndete das die zuständige Kommission mit einer technischen Niederlage sowie zwei Heimspielen ohne Zuschauer.
Die Vision vom «Vereinigten Championat»
Nun versuchen die St. Petersburger, aus dem Einflussbereich des Verbandes zu fliehen. Gemeinsam mit ihren Verbündeten ZSKA Moskau und Anschi Machatschkala sind sie die massgeblichen Initiatoren jenes Projekts, das sich «Vereinigtes Championat» nennt. Ihr Ziel ist die rasche Gründung einer länderübergreifenden Liga mit jeweils neun Vereinen aus Russland und der Ukraine – ohne Legitimation eines der beteiligten Verbände, dafür aber mit grosser finanzieller Kraft im Rücken.
Der Sieger einer vereinigten Meisterschaft soll fast 100 Millionen Dollar kassieren
Das jährliche Budget für diese Veranstaltung soll eine Milliarde Dollar betragen, der Gewinner alleine 92 Millionen Dollar erhalten – mehr als beispielsweise der FC Chelsea im vergangenen Jahr für seinen Erfolg in der Champions League bekam. Die Idee ist hochumstritten und hochkomplex, weil sie auch der Zustimmung der Europäischen Fussball-Union bedarf. Und dennoch scheint es Chancen für eine Umsetzung zu geben. Als Hinweis wird verstanden, dass Gazprom vergangenen Sommer als Sponsor der Uefa-Champions-League eingestiegen ist.
Das neue Stadion: Teurer als Wembley
Daneben beschäftigen den momentanen Tabellendritten der Premjer-Liga schon seit Jahren zwei weitere Baustellen. Die eine ist die geplante neue Arena auf der Kirow-Insel. Derzeit trägt Zenit seine Heimspiele noch im alten Petrowskij-Stadion aus – einer mächtig in die Jahre gekommenen Spielstätte mit gerade mal knapp 22’000 Zuschauerplätzen, die sowohl eines Möchtegerne-Champions-League-Siegers wie auch einer Weltmarke wie Gazprom unwürdig ist.
Doch die Bauarbeiten am neuen Projekt ziehen sich mächtig in die Länge; ursprünglich sollte es bereits 2009 eingeweiht werden, doch nun wurde die Eröffnung bereits so oft verschoben, dass Spötter meinen, man solle froh sein, wenn es bis zur Fussball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland fertig ist.
Auf jeden Fall wird es richtig teuer, auf eine Milliarde Euro belaufen sich gerade die Schätzungen – da hat es beste Chancen, das Wembley-Stadion als teuerste Spielstätte der Welt abzulösen.
Der Rassismus auf den Rängen
Das zweite permanente Problem der St. Petersburger sind ein paar weniger prominente Meschki, die allerdings grossen Einfluss haben: ein paar nationalistische Fans, die Zenit schon mehrmals in Verruf gebracht haben, beispielsweise indem sie in einem Europapokal-Spiel gegen Marseille dunkelhäutige Spieler mit Bananen bewarfen oder einer von ihnen dem Brasilianer Roberto Carlos eine halbgeschälte Banane reichte.
Zudem sprachen sie sich schon des Öfteren gegen die Verpflichtung dunkelhäutiger Spieler aus; vor wenigen Wochen erst wieder mit einem «Manifest». Die Clubführung musste sich lange gegen den Vorwurf wehren, nicht genügend gegen diese Fangruppierung zu unternehmen. Nun verweisen sie in diesem Zusammenhang gerne auf die Verpflichtungen von Axel Witsel und Hulk. Doch viele Beobachter halten das nicht für ausreichend im Kampf gegen den Rassismus.